Niemand kennt die Eigentümer der Berliner Wohnungen so gut wie Christoph Trautvetter. Er ist Experte für Immobilien, genauer: Immobilienbesitz. Er recherchiert seit vier Jahren beruflich für das Projekt „Wem gehört die Stadt?“ Wir haben mit ihm über die miesesten Vermieter der Stadt, Briefkastenfirmen und Enteignung gesprochen
Wem gehört die Stadt? „Die Hälfte davon besitzen Multimillionäre“
tipBerlin Herr Trautvetter, wem gehören die zwei Millionen Berliner Wohnungen?
Christoph Trautvetter Fast die Hälfte davon besitzen Multimillionäre, also große Aktiengesellschaften und Investmentfonds und ihre meist sehr vermögenden Investoren oder privaten Eigentümer, die sich zum Teil in Schattenfinanzzentren vor der Öffentlichkeit verstecken.
tipBerlin Untersucht das außer Ihnen noch jemand?
Christoph Trautvetter Nein. Es gibt bisher weder auf wissenschaftlicher noch auf staatlicher Seite eine systematische Analyse der Eigentümerstruktur. Es gibt Polizisten, die versuchen zu verstehen, welche Immobilien Kriminellen gehören und zu konkreten Fällen die Eigentumsverhältnisse ermitteln. Und es gibt Statistiker, die alle zehn Jahre die Eigentümerstruktur ganz grob erfragen. Aber das war es auch schon.
tipBerlin Wie sind Sie zu dieser Beschäftigung gekommen?
Christoph Trautvetter 2018 ist ein Lokaljournalist an mich herangetreten, der wissen wollte, wer dafür verantwortlich ist, dass der Berliner Büchertisch seine Räume verliert. Dabei ist er auf ein Firmengeflecht in Luxemburg und Verbindungen zur Finanzmarktkrise in den USA gestoßen. Er wollte das Konstrukt verstehen, wissen, wer dahintersteht. Ich hatte mir vorher als forensischer Sonderprüfer bei KPMG bereits Unternehmenskonstrukte angeschaut und hatte gerade Zeit.
Aus dem einen Fall sind dann immer mehr Fälle geworden. Im Vorfeld des Berliner Volksentscheides zur Enteignung von Immobilienunternehmen wollten wir verstehen, wem in Berlin mehr als 3.000 Wohnungen gehören – wer zu den Kandidaten gehört, die vom Volksentscheid betroffen wären – und haben uns deshalb die Eigentümerstrukturen und die Geschäftspraktiken in Berlin genauer angeguckt und mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung das Projekt „Wem gehört die Stadt“ ins Leben gerufen.
„25 Prozent sind Eigentumswohnungen“
tipBerlin Welche Bewegungen sehen Sie auf dem Berliner Immobilienmarkt?
Christoph Trautvetter Immobilien sind ein riesiges, träges Vermögen. Deswegen dauert es sehr lange, bis sich die Strukturen grundlegend verschieben. Aber es gibt fertige Immobilienpakete, die immer wieder von einem Finanzmarktinvestor zum nächsten weitergereicht werden. Aktuell hat der Zusammenschluss von Vonovia und Deutsche Wohnen für noch größere Konzentration gesorgt. Und eine Welle von spekulativen Investoren, die 2006 bis 2008 Wohnungen für etwa 1.000 Euro pro Quadratmeter gekauft hat, hat diese in den letzten Jahren mit Preissteigerungen von etwa 300 Prozent an andere Investoren weiterverkauft und die Gewinne mitgenommen.
Daneben gibt es Erben von einzelnen Häusern, die sich nicht um die geerbte Immobilie kümmern wollen und meistbietend an professionelle Investoren verkaufen, und professionelle Investoren, die ihre billig gekauften Immobilien im Grundbuch in einzelne Wohnungen aufteilen und als teure Eigentumswohnungen verkaufen – teilweise mit 500 Prozent Aufschlag.
Solche Eigentumswohnungen in Mehrfamilienhäusern sind erst seit 1951 überhaupt möglich. Seitdem wächst ihr Anteil, zuletzt waren es etwa 25 Prozent. Aber nur etwas mehr als die Hälfte gehört denen, die drin wohnen. Die andere Hälfte gehört Investoren, die zum größten Teil nur darauf warten, dass die Mieter ausziehen, damit sie renovieren und teuer weiterverkaufen können. Das sind die großen Tendenzen: stärkere Konzentration bei den privaten Großeigentümern und schrittweise Privatisierung von Eigentumswohnungen – und zuletzt wieder Zukauf und Neubau bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen.
„Umverteilung von den Mietenden zu den Kapitaleigentümern“
tipBerlin Welche Probleme bringt dieser Markt gesellschaftlich mit sich?
Christoph Trautvetter Wenn fast die Hälfte der Berliner Wohnungen wenigen tausend Multimillionären gehört, gibt es Millionen von Menschen, die sich keine eigene Wohnung in der Stadt leisten können und mieten müssen. Wenn die Preise und Mieten weiter so schnell steigen wie in den letzten Jahren, können sich viele das Leben in der Stadt nicht mehr leisten, während die Vermögenden sich über sagenhafte Rendite freuen. Das ist eine Umverteilung von den Mietenden und Arbeitenden hin zu den Erben und Kapitaleigentümern. Es geht um die Frage, welchen Anteil am Wohlstand jeder Einzelne bekommen soll. Im Moment gibt es eine Konzentrationstendenz.
tipBerlin Welche Hebel hat Berlin, um Mieter:innen zu schützen, welche brauchen wir?
Christoph Trautvetter Wir brauchen eine grundlegende Diskussion darüber, wem die Wohnungen gehören sollen und was die Eigentümer damit machen dürfen, und dafür brauchen wir Transparenz. Transparenz ist der erste Hebel, er lässt sich auch auf Bundeslandebene umlegen. Berlin erfasst die Eigentümerdaten und könnte sie für die wissenschaftliche Analyse zur Verfügung stellen. Der zweite Hebel sind Fragen der Regulierung: Mietpreisbremse, Zweckentfremdungsverbot, Milieuschutz, da liegt aber ein großer Teil der Kompetenz beim Bund. Der dritte Hebel wäre ein direkter Eingriff in den Markt. Da ist Vergesellschaftung eine Option, man könnte aber auch den Handel einschränken, durch ein neues preislimitiertes Vorkaufsrecht zum Beispiel. Auch das wäre teilweise Bundessache.
„Kriminelle aller Couleur verschanzen sich hinter Briefkästen“
tipBerlin Und was tut der Bund?
Christoph Trautvetter Er hat jetzt immerhin das Sanktionsdurchsetzungsgesetz II auf den Weg gebracht. Da geht es um die Frage: „Wie finden wir Immobilien von russischen Oligarchen in Deutschland?“ Bisher ist niemand in der Lage, die systematisch aufzufinden, weil sich die russischen Oligarchen, wie deutsche Steuerhinterzieher oder reiche Briten oder Kriminelle aller Couleur hinter Briefkästen verschanzen. Und dem Briefkasten, der im deutschen Grundbuch eingetragen ist, sieht man erstmal nicht an, wem er gehört.
Das neue Gesetz schafft hundert neue Stellen. Diese Menschen sammeln die Daten von den Grundbüchern und verknüpfen sie mit dem Transparenzregister, um zu sehen, wer der letztendlich wirtschaftlich Berechtigte ist. Dann landet man oft bei irgendwelchen Geschäftsführern und nicht den Eigentümern, deshalb sieht das Gesetz vor, dass ein zu schaffendes Bundesfinanzkriminalamt dann weiter ermittelt.
Das ist ein Riesensprung, wenn das irgendwann wirklich funktioniert. Ein kompletter Paradigmenwechsel. Die Behörden würden nicht nur reaktiv tätig, wenn jemand auf ein Problem aufmerksam macht, sondern würden proaktiv die Eigentümerstrukturen durchforsten und nach verdächtigen Vermögen suchen. Briefkästen, die irgendwo in der Welt Bankkonten haben, könnten dann viel schwerer Immobilien besitzen. Das gäbe einen sehr viel weniger schmutzigen Immobilienmarkt. Es ist ja so, dass durch diese anonymen Investitionsmöglichkeiten organisierte Kriminalität gefördert wird. Eine Immobilie, die von einem Mafioso gekauft wird, fördert mit ihren Mieterträgen die organisierte Kriminalität.
tipBerlin Könnte der Mafioso das Haus nicht einfach bar zahlen?
Christoph Trautvetter Auch das verbietet das neue Gesetz. Aber das war sowieso ein logistisches Problem. So ein typisches Berliner Mietshaus kostet gern mal fünf oder zehn Millionen Euro, die kriegen Sie nicht in einen Koffer. Und Sie müssen ja auch noch einen Verkäufer finden, der Ihnen die Koffer abnehmen will. Das passiert sehr, sehr selten.
„Immobilien machen zwei Drittel des deutschen Vermögens aus“
tipBerlin Sie sind gleichzeitig auch Referent im Netzwerk Steuergerechtigkeit. Was verbindet die beiden Tätigkeitsfelder?
Christoph Trautvetter Im Netzwerk beschäftigen wir uns auch mit der Frage: Ist Vermögen gerecht verteilt? Und wir fragen: Sorgt das Steuersystem für Gerechtigkeit? Da spielen Immobilien eine wesentliche Rolle. Sie machen zwei Drittel des deutschen Vermögens aus. Im Immobilienbereich sehen wir Steuerhinterziehung durch anonyme Konstrukte, wir sehen Gewinnverschiebung in Steueroasen und immobilienspezifische Steuerprivilegien, die dafür sorgen, dass Mieteinnahmen geringer besteuert werden als Arbeitseinkommen.
tipBerlin Wie stehen Sie zur Enteignung?
Christoph Trautvetter Da wäre zum einen die Frage, ob man denkt, dass der Staat diese Immobilien besser managt als private Unternehmer. Da habe ich Zweifel, ob sich dafür der Aufwand lohnt. Was viel wichtiger ist, ist die Vergesellschaftung von Spekulationsgewinn. In den vergangenen zehn Jahren haben Eigentümer in Berlin Spekulationsgewinne von teils 300 Prozent erzielt. Wenn der Preis für die Vergesellschaftung stimmt, könnte man ihnen diese Gewinne zum Teil entziehen.
tipBerlin Warum wird in Berlin jetzt eigentlich noch nicht enteignet?
Christoph Trautvetter Vergesellschaftung ist keine einfache Aufgabe – was ist ein geeigneter Preis? Wer genau soll betroffen sein? Wie bekommt man das gerichtsfest hin? Daran arbeitet gerade eine Expertenkommission. Ob sie das schnell genug tut, kann ich nicht beurteilen, aber sie arbeitet.
„Anonyme Investoren schleusen schmutziges Geld nach Berlin“
tipBerlin Wer ist Berlins schlimmster Vermieter?
Christoph Trautvetter Der mieseste Vermieter der Stadt ist Herr Mustermann. Der besitzt vielleicht nur zwei, drei Wohnungen, aber droht seinen Mietern mit Eigenbedarfskündigungen, wenn sie darauf bestehen, ihre Rechte wie zum Beispiel die Mietpreisbremse einzufordern. Und er verschweigt dem Finanzamt seine Einnahmen. Der fliegt unter dem Radar der Behörden.
Es gibt aber auch Eigentümer mit größeren Beständen, die zweifelhafte Methoden anwenden, zum Beispiel Schrottimmobilien an sozial Benachteiligte oder Einwanderer vermieten und ganz abstruse Preisvorstellungen durchsetzen, indem sie eine Wohnung an fünf Familien vermieten.
Und unter den ganz Großen sind die Investmentfonds am schlimmsten, wie die Firma Taliesin, die 2016 den Berliner Büchertisch vertreiben wollte. Die möglichst schnell hohe Renditen erzielen wollen und entmieten, aufteilen, aufhübschen, aber weder neu bauen noch nachhaltig investieren. Deren anonyme Investoren verstecken sich in einer Steueroase, schleusen möglicherweise schmutziges Geld nach Berlin und zahlen am Ende nicht mal Steuern. Und das – anders als zum Beispiel bei Vonovia – von der Öffentlichkeit meist völlig unbemerkt.
tipBerlin Wie bekommen Sie eigentlich heraus, wem ein Haus gehört?
Christoph Trautvetter Zu Herrn Mustermann können Sie sehr wenig herausfinden, beim Grundbuchamt gibt es keine Möglichkeiten, herauszubekommen, welche Häuser er so als Privatperson besitzt. Wenn eine GmbH im Grundbuch eingetragen ist, ist es viel einfacher, weil dann öffentliche Informationen vorliegen: Im Handelsregister können wir gucken, wer die Eigentümer sind, im Bundesanzeiger können wir den Geschäftsbericht lesen. Mit diesen und anderen internationalen Registern und Berichten lässt sich oft ein Bild von der Eigentümerstruktur und den Geschäftspraktiken zeichnen. Wie viel die Firma veröffentlichen muss, hängt davon ab, wie groß sie ist und wo sie sitzt.
tipBerlin Wie oft kommen Sie nicht weiter als bis zu einem Briefkasten?
Christoph Trautvetter In Berlin enden rund 25 Prozent der Eigentümerketten, die wir untersucht haben, bei einer anonymen Gesellschaft.
tipBerlin Sind Sie selbst Mieter?
Christoph Trautvetter Ja. Bei einem privaten Vermieter, den ich sehr gut kenne. Ich kann in der Wohnung alt werden.
- Ihr wollt wissen, wem euer Haus wirklich gehört? Vielleicht steht es schon hier. Wenn nicht: E-Mail an wgds
Die größten Berliner Wohnungsunternehmen
Diese Unternehmen wären von Enteignung betroffen, wenn der Berliner Volksentscheid von „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ umgesetzt wird
Unternehmen | Wohnungen | Börsennotiert? |
Vonovia (+Deutsche Wohnen) | 160.578 | Ja |
ADO (+Adler) | 19.873 | Ja |
Heimstaden | 19.000 | Jein (nur ein kleiner Teil der Aktien ist börsennotiert, der Rest gehört Versicherungen/einer Privatperson) |
Covivio | 16.560 | Ja (mit großem Anteil einer Privatperson) |
TAG | 13.136 | Ja |
Grand City Properties | 8.025 | Ja (mit großem Anteil einer Privatperson) |
Wohnen ZBI (ex BGP) | ca. 8.000 | Ja (Investmentfonds, aber offen, also über den Börsenmakler auch für Sie erwerblich) |
D.V.I | 8.298 – x | Nein (Privat) |
Blackstone | 3.702 + x | Nein (Investmentfonds, nur für professionellen Investoren und Menschen mit großem Vermögen) |
Pears | 3.000 + x | Nein (Privat) |
IMW Immobilien AG | 3.000 + x | Nein (ist zwar eine AG, aber nicht börsennotiert) |
Albert Immo S.a.r.l | 3.000 + x | Nein (Privat) |
Enorme Sprengkraft: Ein Kommentar zum Ausgang des Enteignen-Volksentscheids. Gentrifizierung: Diese Kieze verändern sich. Alternative zur Mietwohnung: Hausboot, Kommune, Wagenburg – hier ist die Geschichte der alternativen Lebensformen in Berlin. Ihr braucht Ratschläge? Hier stehen Tipps für die Wohnungssuche. Russisches Geld in Berlin: Auf der Spur der Oligarchen. Mehr aus der Berliner Politik findet ihr hier.