Glücksspiel

Wettbüros vs. Behörden: Der Kampf einer Milliarden-Branche

Wettbüros machen ein Riesengeschäft mit Tipps auf Sportereignisse – doch viele Menschen werden süchtig. Ein Gesetz soll die Boom-Branche besser regulieren. tipBerlin hat jetzt in Erfahrung gebracht, wie groß die Gegenwehr gegen das juristische Papier ist: Vor dem Verwaltungsgericht in Berlin laufen knapp 100 juristische Verfahren, die unternehmerische Akteure aus dem umstrittenen Gewerbe eingeleitet haben. Die Bestandsaufnahme eines zähen Konflikts.

Wettbüros prägen das Straßenbild in Berlin – hier eine Ansicht aus der Kurfürstenstraße. Ob der Anbieter von Wetten, der auf diesem Bild zu sehen ist, wie andere Branchenvertreter zurzeit vor dem Verwaltungsgericht klagt, ist nicht bekannt. Foto: Imago/Joko

Die Sportwettbranche hat 2021 so hohen Umsatz erzielt wie nie zuvor

Das juristische Papier, das einem mächtigen Gewerbe den Kampf ansagt, enthält 19 Paragrafen. „Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag“ nennt sich das Dekret im Rechtsdeutsch.

Ein zentrales Thema darin ist eine Branche, die so finanzstark ist, dass deren Werbekampagnen zur Primetime im Fernsehen laufen. In den Spots leihen berühmte Personen der Zeitgeschichte manchen Unternehmen ihre vertrauten Gesichter. Gemeint sind Anbieter von Sportwetten – Firmen wie Tipico und Bwin, aber auch kleinere Akteure.

Diese Sportwettbranche hat 2021 einen so hohen Umsatz erzielt wie noch nie zuvor, republikweit 9,4 Milliarden Euro. Die Promis in den Werbeclips der vergangenen Jahre, die das Tippen auf Resultate von bevorstehenden Sportereignissen salonfähig gemacht haben, bilden einen Olymp des Sportgeschäfts. Darunter Oliver Kahn, Lothar Matthäus, der unvermeidliche Boris Becker. Ebenso bedecken die Markennamen die Banden von Fußballstadien.

Wettbüros und der Glücksspielstaatsvertrag: Eine neue Ära

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Die Schattenseiten dieses Geschäftszweigs: Die Wett-Manie treibt viele Menschen in die Sucht. „Fast jeder Dritte, der eine Sportwette abschließt, hat ein Problem“, hat der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert, SPD, die Gefahr für die individuelle Gesundheit eruiert.

Das besagte Gesetz soll den Markt in Berlin einhegen und verkleinern – jenseits der überregional agierenden Online-Ableger. Auf den 18 Seiten sind auch Vorgaben für andere Player im Glücksspielwesen geregelt, etwa Spielhallen, Lotterien und Anbieter von Pferdewetten. Doch in besonderem Maße verschärfen sich die Bedingungen für die Wettbüros, die zuvor in einer rechtlichen Grauzone operierten. Im Gesetz geht es zum Beispiel um Mindestabstände von 500 Metern zu den Standorten anderer Glücksspiel-Eldorados, aber auch um Verpflichtungen zur Suchtprävention. Es handelt sich um ein Landesgesetz, das novelliert worden ist, mit Gültigkeit vom 14. September 2021 an. Der zugrunde liegende Staatsvertrag ist von den 16 Bundesländern beschlossen worden. Er wird von Berlin, Brandenburg & Co. jeweils eigenmächtig umgesetzt.

In der Hauptstadt entwickelt sich die Neujustierung des Wettmarkts zum juristischen Hickhack. Wie tipBerlin bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport auf Anfrage erfuhr, ziehen die Wettbüro-Anbieter im großen Stil vor Gericht.

Wettbüros und das Gerangel um Lizenzen

Vor dem Verwaltungsgericht werden „in Bezug auf verschiedenste Versagungsgründe“ zurzeit elf Eilverfahren und rund 85 Klagen geführt, heißt es in der Behörde. Vor allem Fragen rund um die Abstandsreglungen sind Dauerbrenner in diesen Konflikten.

Hier eine Zwischenbilanz zur Verbreitung der Wettbüros: Laut Senatsverwaltung sind zurzeit ungefähr 80 Wettbüros im Stadtgebiet geöffnet. In rund 100 anderen Fällen haben die Beamten stadtweit Läden dichtgemacht, können dabei aber noch keinen rechtskräftigen Status vorweisen. Der Kehraus von 35 weiteren Wettbüros ist dagegen schon fix.

Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) ist in Berlin die federführende Behörde. Es ist ein zäher Kampf, den das Land Berlin mit den Anwaltskanzleien des gut vernetzten Wettgewerbes ausfechtet. „Die Notwendigkeit der Auflösung zahlreicher Kollisionsfälle“ wird als Grund für das Slow-Motion-Tempo beim Kahlschlag gegen die Wettbüros genannt.

Noch ist die Senatsverwaltung nämlich von der Zielmarke weit entfernt. Kolportiert wird, dass am Ende in ganz Berlin nur noch zwischen 35 und 40 Wettbüros zu ihren Tipp-Amüsements laden dürfen. „Aufwendige Priorisierungs- und Auswahlverfahren“ müssten zurzeit vorgenommen worden, berichtet die Senatsverwaltung für Inneres und Sport.

Beim Deutschen Sportwettenverband (DSWV), der Branchenvertretung mit Adresse in Berlin-Mitte, beschwichtigt man hingegen: „Insgesamt ist die Erlaubnisbescheidung auch in Berlin bislang gut vorangeschritten.“ Weiterhin wird mitgeteilt: „Dies zeigt, dass sich die Wettanbieter rechtskonform verhalten und alle im Glücksspielstaatsvertrag vorgesehenen Regelungen umsetzen.“

Oliver Kahn, Altmeister im deutschen Fußball, war Werbepartner eines großen Anbieters für Sportwetten. Foto: Imago/Team2

Ein juristischer Fall vor dem Verwaltungsgericht, der kürzlich publik geworden ist, illustriert hingegen, wie vertrackt das Ganze ist. Ein Anbieter, dessen Unternehmenszentrale in Malta gemeldet ist, hatte gegen die Schließung seines Wettbüros irgendwo in Tempelhof geklagt. Der Standort sollte sich verabschieden, weil in nur 227 Meter Entfernung eine Spielhalle angesiedelt war – ein Verstoß gegen die 500-Meter-Regel.

Der Wettdienstleister griff vor Gericht die Lizenz für das konkurrierende Spielcasino an. Und klagte dazu gegen den Entzug des Placets fürs eigene Wettbüro. Aus der Rabulistik einer Gerichtskammer, die Eilanträge des Klägers zurückgewiesen hatte, geht hervor: Die Verfügungen des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten seien aller Voraussicht nach rechtmäßig. Doch der Vorhang ist noch nicht gefallen: Es gibt noch keine finalen Entscheidungen über die Klagen.

Das Beispiel zeigt außerdem, wie sich Kontrahenten im Glücksspielgewerbe womöglich gegenseitig kannibalisieren. Wettbüro vs. Spielhalle, so lauten die potenziellen Rivalen in diesem Showdown.

Wettbüros und die Politik: Es fehlt der öffentliche Druck

Das Gewerbe rund um die Spielcasinos mit den einarmigen Banditen ist übrigens ausführlich geregelt im Berliner Spielhallengesetz, das seit Juni 2011 gilt. Diese Bill of Rights hat die Automatenbuden im öffentlichen Raum schon erfolgreich dezimiert. Die Spielcasinos, die Las-Vegas-Spirit für kleine Leute bieten wollen, bergen ebenso Suchtpotenzial. 584 Spielhallen gab es im Jahr 2011. Etwas mehr als eine Dekade später, im Jahr 2021, waren es nur noch 120.

Vorbei sind die Zeiten, als die Absteigen einmal so häufig waren wie Schawarma-Imbiss oder Späti. Nötig war dafür jedoch mühsame Kleinarbeit. Deren Ausprägungen: ebenfalls juristische Scharmützel sowie die Not von Ordnungsbehörden, deren Personal knapp ist.

Ein unbequemer Streiter für mehr Regulierung im Spielhallen-Kosmos war der SPD-Parlamentarier Daniel Buchholz. Ein Politiker, der den Hustle um die vermeintlichen Zockerparadiese im Abgeordnetenhaus immer wieder auf die politische Agenda gehoben hatte. 2021 hat Daniel Buchholz seinen Sitz in der Berliner Volksvertretung verloren.

Wetten ist ein spaßige Angelegenheit, kann aber auch zwanghaft werden: Hier setzen Männer an der Trabrennbahn Karlshorst auf rasante Pferde. Foto: Imago/Bernd König

Im Konflikt mit den Wettbüros fehlt eine öffentliche Figur, die nachbohrt. Wer mehr über Hintergründe wissen will, muss mit Ilona Füchtenschnieder sprechen, Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht (FAGS e. V.) mit Sitz in Bielefeld. Sie sagt über die juristischen Aktivitäten: „Die Strategie der Betreiber von Wettbüros ist klar: Sie wollen die Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags so sehr wie möglich in die Länge ziehen.“

Logisch: Jeder Tag, an dem ein Wettbüro noch geöffnet ist, lässt Cashflow sprudeln. Dann ist da noch ein Kalkül: dass sich die politischen Machtverhältnisse ändern. CDU und FDP etwa befürworten einen laxeren Umgang mit dem Glücksspielgewerbe. Andere Farbspiele in den Regierungskoalitionen der Bundesländer könnten ein Rollback anstoßen. Man darf dabei nicht vergessen, dass der Fiskus den Wettbüros massenweise Geld verdankt. Seit 2012 hat Berlin ganze 160 Millionen Euro Einnahmen aus der Sportwettsteuer erzielt (Stand 2021).

Um die Leidtragenden des Wettfiebers kümmern sich derweil Beratungsstellen wie das „Café Beispiellos“ in Kreuzberg oder die Selbsthilfegruppe „Anonyme Spieler Berlin“. 250.000 Menschen in Deutschland sind abhängig von Glücksspielen; auch in Berlin dürfte die Zahl nicht klein sein.


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Hunderte Spielhallen in Berlin mussten schon dichtmachen – doch die Zockerei verlagert sich einfach ins Online-Gewerbe. Man kann übrigens auch daddeln, ohne dass man dahingehend manipuliert wird, sein Geld zu verpulvern. Zum Beispiel im „Gamestate Berlin“ am Potsdamer Platz, wo es an Retro-Automaten nur um Spaß geht und nicht um falsche Versprechen auf finanzielle Gewinne. Eine ebenso harmlose Angelegenheit, um den Spieltrieb zu befriedigen: an den Jukeboxen von Kneipen ein paar musikalische Favoriten zu aktivieren. Ganz was anderes unternehmen? Hier sind die Highlights des Tages: Veranstaltungen heute in Berlin. Wir blicken immer wieder auf politische Themen in Berlin – in dieser Rubrik.

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