Bettina Jarasch will mehr Windräder in Berlin. Für die Grünen-Politikerin, die kürzlich noch Berlins Klimaneutralität bis 2030 ausschloss, ist das zumindest etwas Reformbereitschaft. Vonseiten der Opposition und sonst so findiger Journalisten beliebiger Hauptstadtblätter kamen gleich Unkenrufe: „Aber der Platz, Frau Jarasch, der Platz!“
Ja, wo sollen sie denn stehen, diese Mammutventilatoren, diese Vogelmörder, diese Landschaftsbesudler!? Ein paar schöne Plätze für Windkraftanlagen in Berlin könnten wir empfehlen, dafür müsste nur gelegentlich etwas weichen. Doch damit Neues entsteht, braucht es gelegentlich ein Date mit der Abrissbirne.
Das Tempelhofer Feld
Es ist ein Treffpunkt für saufende Yuppies, Kinder saufender Yuppies und Skateboardposer:innen. Gerade letztere gleiten mit überlegener Miene die asphaltierte Landebahn entlang, alle anderen müssen zur Seite springen – und überhaupt gibt es auf dem Tempelhofer Feld eine ganze Menge nerviger Typen. Gut, bei 300 Hektar gibt es genug Ausweichmöglichkeiten, dennoch ist es anstrengend, nahezu nervenzermürbend. Statt fürs Austänzeln könnte die gewaltige Fläche auch für ein paar Windkraftanlagen genutzt werden.
Aktuell liegt die Windenergieleistung Berlins bei mageren 16 Megawatt. Zum Vergleich: Bundesweit sind es 56.000, großen Flächenländern wie Bremen und Hamburg sei Dank. Nicht das ganze Tempelhofer Feld müsste mit den Rädern gespickt werden, ein paar freie Flächen könnte der Senat lassen, für Tiere, aber auch Urban Gardening. Lediglich die asphaltierten Flächen dürfen schwinden.
Schloss Bellevue
9.000 Quadratmeter umfasst das Grundstück des Schloss Bellevue. Es mag geschichtsträchtig sein, aber manches Überbleibsel vergangener Zeit braucht es nicht. Historikerinnen und Stadtplaner könnten gelegentlich die Marie Kondō nach außen kehren, sich von Altem befreien. Ein Schloss, dessen wichtigste Eigenschaft mit der des Bundespräsidenten übereinstimmt, symbolische Strahlkraft, kann ruhig etwas Frischem mit pragmatischen Nutzen weichen. Bis zu 400 Quadratmeter sind für eine Windkraftanlage nötig, bisschen Platz für ein, zwei Rädchen wäre also da.
Die Villenkolonie in Westend
Wohlstandsheimat seit den 1860er-Jahren. In der Villenkolonie stinkt es nach Geld, nicht aber nach Industrieabgasen. Die ziehen bekanntlich ostwärts, in weniger betuchte Ecken. Solche, in denen die Lungen ohnehin in einem Korsett aus schwarzem Krauser und Auspuffdämpfen gequetscht sind. Kein Schutzmantel, eher eiserne Jungfrau. Rund 70 Hektar gespickt mit mondänen Einfamilienhäusern. Ein Viertel, so anachronistisch wie eine Gender-Hassrede von Dieter Hallervorden (Palim, Palim!) oder ein Witz von Mario Barth (Kennste?!). Abreißen und durch Windkraftanlagen ersetzen. Besser so.
Berliner Messe
Von 2020 bis 2030 will die Messe Berlin ihren CO2-Ausstoß um zehn Prozent reduzieren. Rund 30 Prozent des benötigten Stroms produziert sie umweltfreundlich mittels Kraftwärmekopplung, bis zu 40 Prozent Wärmeenergie durch CO2-neutrale Holzpelletverfeuerung. 100 Prozent umweltfreundliche Windenergie könnten hier entstehen. Messen funktionieren auch auf digitaler Ebene, hat die Corona-Pandemie gezeigt. Wird also Zeit, die lebenserhaltenden Maschinen für die siechenden Events abzuschalten. Die freiwerdenden rund 27 Hektar Fläche, Halle und Freigelände zusammengerechnet, eignen sich wunderbar für Windkraftanlagen.
Flughafen Tegel
Der Flughafen Tegel ist tot, lange lebe Berlin TXL. Bitte nicht. Bundesweit jauchzen Politiker:innen auf, sobald irgendwo genug Platz für ein Silicon-Valley-Abklatsch entsteht, etwa Mark 51/7 in Bochum oder der LabCampus in München. Der Berliner „Innovationspark“ mit kernigem Namen soll sich künftig auf urbane Technologien konzentrieren. Möglichst nachhaltig, möglichst fortschrittlich. 202 Hektar sind dafür eingeplant. Windenergie oder Grundlagenforschung? Schwierige Entscheidung, aber aus Treue zum Thema: erstere. Das Schumacher Quartier, welches ebenfalls vor Ort entstehen soll, kann bleiben. Solange es bezahlbaren Wohnraum für alle gibt. Ist mit Neubauten in Innovationszentren ja immer so eine Sache.
17. Autobahnabschnitt der A100
„Uff“, dachte sich wohl der Berliner Senat, als die Bundesregierung den Weiterbau der A 100-Verlängerung durchpeitschte. Dasselbe wird den Protestgruppen, etwa dem „Aktionsbündnis A100 stoppen!“, durch den Kopf gegangen sein. Wer allerdings realistisch war, wusste, dass ihm bei einem FDP-Verkehrsminister der Schachtelteufel irgendwann ins Gesicht springt. Eigentlich Quatsch. Stadtautobahnen sind nicht mehr zeitgemäß, klimapolitisch fatal, eine Fehlinvestition und entlasten nur temporär die Innenstadt vom Autoverkehr, wie unter anderem Mobilitätsforscherin Anne Klein-Hitpaß der Berliner Morgenpost erklärt. Was Berlin über die A 100 denkt, könnt ihr hier lesen.
Die Fläche, 4,1 Kilometer Länge, könnten auch für anderes genutzt werden, etwa Windkraft. Übrigens: Eine echte Verkehrsentlastung wäre es, Straßen zurückzubauen und Alternativen, etwa Radwege und den ÖPNV weiter zu stärken und attraktiver zu machen, etwa indem er gratis wird. Berlin ist diesbezüglich ja gut aufgestellt.
Alexanderplatz
Er gilt für manche als Sehenswürdigkeit, der Alexanderplatz. Die Lendengegend Berlins (mit Blick auf den phallusartigen Fernsehturm) dient jedoch nur dazu, die Geldbeutel der Tourist:innen zu penetrieren. Hier können sie sich kaputtshoppen, im CineStar beschallen lassen, an einem Späti überteuert Craft-Beer kaufen. Weg damit, Windkraftanlagen hin.
Berliner Wälder, eine Idee von Bettina Jarasch
Alle genannten Optionen sind allerdings realistisch kaum umsetzbar, es sind humoristische Gedankenspielereien. Drastische Abstandsregelungen bremsten bereits in Bayern den Windkraftausbau, in dicht besiedelten Städten wie Berlin kommt er so kaum zustande. Bettina Jarasch hält jedoch den Ausbau in Berliner Wäldern für realistisch. Auch Gewerbegebiete, Kraftwerke und Autobahnen seien prüfbare Optionen. Sie ist hier typisch rational, doch die Menschen vor Ort müssen es ihr nicht gleichtun. Widerstand gegen Windkraftanlagen gab es schon vielerorts, Berlin muss davon nicht verschont bleiben.
Jarasch legt hier allerdings, anders als etwa die „B.Z.“ schreibt (Titel: Berlin soll mehr Windräder bekommen), nur einen Vorschlag vor. Einer, der von einer Umsetzung noch weit entfernt ist. Der Senat müsste natürlich mit Blick auf den Naturschutz handeln, in Wäldern wäre von möglichen Auswirkungen Vögel und Fledermäuse betroffen. Gut durchdachte Planungsprozesse sind nötig. Mischwälder seien etwa schützenswerter als intensiv genutzte Nadelforste, heißt es auf der Seite des Bundesministeriums für Umwelt.
2020 stammten gut 30 Prozent der deutschen Nettostromproduktion aus Windkraftanlagen. Wirtschaftsminister Habeck strebt die 80 Prozent bis 2030 an. Klar kann sich Berlin da einbringen, vorher müsste aber geklärt werden, wie. Flächen gibt es an sich genug, schlecht genutzte sowieso.
Ihr könnt übrigens schauen, ob sie sich wirklich für Windkraftanlagen eignen, wenn ihr einen Spaziergang durch Berlins Wälder unternehmt. Ihr wollt umweltbewusster leben, weil euch die Politik zu lahm ist? Tipps für ein nachhaltiges Leben in Berlin. Was uns in Berlin aufregt und bewegt, erfahrt ihr in unserer Politik-Rubrik.
Übrigens: Von uns gibt es auch eine ganze Edition zum Thema Nachhaltigkeit.