Darauf muss man erstmal kommen: Um neuen Wohnraum in Berlin zu finanzieren, könnten Landes-Wohnungsunternehmen selbst Wohneinheiten verkaufen. Ein Gedanke, den Bausenator Andreas Geisel (SPD) der Tageszeitung „nd“ darlegte. Begründet hat er das mit steigenden Rohstoffpreisen durch den Ukraine-Krieg, weshalb Neubauten finanziell kaum zu stemmen seien. Dass Neubauten derzeit teurer sind, ist richtig. Dass Privatisierung das Problem löst, jedoch nicht, findet tipBerlin-Redakteur Tim Kröplin.
Alten Wohnraum verkaufen, neuen Wohnraum schaffen
Pro Jahr, das versprach der Senat, sollen 10.000 neue Wohnungen entstehen, ein Tonikum gegen den Wohnraummangel. Nun sorgten bereits neue, notwendige Vorschriften für Kostensteigerungen, Energiestandards zum Beispiel. Die Rohstoffpreise sind im vergangenen Jahr ebenfalls gestiegen. Im Februar 2022 nahmen die Preise für Neubauten um 14,3 Prozent gegenüber Februar 2021 zu. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Rohstoffpreise weiter in die Höhe getrieben.
Geisel ist das nicht entgangen. Der Tageszeitung „nd“ sagte er in bestem Buchhalterisch, dass die gestiegenen Kosten vorhandene Kalkulationen in Bedrängnis bringen würden. Der Finanzierungsweg sei, Eigentum für die eigene Wohnung Mietende möglich zu machen. Landes-Wohnungsunternehmen sollen dabei die Häuser aufteilen und Wohneinheiten verkaufen. Bei den Koalitionspartnern kam das nicht gut an, wie weiter aus dem Text hervorgeht. Laut Grünen-Politikerin Katrin Schmidberger hat sich der Senat darauf geeinigt, ein Privatisierungsverbot von landeseigenen Wohnungen in die Berliner Verfassung zu bringen. Geisels Vorschlag war insofern überraschend.
Es ginge so viel einfacher
Ja, Bauen ist teuerer geworden. Das würde bedeuten, mehr Geld zu investieren, vielleicht, ach, Gottchen, mehr Schulden zu machen. Der Bausenator trällert allerdings das alte konservative Lied vom knappen Geld: Es bedürfe zusätzlicher Einnahmequellen, um Vorhaben wie Neubauten überhaupt umzusetzen. Schulden gingen dagegen gar nicht, so lässt es sich zumindest aus Geisels Idee herauslesen.
Dass Sparpolitik nicht die Lösung ist, hat sich bereits in den vergangenen Jahren regelmäßig gezeigt, seien es marode Schulen, schleppender Glasfaserausbau oder auch Städte, die nicht einmal vor Flutkatastrophen geschützt sind. Geisel will aber nicht auf Bauprojekte zwecks Sparens verzichten, er möchte öffentliche Bestandswohnungen privatisieren. Sparen funktioniert so trotzdem. Das Ganze kleidet er beim „nd“ in ein solidarisches Gewand:
„Warum wollen wir nicht dafür sorgen, dass Mieterinnen und Mieter sich ihre eigene Wohnung leisten und damit einen Beitrag zur Finanzierung leisten und gleichzeitig eine Altersabsicherung haben und auch von diesen Entwicklungen partizipieren?“
Wer profitiert? Die üblichen Verdächtigen
Ja, warum eigentlich? Könnte eventuell daran liegen, dass Eigentumswohnungen in einer Stadt wie Berlin eben nicht für alle bezahlbar sind. Für Vermögende würde so also eine Anlagequelle geschaffen, nicht etwa eine Altersabsicherung für Geringverdiener, die auf öffentlichen Wohnraum zusätzlich angewiesen sind. Geisel hält sich da an die Idee der Trickle-Down-Economy, dass also der Wohlstand der Reichsten was für die unteren Schichten abwirft.
Hier könnten einige einwerfen, dass sich das Problem lösen lässt, indem die Wohnungen so günstig angeboten werden, dass sie sich eben nicht nur Gutverdienende leisten können. Schon richtig. Ob das so auch hinhaut, sei dahingestellt. Dürfte wenig wahrscheinlich sein, sollen doch die Verkaufserlöse direkt in Neubauten fließen. Bekanntlich gilt: Viel hilft viel. Es wäre wahrscheinlich, dass sich die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften am Markt orientieren.
Geisels Vorstoß ist schräg. Zumal die Baukosten in den nächsten Jahren auch wieder sinken können. Aktuell gibt es einen Preisschock, keine Frage. Die Märkte können sich aber auch wieder erholen. Warum also nicht erstmal etwas lockerer haushalten und ein bisschen tiefer in die Taschen greifen? Andernfalls stellen wir in ein paar Jahren nur wieder fest, dass zu viel öffentlicher Wohnraum in private Hände gekommen ist – und dass das ein Stimmungskiller ist, wissen wir bereits.
Aufgrund der Wohnungsnot stellte sich für uns die Frage, ob der Plattenbau bald ein Comeback erlebt. Solltet ihr übrigens Probleme bei der Wohnungssuche haben, sind hier ein paar (nicht ernstgemeinte) Tipps, mit denen ihr eine Wohnung finden könntet. Keine Lösung, dafür aber marktkritische Unterhaltung. In unserer Stadtleben-Rubrik erfahrt ihr zudem, was Berlin noch so bewegt.