Kommentar

Zahlungsmoral: Macht endlich Schluss mit der Umsonstkultur!

Die Corona-Krise zeigt, wie falsch die Umsonstkultur ist. Clubs streamen DJ-Sets, Literat*innen stellen Lesungen online, Theater und Opern spielen fürs Internet. Aber diese Kultur gibt es nicht für lau. Wir brauchen eine neue Zahlungsmoral im Internet. Jetzt

Zahlungsmoral bei Ravern vorhanden? Viele Berliner Clubs haben sich zusammengeschlossen, um mit der Reihe "United we stream" Spendengelder zu akquirieren. Foto: Jascha Müller-Guthof
Zahlungsmoral bei Ravern vorhanden? Viele Berliner Clubs haben sich zusammengeschlossen, um mit der Reihe „United we stream“ Spendengelder zu akquirieren. Foto: Jascha Müller-Guthof

Das Internet hat uns versaut. 20 Jahre lang. Hat uns gelehrt, alles wäre doch da. Für umme. Musik, Filme, DJ-Sets. Nur ein paar Klicks weiter. Zum Tausch, wie es hieß. Schön war die Zeit.

Napster war der Anfang. Das erste große Tauschbörsen-Ding, Mp3 für alle mit 56-k-Bummeldownload. 1999 ging das los, noch ein anderes Jahrtausend. Irgendwo ploppte dann immer noch ein File-Portal auf. Und noch eins. Und noch eins. Halblegal, illegal, scheißegal.

Und die Musikindustrie, die wahrlich obszöne Gewinne scheffelte in den 90ern, sah ihre Umsätze den Sturzbach runtergehen. Dann kam die Filmindustrie an die Reihe. Selber Horrorfilm. Auch kein Happy End.

Gut, es traf auch nicht die falschen, hin und wieder. Die mit den dicken Autos und den dicken Hosen. Und manchmal wünschte man sich, man könnte irgendwo Wohnungen runterladen, raubkopieren, weiterverbreiten, damit es dem einen oder anderen Vermieter auch die Demut vor dem Kunden lehren möge.

Zahlungsmoral? Wer für Musik im Netz bezahlte, war selbst schuld

Jetzt geht es um alles. Eine ganze Kulturbranche. Plötzlich sitzen wir alle auf diesem Höllentrip, der den Bach runter geht, im selben großen verdammten Boot.

So wie es jetzt ist, geht es nicht weiter. Wir müssen umdenken. Die Corona-Krise ist kein Wink mit dem Zaunpfahl. Sondern ein Schlag in die Fresse. Manchmal muss es eben weh tun.

Generationen von Kulturkonsument*innen kennen nichts anderes als die Umsonstkultur im Internet. Wer für Musik bezahlte, war selber schuld und doof und hatte hinterher nicht genug Geld für Clubs und Drogen übrig.

Klar, hin und wieder rumpelte irgendein Sven Regener durch eine Münchner Radiosendung, „eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts mehr wert“. Aber da galt für viele das gute alte Edmund-Stoiber-Motto: „Gelesen, gelacht, gelocht“.

Und weiter rauchte der Download-Ordner wie blöd, von neuer Zahlungsmoral keine Spur. Und irgendwann der Streaming-Dienst, für ein paar Cent oder Euro. Welcher Idiot kaufte schon noch CDs für 15 Euro? Oder DVDs?

Unser Geld ließen wir in den Konzertarenen und Clubs. Die großen Konzerte wurden immer unbezahlbarer. Die kleinen immer unlukrativer. Für die Bands, für die Songwriter, für die Künstler, kurzum für all jene, die wir einst liebten. Manch einer sagte dann schlicht: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. Und kam nicht wieder.

Aber jetzt brauchen wir eine neue Zahlungsmoral für Kulturprodukte. Diese ganzen tollen solidarischen Initiativen, die jetzt aus dem Internet schießen, wo DJs ihre Sets aus leeren Clubs streamen, oder Theater ihre Stücke und Opernhäuser ihre Arien, wo Musiker im Wohnzimmer die Gitarre bedienen oder eine Lesebühne wie die Reformbühne Heim & Welt weiter an jedem verdammten Sonntag liest, nur eben jetzt im Internet n, wo DJs ihre Sets aus leeren Clubs streamen, Musiker im Wohnzimmer die Gitarre bedienen, Theater ihre Bühne ins Netz verlegen und Opern ihren Konzertraum und eine Lesebühne wie die Reformbühne Heim & Welt weiter an jedem verdammten Sonntag liest, nur eben jetzt im Internet – diese ganzen großartigen Aktionen wird es nur geben, wenn die Künstler*innen auch irgendwie bezahlt werden. Damit sie schlicht überleben.

Nur weil es im Internet ist, gibt es Kultur nicht für lau

Die Aktion der Berliner Clubszene, #UnitedWeStream, oder auch die jetzt von Klaus Lederers Senatskulturverwaltung gebündelte digigale Plattform Berlin(a)live werden nur funktionieren, wenn jetzt dabei auch Spenden für die Berliner Kulturschaffenden fließen, wenn endlich klar ist: Nur weil es Internet ist, ist es nicht für lau. Nein, Umsonst ist keine Kultur.

Denn die Nutzer*innen im Netz wollen zwar all die schönen geilen next big WWW-things: Livestreaming, Virtual oder Augmented Reality. Nur, das fand im Mai letzten Jahres die Hamburger Medien- und Digital-Initiative Next Media Hamburg in einer Marktforschung raus, zahlen will der überwiegende Teil dieser Nutzer*innen dafür nicht.

Mit dem Corona-Virus werden wir irgendwann fertig, auch wenn die Lage zwischen beschissen und verzweifelter Hoffnung schwankt. Ein Gegenmittel gegen die Umsonstkultur brauchen wir jetzt. Sofort.

Also wenn wir diese tolle Kultur wollen, müssen wir dafür sorgen, dass sie überlebt. Mit unserem Geld, mit einer neuen Zahlungsmoral. Jeder ein bisschen. Spende, Abo, Sponsoring. Vieles kann. Alles hilft.

Hashtag: #UnitedWePay?

Seid ihr dabei?


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