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Digitalisierung

Tesla, IT-Infrastruktur und neue Anforderungen: „Digitalisierung ist mehr als nur schnelle Computer“, sagt Prof. Ulrich Weinberg, der Leiter der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut

Wir befinden uns am Anfang eines neuen Jahrzehnts. Die 2020er werden sich wohl entscheidend über digitale Technologien definieren. Was bedeutet das für Arbeitgeber in Berlin? Ein Expertengespräch mit Prof. Ulrich Weinberg, dem Leiter der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam

Prof. Ulrich Weinberg, Foto: Christian Dammert

Prof. Ulrich Weinberg hat Kunst, Design, Philosophie und Kunstgeschichte in München und Berlin studiert und leitet heute die School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut der Uni Potsdam. Jedes Jahr werden hier mehrere hundert Studierende, Angestellte und Manager in Methoden unterrichtet, die neues Denken und Arbeiten ermöglichen. Prof. Weinberg ist ein international renommierter Redner zu den Themen Innovation, Digitalisierung und New Work. In seinem aktuellen Buch „NetworkThinking“ ruft er zu radikalem Umdenken in Bildung und Organisationen auf.

tip Herr Weinberg, wie kann ich heute Vorkehrungen treffen, um zu verhindern, dass morgen eine Maschine meinen Job macht?

Keine Panik. Es ist ja nicht so, dass wir zu Neujahr den Schalter umgelegt hätten, und auf einmal ist Digitalisierung angesagt. Die Digitalisierung erleichtert uns seit Jahren die Arbeit, und wir bekommen allerhand Unterstützung durch Computer, Algorithmen oder Roboter. Nehmen Sie zum Beispiel das Rechtschreibprogramm, das diesen Artikel vor Veröffentlichung noch einmal auf Fehler prüfen wird – niemand, der mit Texten arbeitet, wird ernsthaft auf die Rechtschreibprüfung verzichten wollen. Das Programm spart Menschen Zeit und Energie – und eröffnet neues Potential. Das zu schöpfen, geht aber nur, wenn Menschen begreifen: Digitalisierung ist mehr als nur schnelle Computer.

tip Wie würden Sie Digitalisierung stattdessen erklären?

Digitalisierung bringt eine ganze Reihe an kulturellen Veränderungen mit sich. Digitalisierung bedeutet, dass Abläufe und Informationen transparent werden. Silo-Denken, also das Arbeiten in geschlossenen Abteilungen, entwickelt sich hin zu vernetzten Organisationen. Man denkt für den anderen mit – für den Arbeitskollegen, oder für den Endkunden. Mitarbeiter fragen sich: Wie sollte mein Arbeitsschritt aussehen, damit er ins Gesamtsystem passt und für den Kollegen oder den Kunden Sinn macht? Ein großer Technologie-Konzern, mit dem wir seit Langem zusammenarbeiten, hat es neulich auf den Punkt gebracht: Wann immer es um digitale Transformation geht, fragen wir zuerst: Was ändert es an der Kultur? Und erst hinterher: Welche Technologie brauchen wir dafür?

Verflachung von Hierarchien

tip Für junge Bewerber klingt es sicher reizvoll, ein Unternehmen von Grund auf neu zu denken. Wie aber kann ich mich als Mitarbeiter, der schon zehn oder 20 Jahre auf dem Buckel hat, an diese neuen Anforderungen anpassen?

Die Altersgruppe, die Sie ansprechen, ist mit digitalen Prozessen sehr wohl vertraut. Privat nutzen die meisten Menschen Facebook und WhatsApp, googeln gesundheitliche Beschwerden, ehe sie zum Arzt gehen, oder lassen sich ihre Ware über Amazon liefern, wo sie jedes Päckchen einzeln tracken können. Hinter diesen Routinen stecken Elemente wie Dezentralisierung, Transparenz oder Verflachung von Hierarchien, die wohl auch den eigenen Job in der Zukunft prägen werden. Im Internet gibt es eine Menge an Videos oder Online-Kursen, die das Wissen darüber vertiefen. Auf der kostenlosen Lernplattform OpenHPI.de bieten wir selbst eine Vielzahl an Kursen an, in denen sich jede interessierte Person weiterbilden kann.

tip Das erfordert eine große Eigeninitiative. Was können Unternehmen tun, um ihre Angestellten zu unterstützen?

Arbeitgeber werden in Zukunft ihren Mitarbeitern nicht nur einen Arbeitsplatz bieten müssen, sondern auch einen Lernplatz. Für einen Großkonzern, der in ganz Deutschland Standorte unterhält, haben wir in Berlin einen unternehmensinternen Campus mitentwickelt. Da können sich Teams für ein paar Tage oder auch Wochen einmieten, um an einem speziellen Problem zu arbeiten. Hier finden sie inspirierende Räumlichkeiten, die Arbeitsplätze sind mit neuesten Technologien ausgestattet, und eine ganze Reihe von Coaches unterstützen im Arbeitsprozess. Ebenso wichtig ist, dass Teams unterschiedlicher Abteilungen hier die Gelegenheit haben, sich auszutauschen. Auch wenn die einen vielleicht an Automotoren tüfteln und die anderen an Küchenmixern, haben alle auf kultureller Ebene sicher ähnliche Probleme.

tip Solche unternehmensinternen Akademien aufzubauen, lohnt sich vielleicht ab einer Firmengröße von 20.000 oder 30.000 Mitarbeitern. Was raten Sie Unternehmen in Berlin?

Ein paar Arbeitgeber dieser Größenordnung haben wir ja in Berlin und im Umland, ich denke hier an Siemens, Rolls Royce oder Daimler. Aber es stimmt, viele Arbeitgeber in der Stadt sind eher kleine und mittelständische Unternehmen. Zusätzlich finden wir in Berlin eine quirlige Szene an Startups und Hochschulen, und dieses Umfeld können Unternehmen nutzen, um sich inspirieren zu lassen und über agile Ansätze wie Design Thinking, Scrum oder Lean Startup zu informieren.

Transparenz und Dezentralisierung

tip Okay, aber was fange ich mit diesen Informationen dann an?

Vielleicht helfen diese Inspirationen ja dabei, auf eine spannende Fragestellung für das eigene Unternehmen zu stoßen. Viele Hochschulen, darunter übrigens auch unsere School of Design Thinking, bieten Kooperationen an, in denen Studierendenteams an solchen Fragestellungen arbeiten. Unsere Absolventen haben mal mit einem Partner aus dem Maschinenbau gearbeitet, der hochwertige Turbinen digitalisieren wollte. Am Ende haben die Studierenden herausgefunden, dass mit dem Produkt alles stimmt, aber dass die Zettelwirtschaft in der Schichtplanung sehr viele Umstände bereitet. Also haben wir dafür eine App entwickelt, durch die nun intern Transparenz und Dezentralisierung Einzug halten können. Digitalisierung kann Unternehmen an vielen Stellen voranbringen. Nirgendwo in Deutschland gibt es dafür mehr Offenheit als in Berlin. Das merkt ja auch Tesla.

tip Hat Tesla in Brandenburg nicht vor allem nach einem günstigen Standort gesucht?

Tesla hatte viele Angebote und hätte sich auch in der Nähe von Standorten großer Automobilhersteller niederlassen können, wo es ausreichend Fachkräfte mit Expertise in dieser Branche gibt. Stattdessen hat Tesla einen Standort mit einem eng vernetzten Innovations-Ökosystem gewählt. Hier kommt zusammen, was zusammen gehört: Ein Unternehmen, das bereits voll im Zeitalter der Digitalisierung angekommen ist. Ein Umfeld an potentiellen Bewerbern, die genau das von einem zukünftigen Arbeitgeber erwarten. Und ein Standort im Grünen, mit fantastischer Landschaft und dem Raum, Neues zu gestalten…

tip …kombiniert mit der wohl schlechtesten IT-Infrastruktur in Deutschland. Sieht so Digitalisierung aus?

Das bringt uns zum Themenkomplex „Öffentliche Verwaltung“. Natürlich hinkt die Verwaltung hinterher, Rahmenbedingungen für eine moderne Gesellschaft zur Verfügung zu stellen – in Berlin, in Brandenburg und bundesweit. Hier gibt es viel Investitions-, aber auch Modernisierungsbedarf. Ich glaube: Wenn Digitalisierung erstmal in der Öffentlichen Verwaltung angekommen ist, mitsamt dem damit verbundenen Kulturwandel, dann würde sich die Verwaltung leichter tun, Deutschland zu digitalisieren.

tip Wo ist das Problem?

Bei der Modernisierung der Öffentlichen Verwaltung gibt es nicht so viele Freiheiten wie in einem Unternehmen: Ist ein Hersteller von Smartphones beispielsweise von der Insolvenz bedroht, kann er sein Geschäftsmodell ändern und mit den Fähigkeiten seiner Mitarbeiter in Zukunft Smart-Home-Anwendungen produzieren. Anders der städtische Energieversorger, von dem immer erwartet wird, dass er die Bürger mit Strom versorgt, oder die Polizei, die für die Sicherheit zu sorgen hat. Disruptive Innovation, also eine Modernisierung, die alles vorher Dagewesene hinwegfegt, ist in der öffentlichen Verwaltung nicht angebracht. Allerdings merke ich in meiner Arbeit – speziell mit Verwaltungen in Berlin und Potsdam –, dass eine immer größere Bereitschaft besteht, sich für neue Methoden zu öffnen. In einer wachsenden Region wie unserer ist die öffentliche Verwaltung an einer Modernisierung interessiert, um als Arbeitgeber für jüngere Bewerber attraktiv zu sein und damit einem Personalmangel vorzubeugen.

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