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Erfahrungsbericht

18 Tage Corona-Quarantäne: Die neun Stufen des Wahnsinns

Wenn man in Quarantäne ist, macht das etwas mit der Psyche, mit dem Verhalten, mit dem Blick aufs Leben. Unsere Autorin durfte 18 Tage lang ihre Wohnung gar nicht und ihr Zimmer kaum verlassen. Hier berichtet sie von den neun Stufen des Wahnsinns, die sie in dieser Zeit durchlaufen hat: von Händewaschneurose über Yoga bis zum Tequila-Delirium.

Wenn man in Quarantäne ist, macht das etwas mit der Psyche. Unsere Autorin hat in 18 Tagen Isolation neun Stufen des Wahnsinns durchlaufen.
18 Tage Quarantäne: Irgendwann wird einem das eigene Bett zuwider. Foto: Imago Images/Westend61

Stufe 1 Mitbewohnerin S. teilt uns vier anderen Bewohnerinnen der Wohnung in Prenzlauer Berg mit, dass ihr Corona-Testergebnis positiv ist. Sofort fällt die Stimmung in den Keller. Wir alle rufen die Menschen an, mit denen wir Kontakt hatten: den Bruder, der jetzt wahrscheinlich nicht mehr zu seinem Nebenjob in der Unterkunft für Geflüchtete gehen kann, den Freund, der die Flasche Wein geteilt hat, die Freundin, die zum Lernen in unserer Küche saß und natürlich auch das Bad mitbenutzt hat.

Was, wenn die Quarantäne acht Wochen dauert?

Danach ziehen wir uns in unsere Zimmer zurück. Keiner weiß, wer sich bei S. angesteckt hat, und wir wollen das Virus nicht unter uns verbreiten. Wir haben Angst vor schweren Verläufen. Auch, wenn wir zwischendurch darüber nachdenken, ob es nicht besser wäre, wenn wir es alle jetzt haben, als dass wir uns nacheinander anstecken und im schlechtesten Fall acht Wochen in Quarantäne sitzen.

Stufe 2 Zum ersten Mal seit der vierten Klasse nehme ich Nadel und Faden in die Hand und nähe Risse in einem Pullover. Eine gewisse Gabi, deren Stimme mich an meine Kindergärtnerin in Leipzig erinnert, zeigt mir in Youtube-Videos, wie das geht. Und ich wasche diesen einen Pullover, der seit Monaten in der Wäschetonne gammelt, weil man ihn mit der Hand waschen muss.

Wenn man in Quarantäne ist, macht das etwas mit der Psyche. Unsere Autorin hat in 18 Tagen Isolation neun Stufen des Wahnsinns durchlaufen.
Manchmal saß ich stundenlang vor meinem Fenster und beobachtete die Welt draußen. Foto: Imago Images/Geisser

Noch zwölf Tage Quarantäne, so schlimm wird’s schon nicht werden, denke ich. Vielleicht tut es ja mal ganz gut, zu Hause zu bleiben, zu entschleunigen. Dann schneide ich mir beim Karottenschälen in den Finger und fange an zu heulen.

Maske auf zum Streiten

Stufe 3 Wir stehen in der Küche und streiten, mit Mundschutz und jede von uns in einer Ecke. Nur S. ist in ihrem Zimmer und hustet. Es ist Tag sechs unserer Quarantäne. Wir diskutieren darüber, ob wir mit Maske den Müll runterbringen dürfen oder ob wir dadurch andere Hausbewohner*innen gefährden.

Das Gesundheitsamt Pankow hat angerufen. Nachdem wir bereits seit sechs Tagen in selbst verordneter Quarantäne sind, informiert es uns, dass wir uns ab jetzt isolieren sollen.

Was wäre, wenn wir vier, sechs, acht Wochen in Quarantäne bleiben müssen? Wäre es dann okay, mit doppeltem Mundschutz spazieren zu gehen, solange wir Abstand zu anderen Menschen halten? Damit unsere psychische und physische Gesundheit nicht den Bach runtergeht? Keine von uns weiß eine Antwort. Aber wir schreien uns trotzdem weiter an.

Richtig erleichtert sind wir nicht

Übrigens haben wir alle einen negativen Corona-Test, zwei Tage nach S. Hiobsbotschaft haben wir uns testen lassen, das negative Ergebnis kam nochmal zwei Tage später. Richtig erleichtert sind wir trotzdem nicht, schließlich könnten wir uns trotzdem jederzeit anstecken.

Wenn man in Quarantäne ist, macht das etwas mit der Psyche. Unsere Autorin hat in 18 Tagen Isolation neun Stufen des Wahnsinns durchlaufen.
Wenn das Leben vor dem Fenster vorbeizieht. Foto: tipBerlin

Stufe 4 Bei mir tritt ein Zustand der geistigen Verwahrlosung ein. Eigentlich wollte ich Max Czolleks „Gegenwartsbewältigung“ zu Ende lesen. Und die anderen Bücher auf meinem Will-Ich-Noch-Lesen-Stapel. Stattdessen gucke ich jeden Abend nach der Arbeit „Orange is the new Black“. Weil ich mich mit den Frauen im Knast verbunden fühle. Bei der Arbeit gehen mir die Ideen für Texte aus, meine Sätze wirken seltsam ungelenk.

Quarantäne macht neurotisch

Stufe 5 Es folgt die körperliche Verwahrlosung. Doch noch mal die Jogginghose anziehen, die schon seit Tagen trage? Warum nicht, mich sieht und riecht ja eh keiner. Haare kämmen? Go away! Mit Flecken auf der Hose und Schlaf in den Augen beobachte ich, wie die Blätter an den Bäumen vor meinem Fenster sich gelb färben. Das Leben zieht an mir vorbei, denke ich. Mein Zimmer kann ich nicht mehr sehen, mein Bett ist mir zuwider.

Ich sehne mich nach frischer Luft und danach, durch die gefallenen Blätter zu laufen. Stattdessen gehe ich in unsere dunkle Küche und fröne meiner neuen Zwangsneurose: Händewaschen. Ich will nämlich Brot essen. Nachdem ich die Besteckschublade angefasst habe, um mir ein Messer zum Brotschmieren rauszunehmen, schrubbe ich meine Finger nochmal. Und dann noch einmal, nachdem ich den Wasserkocher angefasst habe.

Wenn man in Quarantäne ist, macht das etwas mit der Psyche. Unsere Autorin hat in 18 Tagen Isolation neun Stufen des Wahnsinns durchlaufen.
Nach ein paar Tagen entwickelte ich eine Händewasch-Zwang. Foto: imago images/Cavan images

Stufe 6 Schluss mit der Depri-Stimmung! Irgendwie muss es doch möglich sein, etwas aus dieser Quarantäne zu machen. Ich putze mein Zimmer und beziehe das Bett neu. Ich mache Yoga. Ich koche Rotkohl, Gemüsepfannen und Quiche.

Morgens, wenn die Sonne scheint, setze ich mich mit meinem Frühstück auf die Fensterbank in den kleinen Stückchen Sonne, das mein Zimmer streift. Menschen mit Balkonen und erst recht Menschen mit großen Gärten sind in der Pandemie wirklich besser dran.

Stufe 7 Tag 14 der Quarantäne, die gepfefferte Backpfeife mitten ins Gesicht. Es ist der letzte Tag unserer Gefangenschaft — glauben wir. Die Stimmung ist bombig. Es steht Tequila auf dem Tisch, Musik läuft, wir spielen zu viert Karten, auch S. ist dabei, sie ist inzwischen genesen und nicht mehr infektiös.

Wir lallen unsere Argumente

Wenn wir uns bis jetzt nicht angesteckt haben, können wir auch den letzten Abend zusammen verbringen, denken wir. Dann ploppt eine Nachricht in unserer WG-Whats-App-Gruppe auf: Die fünfte im Bunde sitzt in ihrem Zimmer und teilt uns mit, dass sie seit morgens Fieber hat. Schweigen. Die Stimmung dreht sich um 180 Grad.

Stufe 8 Wir trinken den Tequila trotzdem, und zwar die ganze Flasche. Danach plündern wir unsere Weinvorräte. Der Tequila wirkt, betäubt die Angst, die wieder aufgeflammt ist. Wir packen Familiengeschichten aus und schwelgen in Erinnerungen. Dann kommen die politischen Diskussionen: über den Kapitalismus, über die Ausbeutung der Erde, über Aktivismus. Wir lallen unsere Argumente.

Eigentlich wollten wir mit dem Tequila unsere Freiheit feiern. Wir schwenkten um zum Frust-Saufen. Foto: imago images/Panthermedia
Eigentlich wollten wir mit dem Tequila unsere Freiheit feiern. Wir schwenkten um zum Frust-Saufen. Foto: imago images/Panthermedia

Die nächsten Tage ziehen an uns vorbei in einem Schleier aus ausgedünstetem Alkohol und dem Geruch nach Fertigpizza. Meinen Urlaub, den ich genommen hatte, um die Tage nach der Quarantäne nicht am Schreibtisch verbringen zu müssen, verbringe ich nun im Bett.

Stufe 9 Wir hatten alle nicht mehr zu hoffen gewagt, aber: Das Testergebnis von unserer fiebrigen Mitbewohnerin ist negativ. Nach 18 Tagen Quarantäne dürfen wir wieder raus. Aber wir sind gezeichnet von der Isolation.

Als ich am Montagabend eine Freundin treffe, weigere ich mich, im Café drinnen zu sitzen. Es fühlt sich komisch an, in den Supermarkt zu gehen. Ich bin jetzt definitiv Corona-frei. Das will ich nicht aufs Spiel setzen und in die nächste Quarantäne schlittern. Diese hier war schlimm genug. Auch wenn ich in einer Fünfer-WG damit rechnen muss, dass es noch mal dazu kommt.


Ob in Quarantäne oder nicht: Wir werden in den nächsten Monaten viel Zeit zu Hause verbringen. Mit diesen 12 Tipps bekommt ihr die Zeit allein zu Hause rum. Sport tut gut und auch in Isolation kann man etwas für seinen Körper tun. Mit diesen Sport-Übungen für Zuhause bleibt ihr im Corona-Winter fit. Wichtig, um diesen Winter zu überstehen, ist eine Wohnung, in der ihr euch wohl fühlt. So macht ihr euer Zuhause in der Corona-Isolation gemütlich. Ihr seid nicht in Quarantäne und wollt etwas draußen unternehmen? Berlin informiert regelmäßig darüber, was während der Pandemie erlaubt ist und was nicht.

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