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Kommentar

CSD 2021 am Samstag in Berlin – brauchen wir die Demo noch?

Am Samstag findet in Berlin der CSD 2021 statt, die Pride-Parade. Abgespeckt und nicht als riesige Party, eher back to the roots: als politische Demonstration. Aber warum eigentlich? Ist nicht alles wunderbar? Unser Autor fragt: Brauchen wir den CSD überhaupt noch?

CSD-Sternmarsch Ende Juni: Wie viel Regenbogen darf es, wie viel muss es sein? Foto: Imago/Elmenthaler

CSD 2021: Es gibt genug Menschen, die ihn nicht brauchen

Brauchen wir den CSD noch? Und wenn ja, wie viele? Nun, viele Leute brauchen den CSD gewiss überhaupt nicht:

  • Wladimir Putin, in dessen Land Queers von der Polizei gefoltert werden? Er braucht keinen CSD.
  • Die Regierungen Polens und Ungarns und der Türkei und Georgiens, die aktiv an der Entrechtung queerer Menschen arbeiten? Sie brauchen keinen CSD.
  • Die jungen Männer, die Anfang Juli in Spanien Samuel Luiz, 24, ermordet haben, „weil er schwul ist“? Sie brauchen keinen CSD.
  • Diejenigen Parteien in Deutschland, die jetzt und auch nach der Bundestagswahl im September die Ehe für Alle wieder abschaffen wollen (AfD) und die notwendige Reform des erniedrigenden Transsexuellengesetzes blockieren (CDU)? Sie brauchen keinen CSD. Alle Menschen in Berlin, denen gleichgültig ist, ob ihre queeren Freund:innen, Geschwister, Kinder, Eltern, Nachbar:innen, Arbeitskolleg:innen, Mitmenschen sicher sind? Sie brauchen keinen CSD.
  • Alle Konzerne, die ihre Produkte im Juni, dem Pride Month, in Regenbogenfarben tünchen, um im Juli wieder alles auf „normal“ zu stellen? Ja, sie brauchen normalerweise einen CSD – um Trucks mit ihren pinkgewaschenen Werbeslogans rollen zu lassen. Doch dieses Jahr, wo es eh keine Millionenparade geben kann, sondern nur fünf Trucks vom CSD-Verein? Da brauchen auch sie, die scheinheiligen Konzerne, keinen CSD.

Ein Tag für Menschen, die an ein freies Berlin und freies Lieben glauben

Wer braucht den CSD? Menschen, die ihre Kraft aus dem Wissen schöpfen, dass sie nicht alleine sind. Das lesbische Paar, das sich nachts in der U8 küsst. Das schwule Paar, das beim Flanieren über die Karl-Marx-Straße Händchen hält. Das trans-Mädchen, das sich den Lippenstift nachzieht beim Picknick in der Hasenheide. Vielleicht hat ihnen das auch etwas Mut gegeben, Manuel Neuer, den Fußball-Nationaltorwart, kürzlich bei den EM-Spielen mit Regenbogenbinde zu sehen. Aber die Binde liegt jetzt im Museum. Und einen geouteten amtierenden Nationalspieler gibt es immer noch nicht.

Wir, die Menschen, die an ein freies Berlin glauben wollen, brauchen den CSD. Wie die lesbische Sängerin LUNA, 20, die gerade aus einem Dorf in der Nähe von Passau nach Berlin zieht – und uns im Interview für unsere Coverstory „Status Queer“ (siehe unten) gesagt hat, warum: „Weil ich in Berlin ein Freiheitsgefühl habe. Das habe ich in meinem Heimatstädtchen nicht so.“ In ihrer neuen Single „blau“ und im dazugehörigen Videoclip feiert sie das Anderssein – und zeigt auch wie wichtig der Rückhalt für Queers aus der eigenen Familie ist.

Der Schauspieler Jannik Schümann („Charité“, „Die Mitte der Welt“), 28, der Weihnhachten 2020 ein Kuss-Foto mit sich und seinem Freund in der Hasenheide gepostet hat, hat uns gesagt, wie wichtig er den CSD findet: „2018 waren meine Eltern bei mir in Berlin – eigentlich für den Geburtstag meiner Mama, aber dann haben wir auch den CSD gefeiert“, sagt er. „Und sie waren so sehr davon überzeugt, dass wir das 2019 wieder gemacht haben. Das hat mich unfassbar stolz gemacht!“

Deshalb brauchen wir den CSD. Auch Gloria Viagra, die im März nach ihrem Drag Walk im Treptower Park angegriffen wurde. Auch die 520 Menschen, die laut Maneo-Report in Berlin 2020 aus Queerhass angegriffen wurden. Auch Tugay Sarac, der die queerfreundliche „Liebe ist halal“-Kampagne macht und dafür Morddrohungen erhält.

Ich werde am Samstag auf die Straße gehen zum CSD. Wie ich auch beim Sternmarsch im Juni vom Oranienplatz bis zum Alexanderplatz dabei war. Und letzte Woche beim Marzahn Pride. Auch diese kleineren Paraden sind empowernd – und oft sogar politischer drauf als die Millionenparty, die der große CSD in den Jahren vor der Pandemie war. Aber dieses Jahr haben wir die Chance auf den politischsten CSD seit langem – und einen der zugleich noch groß genug ist, um in die Stadt und in die Welt hinaus zu strahlen.

„Save Our Community – Save Your Pride“ lautet das Motto. Man muss nur hingehen. Ist nicht so bequem, wie Aperol auf dem Balkon zu schlürfen, aber am Ende des Tages wollen wir Queers doch in der Stadt sichtbar und sicher sein – in Berlin und nicht bloß in Balkonien.

Alle Infos zu Route und Zeitplan des CSD sowie dem Dyke* March am Abend findet ihr hier.


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