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Nüchtern feiern: „Lemonade Queers“ bringt frischen Wind in die queere Partyszene

Ob in der Neuköllner Queer-Bar oder im Berghain-Darkroom: In vielen Räumen der queeren Community sind wie selbstverständlich Alkohol und Drogen im Spiel. Bei „Lemonade Queers“ im SchwuZ wird hingegen nüchtern gefeiert. Im Interview mit tipBerlin erzählen die Gründer:innen Vlady Schklover und Momo Strödecke, warum „Lemonade Queers“ mehr ist als nur eine Party und warum der Trend zu einem bewussteren Konsum immer mehr Anhänger:innen findet.

Weil ihnen ein Ort für nüchternes Feiern in Berlin fehlte, schafften sie ihn einfach selbst: „Lemonade Queers“-Gründer:innen Vlady Schklover und Momo Strödecke. Foto: Claudia Hammer

„Lemonade Queers“: Es fehlen Orte, an denen Alkohol nicht im Vordergrund steht

tipBerlin Wir sitzen im SchwuZ, in einer Stunde füllt sich hier vermutlich die Tanzfläche. Üblicherweise hätten wir jetzt vielleicht schon ein Bier in der Hand. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, eine queere Party zu veranstalten, bei der alle nüchtern sind?  

Vlady Schklover Als ich selbst aufgehört habe zu trinken, waren nur sehr wenige meiner Freunde nüchtern. Ich habe bei Facebook gepostet, dass ich mir ein paar mehr Freunde wünschen würde, die nicht trinken, aber trotzdem gerne ausgehen. Ich bin in der Künstlerszene, ich gehe nach wie vor gerne feiern. Auf diesen Post haben sich so viele Leute gemeldet! Es waren locker 25, 30 Kommentare innerhalb von zwei Tagen. Ich dachte mir dann, na gut, ich wollte eigentlich nur so fünf neue Freunde, aber was soll der Geiz: Wir machen jetzt ein Meet-up!

Das Meet-up habe ich dann „Lemonade Queers“ genannt und im Südblock veranstaltet. Bei diesem ersten Treffen war auch Momo mit dabei, so haben wir uns kennengelernt. Eine andere Person bei diesem Meet-up erzählte uns, ihr größter Traum sei ein Sober Truck beim CSD. Wir haben dann Kontakt zum CSD-Team aufgenommen. Mit dem Truck hat es nicht geklappt, weil es zu kurzfristig war, aber dann kam eins zum anderen und so haben wir im Pride Month letztes Jahr zum ersten Mal „Lemonade Queers“ im SchwuZ veranstaltet.

tipBerlin „Lemonade Queers“ ist mehr als eine Party: Der Abend beginnt mit einer offenen Runde, bei der die Besucher:innen untereinander ins Gespräch kommen und sich immer zu einem bestimmten Thema, das ihr vorher auswählt, austauschen können. Momo, wie kamst du auf die Idee, diese Art von „Connection Space“, wie du es nennst, in eure Party zu integrieren?

Momo Strödecke Das ist das Besondere an unserer Veranstaltung: Wir decken alles ab. Beim „Connection Space“ zu Beginn des Abends gibt es die Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen und aktuelle queere Themen besprechen. Mir fehlt bei Veranstaltungen oft der Austausch mit Menschen; wenn man sich nicht gerade total offensiv traut, Leute anzusprechen, ist es oft sehr anonym. Gerade für die, die wenig oder gar nicht konsumieren. 

„Lemonade Queers“ ist nicht nur eine Party, sondern bietet auch Räume zum Austausch

tipBerlin Was macht die Party sonst noch besonders? 

Vlady Schklover: Zum einen ist das SchwuZ komplett barrierefrei. Wir haben extra Sitzsäcke für Menschen, die nicht lange auf Stühlen sitzen können. Es gibt einen Quiet Room für Menschen, die neurodivergent sind und manchmal eine Pause brauchen, weil die Party grundsätzlich recht voll wird. Und wir kuratieren eine Show, bei der wir wirklich die ganze Bandbreite an queerer Kunst präsentieren: Drag Queens, Drag Kings, Poetry, Comedy, Livemusik, das ganze Spektrum, egal welcher Nationalität, Identität oder Ability. Alle sind willkommen. Und dann gibt’s noch Party.

Es fehlen Orte, an denen sich Leute treffen können, die nicht trinken, ohne dass das Nüchternsein zum Thema zum Hauptthema gemacht wird – vor allem in einem queeren Kontext.

Vlady Schklover, Gründer von Lemonade Queers

tipBerlin Das klingt nach viel Spaß – und als wäre der Umstand, dass auf eurer Veranstaltung nicht getrunken wird, eher eine Nebensache.  

Vlady Schklover: Ich glaube, es fehlen Orte, an denen sich Leute treffen können, die nicht trinken, ohne dass das Nüchternsein zum Thema zum Hauptthema gemacht wird – vor allem in einem queeren Kontext. Die meisten Sober Events sind sehr hetero-dominiert.

„Lemonade Queers“-Gründer Vlady Schklover führt als Host durch den Abend im SchwuZ: Drag, Livemusik und Comedy stehen auf dem Programm. Foto: Claudia Hammer

Wird in der queeren Szene besonders viel getrunken?

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tipBerlin Spielt Alkohol in der queeren Szene eine besondere Rolle?

Momo Strödecke In allen Szenen, aber vor allem in der queeren Szene wird sehr viel konsumiert. Ich frage mich deshalb oft, wo ich hingehen soll – meistens fängt mir auch alles zu spät an, da bin ich schon im Bett. (lacht) Ich mag Partys tagsüber, irgendwann reicht es mir aber auch. Ich glaube, viele Leute suchen einfach nach Orten, an denen sie tanzen, Leute aus der Community treffen und eine gute Zeit haben können, ohne dass sich alles um Konsum dreht. 

Vlady Schklover Ich glaube, wir sprechen immer noch zu wenig darüber, welche Traumata es mit sich bringt, als Teenager nicht geoutet zu sein und seine Sexualität nicht ausleben zu können. Als ich in der Pubertät war, gab es noch nicht die Sichtbarkeit für queere Menschen, die wir heute haben. Man sieht, wie sich alle anderen verlieben und nach und nach lernen, auch mit Herzschmerz umzugehen, während man selbst ist die ganze Zeit allein ist. All das habe ich dann kompensiert, als ich nach Berlin kam: Ich habe jahrelang jedes Wochenende gefeiert, ganz klassisch. Ich war Frischfleisch für all die ganzen Gays. Das ist sehr problematisch in dieser Szene, man wird total objektifiziert. Die älteren Gays haben mich alle gerne mitgenommen, auf die ganzen Partys, überall Drogen umsonst und so weiter. Ich habe natürlich ja gesagt, weil ich dazugehören wollte – die fanden mich sexy und ich wollte Liebe. So ging es weiter, aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich ein Problem mit Alkohol habe, weil ich immer dachte, ich bin der coolste Typ der Stadt. Das war mein Ziel: Überall auf der Gästeliste zu stehen. Das habe ich jahrelang durchgezogen und meinen Wert darüber definiert. Durch Corona kam dann der Moment, in dem ich reflektiert habe. Kurz davor hatte ich einen üblen Filmriss und dachte, jetzt muss sich etwas ändern. Dann habe ich eine Therapie angefangen. 

In allen Szenen, aber vor allem in der queeren Szene wird sehr viel konsumiert.

Momo Strödecke, Gründer:in von Lemonade Queers

tipBerlin Fiel es dir schwer, mit dem Trinken aufzuhören? 

Vlady Schklover Gar nicht so sehr. Ich war einmal kurz bei AA (Anonyme Alkoholiker, Anm. d. Red.), aber das war nicht so meins, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass ich ein Problem mit der Substanz habe, sondern eher ein Problem mit Emotionsregulation. Ob ich jetzt Alkohol trinke, Sex habe, nonstop Serien gucke oder auf Grindr rumhänge: Das ist alles Emotionsregulation, die Substanz war für mich nur ein Mittel zum Zweck. In der Therapie wollte ich mich deshalb eher darauf fokussieren. Das ist jetzt zwei Jahre her. Ich hatte zwischendurch meine Ausrutscher, aber ich fühle mich sehr gut damit. 

Die Pepsi Boston Bar füllt sich: Bei den „Lemonade Queers“-Partys gibt es an der Bar im SchwuZ eine eigens kuratierte Karte mit alkoholfreien Drinks. Foto: Claudia Hammer

„Sober curious“: Ein Trend, auch in Berlin?

tipBerlin Im Internet bezeichnen sich einige Menschen als „sober curious“. Wird es langsam zum Trend, weniger oder gar nicht zu trinken?

Vlady Schklover: Ich weiß nicht, ob es ein Trend ist oder ob es einfach etwas mit dem Alter zu tun hat. (lacht) Ich meine, ich habe mit 20 angefangen, in Berlin feiern zu gehen. Nach zehn Jahren ist die Luft halt irgendwann raus. Wie oft willst du noch ins Berghain? Aber ich glaube auch, dass sich da eine neue Community bildet. Ich weiß, dass es London schon eine ziemlich große Sober Community gibt; da kenne ich einen Instagram-Kanal mit Veranstaltungen, der ungefähr 30.000 Follower hat. Ich weiß nicht, ob es ein Trend ist, oder ob es einfach daran liegt, dass die Leute online, aber auch offline anfangen, sich mehr mit sich selbst und ihren Emotionen auseinanderzusetzen. Dabei merken viele irgendwann: Okay, Alkohol muss vielleicht einfach nicht immer sein.

Momo Strödecke: Ich war zum Beispiel nie wirklich abhängig von Alkohol oder anderen Drogen, weil ich generell immer sehr vorsichtig war. Ich habe einfach irgendwann beschlossen, dass ich bewusster konsumieren möchte, aber es war bei mir nie so, dass ich dachte, ich muss jetzt aufhören zu trinken. Ich wollte es einfach mal ohne probieren. Dadurch habe ich gemerkt: Ich brauche es nicht, um irgendwo hinzugehen und Spaß zu haben.

Ich habe mit 20 angefangen, in Berlin feiern zu gehen. Nach zehn Jahren ist die Luft halt irgendwann raus. Wie oft willst du noch ins Berghain?

Vlady Schklover, Gründer von Lemonade Queers

tipBerlin Der Sober-Trend ist also Ausdruck eines gesteigerten Bewusstseins für das Thema Mental Health? 

Vlady Schklover: Ich glaube, es geht viele Leute so, die mit dem Trinken aufhören: Sie haben vorher Alkohol getrunken, um in irgendeiner Art und Weise mit Anspannung, Depressionen oder Traumata umzugehen. Oder weil sie ein Problem haben, Intimität zuzulassen. Das geht durch Alkohol und natürlich auch durch andere Drogen natürlich viel schneller. Deswegen ist die Schwulenszene ja auch so voller schnellem Sex, weil es viel einfacher ist, sich eine Nase zu ballern und dann zu sagen: Ach, du bist hier, ich bin hier, geil, let’s do it. Wenn ich jetzt ausgehe oder mich mit jemandem treffe, dauert das länger. Das muss man auch aushalten können.

tipBerlin Was bestellt man bei eurer Party an der Bar? 

Vlady Schklover: Es gibt so viele tolle Drinks! Die Pepsi Boston Bar hat eine extra Karte für die Party kuratiert. Viele Leute fragen sich, trinkt man bei einer Sober Party nur Wasser? Nein, es gibt es trotzdem aufregende Getränke. Außerdem wird der Alkohol an der Bar abgedeckt, sodass kein Alkohol bei der Party sichtbar ist. Die Leute bestellen trotzdem viele Getränke. Ich glaube, viele Bars oder Clubs haben Angst, sowas auszuprobieren, weil sie denken, dass ihnen der Umsatz wegbricht. Aber hier funktioniert es super. 

  • Lemonade Queers 1 Year Anniversary, 10.7., 19 Uhr, SchwuZ, Rollbergstraße 26, Neukölln, Eintritt frei, mehr Info

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