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Interview

LUNA und Lie Ning im Interview: „Lass dich nicht verbiegen“

Unsere Berliner Covermodels Lie Ning und LUNA sollte man sich merken: Ihre Pop-Karrieren gehen steil bergauf. Ein wichtiges Thema ihrer Musik ist auch ihre Queerness. tipBerlin-Musikredakteur Stefan Hochgesand hat mit den Newcomer:innen gesprochen – über Support in der Familie, ihre Songs und Freiheit in Berlin.

LUNA und Lie Ning beim Fotoshooting für unser tipBerlin-Cover. Das Heft ist zum CSD erschienen. Foto: Paul Max Fischer
LUNA (l.) und Lie Ning beim Fotoshooting im Club SchwuZ für unser tipBerlin-Cover. Das Heft ist zum CSD erschienen. Foto: Paul Max Fischer; Assistent: Max Nieberding

Lie Ning lebt schon immer in Berlin – LUNA sucht noch eine Wohnung

tipBerlin Mit welchen Pronomen fühlt ihr euch gut?

LUNA Ich bin eine sie.

Lie Ning Auf Deutsch ist das ja noch ein bisschen schwierig. Ich hab letztens ein Buch gelesen, in dem Alternativen zu er und sie ausprobiert wurden. Die klingen noch sehr stockig. Ich bin super fein mit er, sie, was auch immer.

tipBerlin LUNA, du kommst gerade in Berlin an.

LUNA Wir sind auf der Wohnungssuche. Bisschen schwierig in Berlin. Aber ich hoffe, dass es diesen Monat noch klappt. Ansonsten bin ich viel am Pendeln – und bin ich im Hotel oder komme immer bei Freunden in Berlin unter. Als ich noch in die Schule ging, bin ich auch schon immer regelmäßig nach Berlin gefahren. Mit dem Homeschooling durch Corona war es etwas einfacher – das konnte ich auch von Berlin aus machen. Aber der Plan war auf jeden Fall: nach dem Abi nach Berlin! Seit zwei Wochen bin ich fertig mit der Schule.

tipBerlin Was zieht dich nach Berlin?

LUNA Die Musik, natürlich. Ich hatte vor Jahren bei einem Song-Contest mitgemacht und mich verliebt in die Stadt. Auch wenn ich nicht mit der Musik erfolgreich werde, würde ich trotzdem in Berlin sein wollen. Weil ich dort ein Freiheitsgefühl habe. Das habe ich in meinem Heimatstädtchen nicht so.

LUNA, 20 Jahre alt, kommt aus einem Dorf in der Nähe von Passau, ist seit einer Weile Teilzeit-Berlinerin und zieht gerade richtig in die Stadt. Ihr Song „Verlierer“ wurde bei Youtube acht Millionen Mal geklickt. Ihre neue Single „blau“ ist eine Mutmach-Hymne aufs Anderssein. Foto: Paul Max Fischer; Assistent: Max Nieberding

Lie Ning So erleben und vergleichen konnte ich das nie, da ich schon immer in Berlin wohne. Aber ich habe angefangen, das zu verstehen, als ich anfing, viel zu reisen. Ich war in vielen anderen Städten, anderen Ländern – und habe gemerkt, wie limitiert dort zum Teil die Möglichkeiten von Menschen sind, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören. Gerade queere Menschen. Oft gibt es keine Orte für sie. In Indonesien, zum Beispiel, gibt es auch keinen Zugriff auf queere Dating-Apps. Mich interessiert das sehr: Wie leben queere Menschen an anderen Orten?

tipBerlin LUNA, in deiner neuen Single „blau“ geht’s auch darum, dass die anderen fragen, warum du anders bist.

LUNA: „Ich weiß nicht, muss man sich in Berlin noch outen?“

LUNA Ich komm ja aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Passau. Das ist halt schon was anderes als in einer Großstadt, wenn man sich outet. Ich weiß nicht, muss man sich in Berlin noch outen? Bei mir auf dem Dorf war das schon ein Riesending. Bei Leuten kommen da schon Fragen auf, wenn ein Mädchen Hoodies trägt oder sich „wie ein Typ“ verhält. Ich habe das so wahrgenommen, dass da fast schon erwartet wird, dass man sich outet. Dass man das definiert und in eine Schublade steckt. In Berlin hast du das so nicht, glaub ich. Jeder kann sein, wie er ist und sein will. Das will ich auch nach außen tragen mit dem Song „blau“. Jeder ist so perfekt, wie er ist – auch wenn er sich nicht definieren will.

tipBerlin Auf dem Dorf hattest du dann ja aber schon noch ein klassisches Coming-Out, oder?

LUNA Ja, schon. Es war bei mir in meinem Kopf auch nicht immer so wie es jetzt ist. Dass ich so offen darüber sprechen kann und mich so frei und wohl damit fühle. Ich dachte: „Oh Gott, ich steh auf Frauen!“ Ich hab mich voll allein damit gefühlt, als ich 14, 15 war, hatte Probleme, mich wem anzuvertrauen. Ich hatte Schiss vor den Reaktionen. Meine beste Freundin hat, Gott sei Dank, gut reagiert. Dann hab ich es immer mehr Freunden gesagt – und irgendwann auch meinen Eltern.

Als ich dann gemerkt habe, alle fassen das positiv auf, fiel es mir durch diesen Support viel leichter, mich so zu akzeptieren und zu lieben. Das war schon ein längerer Prozess, aber ich bin auch froh, dass ich den durchgemacht habe – um nun auch Leuten zu helfen, die gerade mit sich selbst struggeln.

Lie Ning: „Ich glaube schon, dass Berlin in vielen Punkten eine freiere Stadt ist“

Lie Ning Ich finde total stark, was du gerade gesagt hast, LUNA. Auch was du dazu gesagt hast, dass man sich outet, damit einen andere in eine Schublade stecken können. Oder: sich ein Bild von dir machen können. Das ist ein super wichtiger Punkt. Ich finde es nämlich oft so schade, dass ein Coming-Out so notwendig scheint. Wir bekommen so von außen unsere Sexualität gespiegelt – was schon mal ein Problem ist, weil das bedeutet, dass deine Präferenzen an ein aktives sexuelles Verhalten gekoppelt sind. Es gibt aber auch Leute, die kein Interesse daran haben – oder sich zumindest als Jugendliche nicht sexuell fühlen.

Und wir leben in einer Welt, in der es nicht nur Männer und Frauen gibt. Sondern Menschen auf dem ganzen Spektrum. Du kannst gar nicht wissen, wer dir in deinem Leben begegnen wird. Die Offenheit zu behalten, für eine Person Emotionen zu empfinden oder vielleicht auch sexuell ein Interesse aufzubringen – das finde ich so wichtig. Das nehmen sich auch heterosexuelle Menschen oft dadurch, wenn sie in dieser Binarität denken. Das ist ein Störfaktor.

Ich glaube schon, dass Berlin in vielen Punkten eine freiere Stadt ist – aber ich glaube auch, dass Rückhalt in der Familie ein wichtiger Faktor ist. Viele Menschen haben das nicht, auch in Berlin. Es kann schwierig sein, sich vor den eigenen Eltern zu outen – weil es eben noch so stigmatisiert ist. So viele abstruse Gedanken kommen da auf.

Jahre alt und gebürtiger Berliner, macht Soul-Musik, Filme und Fotos. Sein Song „Shame“ beschäftigt sich damit, Schwarz und queer zu sein. Lie Ning wird dieses Jahr auch auf dem Berliner Festival Pop-Kultur auftreten. Foto: Paul Max Fischer
Jahre alt und gebürtiger Berliner, macht Soul-Musik, Filme und Fotos. Sein Song „Shame“ beschäftigt sich damit, Schwarz und queer zu sein. Lie Ning wird dieses Jahr auch auf dem Berliner Festival Pop-Kultur auftreten. Foto: Paul Max Fischer; Assistent: Max Nieberding

tipBerlin Rückhalt in der Familie kommt auch in deinem Song vor, LUNA. Du singst davon, wie deine Mutter dich bestärkt in deiner Andersartigkeit.

LUNA Auch mein Vater hat mich supportet. Aber ich fand die Aussage so schön: „Lass dich nicht verbiegen!“ Und das hat halt meine Mom gesagt. Das war die erste Zeile des Songs, als ich den geschrieben hab. Darauf hab ich alles aufgebaut. Weil ich die Message so wichtig finde. Man hört auch Geschichten von anderen, wo die Eltern ihre queeren Kinder zuhause rauswerfen. Aber ich wusste nach dem Coming-Out: Meine Eltern stehen hinter mir. Ganz viele fragen mich: „Wie kann ich mich bei meinen Eltern outen?“ Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich dann outet, wenn man sich bereit dazu fühlt. Dass man nichts unter Druck macht, nur weil die Gesellschaft das von einem verlangt.

tipBerlin Also auch an eine Botschaft an die Eltern queerer Kids.

LUNA Ja, das haben mir auch schon einige Mütter und Väter geschrieben. Ich hab ein TikTok-Video gesehen, wo Mutter und Sohn meinen Song zusammen gesungen haben und sich dann umarmt haben. Sowas ist voll schön! Aber es gibt viele, die noch nicht so tolerant sind. Und ich hoffe, dass auch die den Song hören.

tipBerlin Dein Song spielt auch auf Lady Gagas „Born This Way“ an, nicht? Auch da supportet die Mama ihr Kind, das anders ist.

„Ich fand den Gedanken schön, den Song zu schreiben, den ich selbst gebraucht hätte“

LUNA Oh, daran hatte ich gar nicht gedacht. Aber jetzt wo du’s sagst: stimmt! Find ich gut, dass es das jetzt auch in einem deutschen Song gibt. Als ich bei meinem Coming-Out Songs gesucht habe, die mich supporten, hab ich fast nur Englischsprachiges gefunden. Ich fand den Gedanken schön, den Song zu schreiben, den ich selbst gebraucht hätte.

tipBerlin Lie Ning, du hast einen Song namens „Shame“ – der handelt davon, sich von der Scham zu befreien, mit der die Gesellschaft einen fürs Anderssein abstrafen will.

Lie Ning Ja, total. In meinem Schreibprozess hatte das eher damit zu tun, Schwarz in Deutschland aufzuwachsen. Das hatte also eher einen Race-Kontext. Aber klar, Queerness kommt dazu. Es ist ja so wichtig, intersektional zu denken. Ich bin nicht nur eine queere Person, bin nicht nur eine Schwarze Person, sondern beides. Ich wurde deshalb unterdrückt. Das erzeugt Scham. Und Scham hindert einen daran, zu wachsen. Weil du das in deinem Kopf abspielst: diese ganzen antrainierten Ideen von dir selber. Erst wenn du das brechen kannst, kannst du dein Potential ausschöpfen. Und als Menschen in der Öffentlichkeit haben wir noch mal mehr Verantwortung, unsere Ketten zu brechen.

tipBerlin Habt ihr queere Ikonen in der Popmusik?

Lie Ning Was Berlin angeht: Lyra Pramuk macht ultrageile Musik.

LUNA Yungblud feire ich. Der läuft auch mit der Gay-Flagge über die Bühne und knutscht dort seinen Gitarristen. Dann hab ich noch Hayley Kiyoko. „Girls Like Girls“ von ihr hab ich auf Dauerschleife gehört. Girl In Red sollte man wohl auch nennen.

tipBerlin LUNA, du hast ein Regenbogen-Icon in deinem Instagram-Profil. Lie Ning, du hast auch eine Kachel gepostet mit „You Can’t Cancel Pride“.

„Dabei passiert Queerness, permanent“

Lie Ning Queerness ist ein großer Teil von mir. Der lässt sich nicht wegdenken. Aber in erster Linie bin ich Musiker, Tänzer, ich erzähle Geschichten. Dabei passiert Queerness, permanent. Sie fließt durch meine Adern und hoffentlich auch durch den Bildschirm. Manchmal wird mir aber bewusst, dass ich sie nicht genug auf den Punkt bringe.

Natürlich sind da draußen ganz viele Leute, für die es wichtig ist zu wissen: „Hey, die Person ist auch queer; die hat auch ähnliche Erlebnisse gemacht.“ Deshalb find ich auch Pride Month total existentiell. Weil es der Moment ist, in dem wir noch mal ganz deutlich sagen können, welche Erlebnisse wir gemacht haben; was sich verändern muss; wofür wir stehen.

LUNA Das kann ich auch bei mir bestätigen. Ich will nicht LUNA sein, die lesbisch ist und auch Musik macht. Sondern ich bin Musikerin, die Themen anspricht in meiner Musik, die mir wichtig sind. Unter anderem auch das. Weil: Das bin ich. Das ist eine riesige Verantwortung, aber ich find’s auch toll, dass man die Möglichkeit hat, so viele Leute zu erreichen. So viel haben mir jetzt schon geschrieben, wie sehr ihnen „blau“ hilft.

„Musik ist politischer denn je“

Lie Ning Musik ist politischer denn je. Wir erzählen persönliche Geschichten, aber jede zuhörende Person kann sie für sich neu interpretieren. Wenn mir Geschichten zugetragen werden, wie Menschen meine Songs verstehen, lerne ich sie selbst noch mal neu können. Das ist so ein Glück, so ein Geschenk!

tipBerlin Und geht ihr auf den Berliner CSD?

Lie Ning Ich will auf jeden Fall hingehen. Und ich werde die Person sein im heißesten Outfit. (lacht)

LUNA Ich war noch nie auf einem CSD. Schlimm! Das letzte Mal hat’s voll geregnet, dann kam Corona. Ich weiß ja noch gar nicht so lange, dass ich zur LGBTIQ-Community dazugehöre. Von daher wird’s auf jeden Fall Zeit, mal auf einen CSD zu gehen. Am besten in Berlin.


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Das Fotoshooting mit dem Fotografen Paul Max Fischer, LUNA und Lie Ning fand im SchwuZ statt. Unser Autor beschreibt, was er mit dem Club SchwuZ verbindet und warum er sich Fan-Socken gekauft hat. LUNA und Lie Ning dürfen hier nicht fehlen: 12 Queer-Pride-Songs aus Berlin. Die Szene in der Krise? So steht es um queere Bars und Clubs. Denn es ist nicht alles wunderbar: Unser Autor hat vor dem CSD aufgeschrieben, warum wir ihn als Zeichen der Sichtbarkeit brauchen. Mehr queere Themen findet ihr immer hier.

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