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Berlins queere Bars und Clubs: So steht es um Berlins Szene in der Krise

Klar, vielen Läden hat die Krise schwer zu schaffen gemacht. Aber queere Bars und Clubs sind doch ein Spezialfall: Viele Queers trauen sich nur hier, Händchen zu halten, sich zu küssen – und überhaupt sie selbst zu sein. Wie geht es an diesen Orten weiter?

Queere Bars wie das Silverfuture sind nicht nur Bars, sondern auch Orte zum Batterien aufladen.
Queere Bars wie das Silverfuture sind nicht nur Bars, sondern auch Orte zum Batterien aufladen. Foto: Stephanie von Becker

Berlins queere Szene: Olfe, Schwuz und Silverfuture sind nicht einfach nur irgendwelche Bars

Zwei Menschen blicken einander an durch eine Plexiglasscheibe, die leicht zittert vom Bass. Sie lächeln sich zu. Aber anfassen geht durch das Plexiglas hindurch nur sehr schwer. Beide sitzen sie bei ihrer je eigenen Gruppe Freund:innen. Getrennt durch das Plexiglas, das den Raum in „Logen“ teilt. Auch die Bar ist ähnlich wie im Supermarkt per Glas gesichert,  was den Austausch von Körperflüssigkeit und Aerosolen unterbinden soll. Es ist fast Mitternacht. Donnerstag, der 24. Juni 2021. Möbel Olfe. Der Klassiker am Kotti für queere Donnerstagnächte, vor allem für schwule Männer.

Hier können lange Wochenenden starten. Normalerweise ist es hier so voll, dass man eine halbe Stunde braucht, um vom Eingang zur Toilette zu gelangen. Heute ist es vergleichsweise leer. Alle Sitzplätze sind belegt, aber es drängt sich keine Crowd über den Floor. Am Eingang musste man einen Test oder seinen Impfpass zeigen – und Kontaktdaten hinterlassen. Casual geht anders. Die Lichter funkeln, aber die Augen der Menschen nur so halb: Nach guten alten Zeiten fühlt sich das noch nicht an.

Bars wie die Olfe und das Silverfuture oder Clubs wie das SchwuZ, das SO36 und das About Blank sind nicht einfach nur Bars und Clubs. Natürlich können die Gäste dort, wie auch sonst im Nachtleben, trinken, tanzen und Menschen treffen. Vor allem aber können sie sich hier, wenn sie queer sind, sicher(er) fühlen. Sie müssen in diesen Räumen nicht auf der Hut sein, nicht innerlich gewappnet, weil jederzeit ein Angriff auf sie passieren könnte, nur weil sie sie selbst sind und sich auch so verhalten. Weil sie ihre gleichgeschlechtlichen Partner:innen küssen, weil sie Schminke und einen Bart tragen oder weil sie Männer sind und sich auch so kleiden, aber da Merkmale sind, die sie in den Augen der Gesellschaft zur Frau machen. 

Queere Bars und Clubs: Orte zum Abschalten vom Mobbing in der Schule

„Wir scharren mit den Hufen“, sagt LCavaliero Mann, künstlerischer Leiter beim SchwuZ. „Die Veranstaltungen haben uns wahnsinnig gefehlt“, sagt Pascal vom SO36. „Wir freuen uns sehr, wenn wir bald wieder loslegen können”, sagt Party-Veranstalterin Lotte, die mit vier anderen Frauen die WET veranstaltet, eine Party explizit für queere Frauen*. Die fünf wollen noch diesen Sommer wieder eine WET veranstalten.

Zwar haben die meisten Veranstalter:innen und Betreiber:innen den Leerlauf für Umbauarbeiten genutzt – im SchwuZ zum Beispiel gibt es jetzt einen Darkroom, neue Toiletten und einen neuen Chillout-Bereich. Aber meistens fehlte den Betreiber:innen von queeren Räumen und Partys eben das Publikum so sehr wie andersherum.

Queere Bars und Clubs wie das SchwuZ sind Orte an denen sich die Batterien wieder aufladen lassen.
Könnte im Herbst wieder öffnen: das SchwuZ. Foto: Guido Woller

Und auch wenn der scheinbar endlose Corona-Winter vorbei ist und das Stadtbild nicht mehr so trostlos ist wie noch im Januar: Es ist noch lange nicht alles wie vorher. In der Olfe dürfen sich derzeit etwa 60 Personen aufhalten – ein Bruchteil der Anzahl an Menschen, die vorher die Donnerstagabende hier verbracht haben.

Kaum queere Bars und Clubs speziell für Frauen*

„Vorher sind viele Unterhaltungen dadurch entstanden, dass sich die Leute beim Vorbeigehen mehr oder weniger aus Versehen berührt haben“, sagt Grace, die in der Olfe hinter der Bar arbeitet. „Jetzt, wenn man nur von einem Tisch zum nächsten Blickkontakt aufnehmen kann, ist die Hemmschwelle, jemanden anzusprechen, viel größer.“

In den letzten zwei Wochen seien donnerstags zwar nach und nach immer mehr Gäste gekommen, sagt Grace, sodass die letzten Male eigentlich alle Sitzplätze besetzt waren. Von Anfang an richtig gut angenommen worden sei aber vor allem der Dienstagabend, der für FLINT, also für Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre und trans Personen, reserviert ist. „Vielleicht liegt das auch daran, dass die Donnerstags-Community viele Ausweichsmöglichkeiten hat, wie die Cruising-Areas in der Hasenheide. Für queere FLINT gibt es dagegen kaum Räume“ sagt Grace.

Das ist auch Lotte, der Mitveranstalterin der WET, aufgefallen, als sie vor einigen Jahren nach Berlin zog. Tatsächlich seien viele Frauen* auf sie zugekommen, und meinten, dass sie Lesbenpartys vermissten, erzählt Lotte. Das Feedback sei sehr positiv gewesen, als die sexpositive Party für FLINT dann 2019 das erste Mal stattfand. Umso herber war der Rückschlag durch Corona. „Gerade fangen wir an, für lesbisches Begehren Sichtbarkeit zu schaffen, und dann müssen wir so zurückrudern. Das war schon echt traurig“, sagt Lotte.

Für queere Menschen war der Lockdown oft härter

Aber auch für den Rest der queeren Bevölkerung in Berlin hat die Corona-Krise oft mehr Leid bedeutet als für die Mehrheitsgesellschaft. „Das war für uns alle sehr anstrengend”, sagt LCavaliero aus dem SchwuZ. „Wir konnten keine Kraft daraus ziehen, unter unseresgleichen zu sein. Zum Beispiel queere Jugendliche, die zu Hause oder in der Schule gemobbt werden, oder Queers mit Fluchtgeschichte, die nicht geoutet sind: Sie alle haben die queeren Orte und Schutzräume nicht nutzen können.”

Auch das SO36 ist einer dieser Orte, die für Queers in Berlin eine besondere Bedeutung haben. Foto: Imago/Christian Ditsch

Paul aus dem Silverfuture sagt: „Viele von uns sind gar nicht mehr rausgegangen. Zum Beispiel diejenigen, die trans und gerade in der Transition sind: Plötzlich gab es nur noch den öffentlichen Raum ohne Schutz.“

Ganz konkret fehlen außerdem Gelder, die sonst bei Solipartys zum Beispiel im SO36 oder im Silverfuture eingenommen wurden und oft geflüchteten queeren Personen mit finanziellen Problemen zugute kamen.

Doch nicht zuletzt wegen der treuen Community, die nur darauf gewartet hat, dass Räume wie das Silverfuture wieder öffnen, hat Paul keine Angst, dass das Silverfuture bald wieder laufen wird wie früher. Das Curly dagegen, der Ableger des Silverfuture im Wedding, bereitet ihm mehr Sorgen: Eigentlich hat der Senat die Bezirksämter gebeten, draußen großzügig zusätzliche Flächen für die Gastronomie zu genehmigen, zum Beispiel auf Parkplätzen. Das Curly hat aber bis heute keine Flächen für zusätzliche Sitzplätze genehmigt bekommen. „Dabei brauchen wir jeden Sitzplatz“, sagt Paul.

Ausweichen nach draußen?

Ähnliches Pech hat die Olfe: Dort isoliert die Gewobag seit Jahren Etage für Etage des größten Gebäuderiegels am Kotti, des Neuen Kreuzberger Zentrum, in dem sich die Olfe befindet. Mindestens bis September 2023 muss die Olfe deswegen auf ihren Außenbereich nach hinten raus verzichten. Trotzdem: Die Olfe ist ein gut laufender Laden. „Wirklich schlecht geht es uns nicht“, sagt Grace.

Es scheint sich eine Aufbruchsstimmung breitzumachen in den queeren Läden der Stadt. Im SO36 stehen in diesem Sommer einige queere Konzerte an, wenn auch nur mit Sitzplätzen. FLINT können bald wahrscheinlich wieder zusammen bei der WET feiern, wenn auch voraussichtlich noch ohne Darkroom. Bars wie das Silverfuture und die Olfe füllen sich wieder. Das SchwuZ plant, im Herbst wieder zu öffnen. Bis dahin können sich SchwuZ-Fans zum Beispiel mit der Schwuz-Party im Sage Beach trösten, die am 22. August stattfindet. „Wir Queers sind darauf gepolt, zu überleben und uns immer wieder neu zu erfinden“ sagt LCavaliero. „Im SchwuZ haben wir in den letzten 40 Jahren vier Umzüge gewuppt und in den 90ern die HIV-Krise überstanden, das überstehen wir auch noch, wenn wir zusammenhalten.“


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