Queer

Robin Solf: „Ich bin queer as fuck“

Robin Solf ist ein Szene-Girl: Berühmt durch die Dating Show „Prince Charming” ist der Artist aus Berlin in der queeren Szene als Dj, Moderator und Musiker bekannt. Gemeinsam mit der Drag Queen Miss Ivanka T. hostet er außerdem den erfolgreichsten queeren Podcast Deutschlands „GAG“. Im Rahmen unseres Dating-Schwerpunkts erklärt er, was Gay-Dating von heterosexuellem Dating unterscheidet. Was ist die beste Möglichkeit, um schwule Männer kennenzulernen? Und ist Berlin wirklich so offen gegenüber queeren Menschen, wie sein Ruf?

Robin trägt gerne genderfluide Looks. Sein Ziel ist es heteronormative Strukturen aufzubrechen und Männlichkeit facettenreicher zu gestalten. Foto: Niklas van Schwarzdorn

„Eigentlich wollten wir nur miteinander schlafen“

Robin Solf hat seinen Freund über Grindr kennengelernt – die Dating-App die dafür bekannt ist, schwulen Männern einfach nur zu einer schnellen Nummer zu verhelfen. „Romantisch ist das nicht“, findet Robin. „Sich beim Einkaufen kennenzulernen wäre schon süßer, oder?“ Für ihn, der schon mit 16 regelmäßig für sieben Euro mit dem Fernbus von Halle nach Berlin fuhr, stand schon immer fest: Nach dem Abi ziehe ich hierher. „Als ich die Stadt einmal entdeckt hatte, wollte ich nicht mehr weg.“ Auch wenn er sich damals einredete, er wolle aus Karrieregründen in die Hauptstadt ziehen, weiß er heute: „Eigentlich ging es mir um die Männer.“ Hier gebe es einfach eine größere Auswahl als im spießigen Sachsen-Anhalt. Und wer will schon immer dieselben Verdächtigen in seine DMs gespült bekommen?

Jeder kennt jeden

Berlin hat die größte Gay-Community Deutschlands. Daher läuft man sich auch in der Schwulenszene der Hauptstadt meist mehr als nur einmal über den Weg. Einerseits ist es toll, so gut vernetzt zu sein, andererseits hat auch Anonymität beachtliche Vorteile. Schließlich wäre jeder froh, den One-Night-Stand, der nicht mehr als das Produkt einer durchzechten Partynacht war, nie wieder sehen zu müssen, oder? „Total!“, sagt Robin. „Dieses Glück haben wir in der Gay-Szene nicht. Das ist manchmal in der Tat etwas befremdlich.“


Das SchwuZ ist nicht nur der Lieblingsclub von Robin Solf, sondern auch der bekannteste Gay-Club Berlins.
Das SchwuZ ist nicht nur der Lieblingsclub von Robin Solf, sondern auch der bekannteste Gay-Club Berlins. Foto: Imago/ Agencia EFE

„Wenn ich ins SchwuZ gehe und es kommen 500 Leute, kann ich mir sicher sein, dass ich mit 20 bis 30 davon schon mal geschrieben habe oder sogar was hatte. Aber unwohl fühle ich mich deshalb nicht. You need to make peace with it – ich glaube, das denken wir uns alle.“

Robin kann sich bei jedem Mann, den er in der Szene kennenlernt, sicher sein: Gemeinsame Bekannte haben die beiden auf jeden Fall. Und das ist noch das harmloseste Szenario. Denn dass der junge Mann mit dem schönen Lächeln auch schon mit seinem besten Freund, Ex-Lover, oder Podcast-Kollegen geschlafen hat? Definitiv nicht unwahrscheinlich.

„Ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“

Kennt man sich untereinander, bleibt eines meist nicht aus: Es wird viel geredet. Das kann unter Umständen auch mal zu Spannungen oder Dramen führen. Im Großen und Ganzen seien die meisten queeren Menschen aber sehr sexpositiv, erklärt Robin. „Ich glaube dadurch, dass wir uns notgedrungen viel mehr mit unserer Sexualität beschäftigen als Heteros, sind wir sexuell oft auch offener und experimentierfreudiger.“

Ist das der Grund, warum einige schwule Männer gerne aus monogamen Beziehungen ausbrechen? „Ich denke schon“, sagt Robin, der selbst in einer offenen Beziehung lebt. Wenn man sowieso nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, verspürt man auch weniger Druck, sich anzupassen. „Wir sind so oder so anders als die Mehrheit der Gesellschaft – ob wir wollen oder nicht. Das schenkt einem auf wundersame Weise auch sehr viel Freiheit.“

„Das SchwuZ ist mein Wohnzimmer“

Alle (queeren) Berliner:innen kennen ihn: den Kiez rund um den Nollendorfplatz. Und auch wenn dort natürlich nicht jeder Mann, der einem auf der Straße entgegenkommt, schwul ist, lebt hier eine hohe Population an gleichgeschlechtlich liebenden Männern. Direkt am Nollendorfplatz befindet sich auch Robins Lieblingsbar, die Heile Welt, die er genauso wie das SchwuZ, den angesagtesten Gay-Club Berlins, liebevoll sein „Wohnzimmer“ nennt. „Hier fühle ich mich einfach wohl“, sagt er.

Eine Regenbogenflagge schmückt den den Bahnhof der U-Bahnstation Nollendorfplatz. Der Nolldendorfkiez ist ein beliebtes Viertel der Berliner Gay-Community. Hier ist auch die Lieblingsbar von Robin Solf. Foto: Imago/Emmanuele Contini

Bei der Femme Top, einer regelmäßig im SchwuZ stattfindenden Partyreihe seiner Podcast-Kollegin und Dragqueen Miss Ivanka T., ist er sogar Resident DJ. Wenn Robin nicht gerade im SchwuZ tanzt, verbringt er seine Nächte gerne im KitKat – vor allem, wenn die Revolver Party stattfindet. Das Berghain findet er allerdings ein bisschen overrated: „Ich war schon seit Jahren nicht mehr dort“, sagt er.

Wenn Flirten zur Mutprobe wird

Den Typen in der U8 oder den Mann mit den leuchtend blauen Augen an der Supermarktkasse nach der Handynummer fragen? Die selbstbewusste Barkeeperin? Gedacht haben wir uns das vermutlich alle schon einmal, und zwar deutlich häufiger, als wir uns dann tatsächlich getraut haben. Einen Korb zu kassieren wäre nämlich ziemlich peinlich. Für queere Menschen schwingt außer der Scham aber noch ein anderes Gefühl mit: Angst. Denn wenn man Pech hat, erwischt man einen Mann, der sich durch einen Flirtversuch ganz schön auf den Schlips getreten fühlt.

Homophobe Männer, von denen es in Berlin auch heute noch viel zu viele gibt, reagieren oft aggressiv. Warum? Sie fassen es als Beleidigung auf, so eingeschätzt worden zu sein, als könnten sie auf Männer stehen. „Ich hätte Angst, einen Mann, der mir gefällt, einfach auf der Straße anzusprechen“, sagt Robin. Schließlich könne ihn sein Gaydar, der geschulte Blick von schwulen Männern, Gleichgesinnte zu erkennen, immer mal täuschen. „Das ist super schade. Man könnte sich stattdessen einfach über das nette Kompliment freuen, auch wenn man heterosexuell ist. Aber das ist leider die Gesellschaft, in der wir leben.“

„Wir brauchen die Clubs

„Wenn ich die Straße runter laufe und mir 100 Männer entgegenkommen, muss ich davon ausgehen, dass fast keiner davon auf dem gleichen Ufer ist wie ich. Das verkompliziert das ganze Dating-Thema natürlich total.“

Steht man auf das andere Geschlecht, gehen viele per se davon aus, dass es dem Gegenüber auch so geht. Ein Privileg, dem Heteros sich oft nicht bewusst sind. Im Vergleich zu anderen Städten haben Berliner:innen aber zumindest einen Vorteil: Queere Clubs, Bars und Partys gibt es hier zu Genüge. Diese sind genauso wie queere Dating-Apps wie Grindr oder Raya ein Safe Space, sagt Robin. „An diesen Orten kann ich davon ausgehen, dass jeder Mann eine ähnliche Sexualität hat und mich nicht blöd anmacht, wenn ich ihm einen flirty Blick zuwerfe.“ Diese Orte bieten queeren Menschen einen sicheren Rahmen, um sich gruppieren zu können und sich zugehörig zu fühlen. Hier müssen sie ihre Identität nicht verstecken, können sein, so wie sie sind.

 „Wenn ich auf einer queeren Veranstaltung bin, weiß ich, dass alle in diesem Raum etwas Vergleichbares durchgemacht haben wie ich. Das schweißt zusammen. Wir supporten uns alle gegenseitig, deswegen identifiziere ich mich auch so sehr mit der LGBTQIA+-Community.“

Feiernde Menschen auf der Berliner Christopher Street Day (CSD) Parade 2022. Der CSD ist ein Festtag, Gedenktag und Demonstrationstag von queeren Menschen. Gefeiert und demonstriert wird für die Rechte der LGBTQIA+-Community sowie gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Foto: Imago/Future Image

Dürfen Heten in queere Clubs?

Wer als Heteros queer feiern gehen will, sollte die queere Szene unbedingt mit Respekt behandeln. Kreischende Junggesellinnenabschieds-Gruppen, die sich einmal in ihrem Leben in einem Gay-Club die Kante geben wollen, jedoch keine Sensibilität für die queere Kultur haben, sind ein absolutes ein No-Go. „Solche Aktionen geben uns das Gefühl wir sind die Bespaßung und sollen für einen Abend den Clown spielen“ – kein schönes Gefühl, sagt Robin, der selbst oft bei Gay-Partys hinter dem DJ-Pult steht. 

Solange queere Menschen diese Safe Spaces brauchen, müssen sie auch sicher bleiben. Dennoch ist Robin der Meinung, dass man offen sein und andere Leute an die Hand nehmen sollte. Denn Allys, also Heterosexuelle cis-Menschen, die die LGBTQIA+-Community unterstützen, sind essentiell um für mehr Toleranz in der Gesellschaft zu sorgen. „Ich denke nicht, dass irgendein Hetero einer homosexuellen Person den Platz wegnimmt. Im Gegenteil, ich freue mich, wenn Heten in unseren Clubs tanzen. Wenn du offen bist, dann komm gerne vorbei und lern unsere Kultur kennen.“

Sexuelle Übergriffe und Slutshaming sind auch in der queeren Community ein Problem“

„In der Gay Community habe ich schon sehr viele Übergrifflichkeiten erlebt“, sagt Robin. „Vor allem ungefragte Nacktbilder und Dickpicks sind ein Riesenproblem.“ Er erzählt außerdem, dass ihm beim Feiern schon oft ungebeten von einem anderen Mann an den Po oder in die Intimzone gefasst wurde. Er setzt ein klares Statement: „Mit sexueller Übergriffigkeit müssen wir uns in der queeren Community unbedingt auseinandersetzen. Es muss wieder mehr Consent geben. Consent ist sexy!“

Dass patriarchale Strukturen ausschließlich in einem heteronormativen Kontext auftauchen, ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Daher ist Slutshaming, trotz der sexpositiven Lebensart vieler, auch in der schwulen Community ein verbreitetes Thema. „Über mich haben früher einige Schwule gesagt ich sei eine Schlampe, Nutte oder Hure, weil ich Sex mit mehreren Männern hatte“, sagt Robin.

„Vor allem in der queeren Community finde ich Slutshaming nicht nur sehr traurig, sondern auch paradox. Viele von uns haben einen Leidensweg, ein Outing und jahrelange Kämpfe hinter sich, um ihre Sexualität ausleben zu können. Dieser ganze Schmerz, nur um sich dann selbst zu maßregeln und andere zu verurteilen? Das geht nicht in meinen Kopf rein.“

„Du eklige Schwuchtel“ – Wenn U-Bahn fahren zum Albtraum wird

Robin, der gerne mal extravagante und genderfluide Looks trägt, wurde schon häufig auf der Straße angefeindet. „Wenn dein Äußeres den Verdacht erweckt, du könntest queer sein, musst du mit homophoben Sprüchen und auch verbalen und körperlichen Angriffen rechnen“, sagt er – selbst in Berlin. Denn auch wenn er sich sehr glücklich schätzt hier zu leben, gibt es in einer so großen und durchmischten Stadt alles, „viele super offene und tolerante Menschen, aber eben auch Proleten und homophobe Idioten“. Ein Grund, wieso er einen großen Bogen um öffentliche Verkehrsmittel macht. Vor allem nachts.

Robin Solf trägt einen genderfluiden Look inklusive Lidschatten.
Robin Solf trägt einen genderfluiden Look inklusive Lidschatten. Foto: Niklas van Schwarzdorn

Er erzählt, dass er viele Freund:innen hat, die ihre Identität, so gut es geht, verstecken, wenn sie mit den Berliner Öffis unterwegs sind. „Übergroße Mäntel und Mützen, um Outfits und gefärbte Haare zu kaschieren, und eine Sonnenbrille, damit niemand den Lidschatten unter den Gläsern erkennen kann, sind an der Tagesordnung.“

Dabei wäre gerade die Sichtbarkeit von queeren Menschen so wichtig, um Gleichgesinnten Mut zu machen. Angesprochen auf seinen aktivistischen Einsatz für die Rechte der queeren Community und seine politische Wirkung reagiert Robin bescheiden.

 „Ich glaube die Repräsentanz von queeren Personen, die sich zeigen, wie sie sind, ist superwichtig. Ich freue mich, wenn mein Content jungen Leuten helfen kann, die auch gay sind und sich nicht trauen ihre Sexualität zu leben und zu zeigen.“

„Die queere Szene in Berlin hat eine besondere Magie“

Ob Robin Solf heute wieder nach Berlin ziehen würde? Auf jeden Fall. Denn auch wenn hier nicht alles perfekt ist, ein Leben in einer anderen deutschen Stadt kann er sich nicht vorstellen. „Berlin ermöglicht mir immer noch am meisten, mich so zu zeigen, wie ich bin. In keiner anderen Stadt hätte ich mich so entfalten können.“ – Da ist er sich sicher. 

Doch wenn wir unserem Titel der LGBTQIA+-Hauptstadt gerecht werden wollen, muss sich auch in Berlin noch einiges ändern. Sodass queere Menschen in unserer Stadt genauso angstfrei und unbekümmert leben und lieben können wie Heterosexuelle.


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Robin Solf hat euch neugierig gemacht und ihr wollt wissen wie das Berliner Dating-Leben als homosexuelle Frau ist? Wir haben Elsa Louise Werner gefragt.

Berlin ist eine queere Stadt. Bei uns erfahrt ihr alles über News, Trends, Veranstaltungen und alles was die LGBTQIA+-Szene betrifft. Auch lesenswert: Queere Orte in Berlin: Clubs und Bars, Buchhandlungen und Sexshops. In Berlin gibt es eine Menge beliebte queere Bars: Hier stoßen wir auf Vielfalt an. Außerdem haben wir für euch einen Guide für den Regenbogenkiez in Schöneberg zusammengestellt.

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