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Pop-up-Bar Stueck in Neukölln: Ein Zeichen gegen Queerfeindlichkeit

Februar 2024. Nach „vier wunderbaren Jahren“ schließt die Bar Butter und Korn in der Pannierstraße 57 in Neukölln. Noch im Folgemonat eröffnete die Stueck Bar aus Kreuzberg ein Pop-up in der leerstehenden Bar. Die Idee: Mehr Raum für flinta* Veranstaltungen. Der Begriff Flinta*s steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgeschlechtliche und agender Personen. Das Pop-up wurde seitdem zwei Mal angegriffen. Queerfeindlichkeit verschont auch sie nicht. Traurig, aber kein Grund zu gehen: Das Team und ihre Gäst*innen bleiben sichtbar, leisten Widerstand, veranstalten Solidaritätsevents und lassen die Bar geöffnet. Jeden Samstag.

Das Stueck-Team aus der Schlesischen Straße arbeitet auch im Pop-up in der Pannierstraße. Foto: Stueck

Der Stueck-Pop-up schafft mehr Raum für Flinta*

Montagnachmittag. Betreiberin Romy sitzt mit einer Limo in der einen und einer Kippe in der anderen Hand auf einer wackligen Holzbank vor ihrer Bar. Bevor sie zu erzählen beginnt, zieht sie noch ein letztes Mal an ihrer selbstgerechten Kippe, trinkt von ihrer Limo ab. Erst den Abend zuvor war hier noch großes Aufgebot, wie sie stolz mitteilt. Zum ersten Mal fand außerhalb des wöchentlichen flinta*-Samstags eine „Sunday-Hangout“ statt. Das Nachmittagsevent zog sich bis in den Abend. Ziemlich erfolgreich fürs erste Mal. Vielleicht machen sie sowas nun öfters, denkt Romy laut. Von dem ganzen Trubel ist zwölf Stunden später nichts mehr zu spüren. Auch nicht von den nervenaufreibenden Wochen, die die Bar, das Team und Romy hinter sich haben.

Kreuzberger Stueck ist eine feste Instanz im queeren Berlin

Die Mutter des Reuterkiez-Pop-ups ist das Stueck in Kreuzberg. Direkt neben der urigen Bar Zur Fetten Ecke und der dauerbespielten Konzertvenue Lido wurde im Jahr 2022 das Stueck eröffnet. Inzwischen ist sie eine feste Instanz im queeren Berliner Bar-Kosmos. Besonders erfolgreich sind die Donnerstagabende, an denen die Bar zum exklusiven Raum für Flinta* wird. „Letztes Jahr ist das Stueck schon beliebt und voll geworden. Und deshalb haben wir uns [dieses Jahr] gedacht, auf Anfrage der Stammgäst*innen, dass wir einen größeren Raum brauchen und das vielleicht auch gerne mal am Wochenende, weil es in Berlin keine Räume für regelmäßigen flinta* Veranstaltungen am Wochenende gibt.“ Für das Stueck-Team ein klares Zeichen: Sie müssen sich ausbreiten.

Ein Monat voller Anschläge

Die Stueckis, wie Romy ihre Stammgäst*innen liebevoll nennt, nahmen den neuen Standort im Reuterkiez mit offenen Armen in Empfang. Und: „Die Community wächst total. Es sind ganz viele neue Gesichter. Gerade weil wir halt hier in einem anderen Kiez sind.“ Zunächst schien alles gut. Bis sich queerfeindlichen Stimmen gewaltvoll meldeten.

Als das erste Mal Terrassenwetter war, waren wir natürlich auf einmal sehr sichtbar hier.

Romy, Betreiberin vom Stueck

Der erste Reizgasangriff auf die Pop-up-Bar wurde bereits kurz nach der Eröffnung verübt: „Als das erste Mal Terrassenwetter war, waren wir natürlich auf einmal sehr sichtbar hier. Unser Flinta*-Samstag ist dann auch schnell übergelaufen. Zudem haben wir sehr extrovertierte Stammgäst*innen, die auf jeden Fall sichtbar queer sind. Das ist super schön und bunt.“ Sie waren nicht mehr, wie in den kälteren Wochen zuvor, im Innenraum der Bar zurückgezogen. Ein Level an Sichtbarkeit, das nicht von allen kommentarlos akzeptiert wurde. Die Gäst*innen und das Team bekam diese Ablehnung gefährlich nah zu spüren. Als sich das Reizgas an dem besagten Samstag ausbreitete, rannten alle panisch in den Innenraum. Neben dem Gas lag auch viel Verwirrung und Panik in der Luft. Romy und ihr Team waren alamiert, die Polizei eingeschaltet, doch, dass es sich um eine queerfeindliche Tat handle, sollte erst in den darauffolgenden Wochen deutlich werden.

Der Anschlag auf den Pop-up markierte nur den Anfang. Eine Woche später wurde das lesbische DJ-Paar Kim Ann Foxman und Cora Koala am helllichten Tag auf offener Straße, Ecke Pannierstaße/Höhe Thielenbrücke, attackiert. Mehrmals wurden sie von zwei Personen geschlagen und zu Boden getreten. Niemand kam ihnen zur Hilfe. Es war ihr einjähriges Jubiläum als Paar.

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In der darauffolgenden Woche wurde das Pop-up erneut Schauplatz für queerfeindliche Gewalt. Dieses Mal wurde Gäst*innen gezielt angegriffen. „Das war der Moment, als wir gemerkt haben, das ist hier alles nicht mehr so sicher. Wir haben uns erschrocken“, erzählt Romy bedrückt und ergänzt bestimmt: „Der Ton im Raum zwischen den Gäst*innen und im Team war trotzdem: Wir ziehen das durch und wir lassen uns nicht vertreiben.“

Auf Instagram meldete sich das Team zu Wort: „Wir arbeiten gerade auf Hochtouren an einem Sicherheitskonzept, so dass wir nächste Woche um so lauter und stärker zurückkommen können. Danke für euren endlosen Support!“. Auch die benachbarte queerfeministische Kiezkneipe Tristeza in der Pannierstraße 5 verschärft daraufhin ihre Sicherheitsmaßnahmen und stellte online deutlich klar: „Wir lassen uns unsere flinta* Räume nicht nehmen!“.

Nur eine knappe Woche brauchten Romy und ihr Team, um sich mit den umliegenden queeren Gastronomien zusammenzuschließen, ein Komitee aufzustellen und eine gigantische Solidaritätsveranstaltung zu organisieren. Ein Zeichen setzen im großen Maße. Sie ließen dafür den Abschnitt der Pannierstraße sperren. Unter dem Motto „queer celebration remains resistance“ sorgten sie an dem Tag für besonders viel Sichtbarkeit. Die Straße war voll mit Queers und Allies, die alleine durch ihre Präsenz Widerstand leisteten. Der Tag zeigt nochmals deutlich, dass das Bar-Pop-up nicht alleine dasteht.

Wer hilft?

Es ist und bleibt ein strukturelles Problem, an dem wir alle arbeiten müssen, bringt Romy es auf den Punkt. Eines, das sie nicht auf eine bestimmte Gruppen oder einen bestimmten Kieze beschränken will. Für sie sei es kein Neukölln-Problem, sondern ein Problem, das es auf der ganzen Welt gebe.

Es gibt einfach keine Schutzkonzepte für queere Räume.

Romy, Betreiberin vom Stueck

„Ich denke, die Streife, die man in dem Moment ruft, die hat noch einiges zu lernen. Da ist viel Luft nach oben, sensibel in Räume zu kommen und sich zu kümmern. Das ist kein Geheimnis, dass die Polizei da noch einiges zu lernen hat“, fasst Romy ihre Erlebnisse mit polizeilicher Hilfe zusammen. Beim Staatsschutz habe sie bessere Erfahrungen gemacht. Die zuständigen Personen vor Ort sollen selbst teilweise queer gewesen sein und gewusst haben, dass man beispielsweise beim ersten Kontakt nach Pronomen fragt.

Viel Hilfe bei der Erstellung eines Sicherheitskonzepts für das Stueck gab es nicht: „Ich hatte in vielen Momenten das Gefühl, dass auch den Leuten dort ein bisschen die Hände gebunden waren und sie gar nicht so richtig wussten, wo sie Hilfe für uns suchen können. Ich saß dann beim Staatsschutz und habe darüber gesprochen, dass ich mich jetzt um ein Sicherheitskonzept kümmere und gefragt, ob es Anlaufstellen gibt. Damit waren sie ziemlich überfragt. Haben dann wild rumtelefoniert und wurden von der einen Stelle zur anderen verwiesen. Es gibt einfach keine Schutzkonzepte für queere Räume.“

Die Berichterstattung von queerfreindlichen Straftaten ist dünn, die zuständigen Anlaufstellen sind überfordert, und das Hilfsangebot drumrum gestaltet sich mau. Eine Grundlage, die weder für mehr Sicherheit noch mehr Sichtbarkeit sorgt. Bis es mehr Struktur und Hilfe gibt, muss das Stueck, die umliegenden Bars und die gesamte queere und flinta* Community sich selbst organisieren und die Sicherheitsfrage größtenteils alleine beantworten. Im Moment sind weitere flinta* Samstage im Pop-up geplant. Romy und ihr Team bleiben sichtbar und sicher, also so sicher, wie man eben als queere/flinta* Person sein kann.

  • Stueck Pop-up Pannierstraße 57, Neukölln, samstags ab 19 Uhr. Mehr Infos hier.

Mehr zu queerem Leben in Berlin

Lust auf mehr queere Bars in Berlin? Hier stoßt ihr auf mehr Vielfalt. Wer wissen will, welche Bedeutung die Clubkultur für die queere Community heute noch hat, wird hier fündig. Wer als Flinta* noch tiefer ins Nachtleben eintauchen will, kann sich bei dem Berliner Kollektiv Femme Bass Mafia das Auflegen lernen. Mehr über den Begriff Flinta* und Gründe, warum jeder Tag ein feministischer Kampftag ist, könnt ihr hier nachlesen. Und zu guter Letzt: Ein groben Überblick über queere Orte in Berlin, von Clubs und Bars, bis hinzu Buchhandlungen und Shops.

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