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Kommentar

Worum es beim CSD 2022 wirklich geht: Wer, wenn nicht queer?

Berlin ist neue Heimat für viele Queers aus der ­Ukraine. Aber Berlin ist auch Hotspot einer ­Debatte über die Rechte von trans Menschen. Was bedeutet all dies, wenn wir dieses Jahr am 23. Juli den Christopher Street Day feiern?

Coole Crowd auf dem CSD 2021 im Nollendorfkiez. Foto: Luka Godec

CSD. Christopher Street Day. Same procedure as eyery year? Nein, der Christopher Street Day ist kein Feiertag wie Neujahr, Ostern oder Weihnachten. Er muss sich jedes Jahr neu finden, erfinden. Zwar feiern wir am CSD traditionell den Mut und die Selbstachtung der Queers (allen voran trans Frauen of Color), die bei den Stonewall Riots in der New Yorker Christopher Street vom 28. Juni bis zum 3. Juli 1969 aufbegehrten gegen queerfeindliche Polizeischikanen und -gewalt. Andererseits stellt sich aber jedes Jahr die Frage ein Stück weit neu, was das mit uns zu tun hat, heute in Berlin.

Die Realität: Jeden Tag queerfeindliche Gewalt

Berlin ist doch Regenbogenhauptstadt. Der Ort, an dem alle so sein können, wie sie wollen. Ja, so sieht sich Berlin gern. Das ist aber nur der schöne Teil der Wahrheit.

  • Treptow, 18. Januar 2021: Eine trans Frau steigt in den den Bus und wird von einer anderen Frau transfeindlich beleidigt und bespuckt, bevor sie den Bus verlässt.
  • Kreuzberg, 21. Juni 2021: Ein schwuler Mann mit Regenbogen-Aufkleber auf seinem Auto wird von einem anderen Autofahrer an der Tankstelle schwulenfeindlich beleidigt, samt einer Kopf-Ab-Geste.
  • Mitte, 21. Juli 2021: Ein 21-jähriger Berlin-Tourist wird nach dem CSD von Unbekannten getreten und ins Gesicht geschlagen. Seine Regenbogenflagge wird ihm entrissen. Er erleidet einen dreifachen Kieferbruch und kommt zur stationären Behandlung ins Krankenhaus.
  • Lichtenberg, 4. August 2021: Eine 24-jährige nicht-binäre Person wird von einem Mann mit einer Schusswaffe bedroht. Der Mann habe die Waffe gezogen, geladen und auf sie gerichtet, berichtet sie später.
Prima Stimmung beim CSD 2021. Foto: Luka Godec

Dies sind „nur“ vier von 321 Fällen, die der aktuelle Berliner Report des queeren Anti-Gewalt-Projekts Maneo für 2021 dokumentiert. 321 ausführlich dokumentierte von 731 insgesamt bekannten Fällen. Jeder Tag in Berlin also: zwei solcher Hässlichkeiten, im statistischen Schnitt. Und das ist nur die bekannte Spitze des Eisberges. Viele Opfer schämen sich, queerfeindliche Gewalt gegen sie zu melden. Perfide.

Das ist unsere Regenbogenhauptstadt. Auch die Spandauer Rapperin Jnnrhndrxx, die wir aktuell auf dem Cover unserer Ausgabe zum CSD zeigen und die wir für unsere Titelstory porträtiert haben, weiß von ihrem Trauma zu rappen, das sie als trans Frau erlitten hat – auch wenn sie mittlerweile selbstbewusst mit ihrer Identität umgeht.

Community und Freiheiten

Und trotzdem stimmt es ja auch: Dass die Freiheiten und die Community, die Queers in Berlin finden, global betrachtet so groß und so schön sind, dass viele sie als „paradiesisch” empfinden – etwa Jessica Voss, 23, eine trans Frau aus der Ukraine, die vor drei Monaten hier ankam, vor dem Krieg nach Berlin geflohen – so wie schätzungsweise mehr als 10.000 weitere Queers, nicht zuletzt aus Angst vor einer potenziellen queerfeindlichen russischen Besatzungsmacht. Wir haben für unsere Story einige geflüchtete Queers aus der Ukraine getroffen – und auch mit Menschen gesprochen, die ihnen beistehen.

Auch beim Berliner CSD findet man stille Oasen. Foto: Luka Godec

Dass viele Menschen, die trans sind, wie die von uns porträtierte Rapperin Jnnrhndrxx oder auch viele andere im Maneo-Report genannte Personen, sich nicht sicher fühlen, ist auch Ausdruck dessen, dass unsere Gesellschaft sie nicht genug schützt. Sogar Menschen, die sich als links und feministisch verstehen, agieren dezidiert transfeindlich. Wir haben darüber nachgedacht, warum der Umgang mit trans Frauen die ganz große Bewährungsprobe für den Feminismus dieser Tage ist.

„United in Love. Gegen Hass, Krieg und Diskriminierung” lautet das Motto der CSD-Demo 2022 – und das ist doch eine gute Antwort: Die Riots von 1969 haben uns auch heute viel zu sagen, weil die Menschen sich united gegen Gewalt gewährt haben. Mit trans Frauen an der Spitze, die für die Menschenrechte der anderen mitkämpften. Es wäre höchste Zeit, solidarisch zu sein. Wer, wenn nicht wir? Wer, wenn nicht queer?


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