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Gegen Rassismus bei der Polizei: Wie eine NGO Whistleblower unterstützt

Rassismus und Mobbing bei der Polizei sind weit verbreitet. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, eine NGO aus Berlin, durchbricht die Mauer des Schweigens – und bringt Whistleblower zum Reden.

Immer wieder ist besonders die Berliner Polizei wegen Racial Profiling in der Kritik. Foto: Imago/A. Friedrichs

Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) ist eine kleine Sensation

Die Gruppierung, die den Gestrigen bei der Polizei das Fürchten lehrt, schaltet und waltet in einem Gewerbehof im Wedding, in der Nähe von Schering-Haus und BND-Zentrale. Und zwar im vierten Stock eines Gebäudetrakts, der auch anderen NGOs Basisstationen bietet.

Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) nennt sich diese Organisation. Sie hilft Bürgerinnen und Bürgern bei juristischen Konflikten, die Grund- und Menschenrechte tangieren.

Ein noch frisches Projekt ist eine kleine Sensation im Konflikt zwischen der Zivilgesellschaft und staatlichen Institutionen, die Rechtsnormen verletzen.

Am besten ist man mit zwei Volljuristinnen der Gesellschaft für Freiheitsrechte verabredet: Laura Kuttler, 37, und Franziska Görlitz, 29, sind zuständig für die Initiative „Mach Meldung!“, die so fulminant gestartet ist. Sie unterstützt Polizistinnen und Polizisten dabei, als Whistleblower über Missstände in den eigenen Reihen zu berichten.

Die Bilanz ist beachtlich: Schon jetzt haben ihnen zwischen 20 und 30 Gesetzeshüter von Fehlverhalten in Polizeikreisen berichtet – angeregt vom Online-Portal des Projekts. Darunter Beamte aus der Hauptstadt und anderen Bundesländern. Es geht dabei um Mobbing, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung. „Mach Meldung!“ ist im Oktober 2023 ins Leben gerufen worden.

Damit bröckelt die Wagenburg der Bestandswahrer im Polizei-Apparat – zumindest ein wenig. Bislang war das Schweigen über ethische Probleme so obligatorisch wie die Dienstmarke an der Uniform. Zu stark der Korpsgeist.

Klartextsprecher gelten vielerorts als Nestbeschmutzer. Berufsverbände wie die Gewerkschaft der Polizei (GdP) oder die Deutsche Polizeigewerkschaft (DpolG) reden Xenophobie und die Verbreitung von rechtem Gedankengut klein. Kuttler und Görlitz beklagen „mangelnde Fehlerkultur“ und „strukturellen Rassismus“ .

Whistleblower bei der Polizei: Ein neues Gesetz macht Hoffnung

Der Motor für den Erfolg von „Mach Meldung!“ ist ein Rechtswerk, das seit Juli 2023 gültig ist: Das Hinweisgeberschutzgesetz gibt Menschen nötige Rückendeckung, die sich gegen ihren Arbeitgeber stellen. Sie dürfen keine Nachteile erfahren, wenn sie zum Beispiel verfassungswidrige Äußerungen oder Straftaten publik machen. Von dieser Errungenschaft der Ampel-Bundesregierung profitiert „Mach Meldung!“.

Deren Leute schenken den Informanten aus den Polizeidienststellen ihre Aufmerksamkeit, geben Tipps – und vermitteln zu Anwälten.

Eine Website steigert den Bekanntheitsgrad des Projekts, auch Youtube-Videos. An Ausbildungsstätten der Polizei werben die Fachleute außerdem für diese Neuheit; manchmal hören sie sich dort auch gleich den Kummer von frustrierten Cops an. Hunderte Beamte haben sie somit erreichen können. Ein Booster: Ein ehemaliger Bundespolizist namens Paul Rabe assistiert den Juristen als Fellow. „Diese Personalie gibt uns Street Credibility“, sagt Laura Kuttler.

Polizisten, die von Problemen berichten, müssen schließlich folgenden offiziellen Weg gehen: Sie können ihren Fall intern melden, gegenüber einem Vertrauensanwalt der Polizei. Oder sie klopfen beim Bundesamt für Justiz in Bonn an. An diesen Meldestellen wird die rechtliche Taxierung des Falls übernommen. Beweismittel, etwa Dokumente, kommen ins Spiel – und der Sachverhalt wird erörtert. „Mach Meldung!“ ermutigt zu diesen Schritten.

Um näher zu verstehen, wie das neue Angebot für Wirbel sorgt, muss man sich bloß die Geschichte von Abdel* anhören.

Abdel, ein junger Kommissar, der auf den Straßen Berlins als Streife unterwegs gewesen ist, machte seinen Diskriminierungserfahrungen publik – dank des Beistands von „Mach Meldung!“.

Vor einem Massenpublikum machte er Vorwürfe öffentlich, in der ARD-Doku „Die Polizei und der Rassismus – Alles nur Einzelfälle?“, publiziert in diesem Spätsommer. Mit unverpixeltem Gesicht. Er berichtete von Anfeindungen gegen ihn wegen seiner migrantischen Wurzeln, die Kollegen getätigt haben sollen.

Mehrmals sei er demnach von anderen Beamten wegen seines nichtdeutschen Familienhintergrunds verächtlich gemacht worden. Ein Beispiel: Nach den sexuellen Angriffen junger Männer auf Frauen an der Kölner Domplatte zum Jahreswechsel 2015/16 soll ein Kollege geätzt haben: „Hey Abdel, warst du bei der Silvesternacht dabei?“ Woraufhin die Gruppenführerin offenbar noch einen Spruch draufgesetzt hat. Sie habe gespottet: „Haha, der Grabscher!“

Whistleblower bei der Polizei: Das Gaslighting der Führungskraft

Abdel, ein Berliner mit marokkanischem Background, der auf der Polizeihochschule in Spandau studiert hat, vertraute sich einer Führungskraft an. Seinen Schilderungen zufolge hat sie – kurz zusammengefasst  – auf diese Weise reagiert: Er sei zu sensibel. Sie empfahl ihm den Besuch eines Psychologen. Ein Indiz für Gaslighting.

Abdels Aufschrei ist eine Rarität in der deutschen Polizeigeschichte. „Mach Meldung!“ hat diesen Coup überhaupt erst möglich gemacht. Nach seinen schmerzhaften Erfahrungen hatte Abdel die Troubleshooter aus dem Wedding kontaktiert – und die NGO-Leute immer wieder im Café getroffen. Der Reflexionsprozess hat offenbar seine Lebensplanung verändert. Abdel will den Polizeidienst nun quittieren. Und in einen anderen Beruf wechseln.

Wie viele Meldungen inzwischen zu Rechtsfällen geworden sind, etwa weil Polizeibeamte gegen ihre Arbeitgeber geklagt haben oder aber Ermittlungen aufgenommen worden sind: Darüber lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt noch keine fundierte Aussage treffen, sagt Franziska Görlitz. Zu früh ist es. In der Tat: Das Projekt ist ja erst vor einem Jahr vom Stapel gelaufen. Abdels Fall mündete unter anderem in zwei Strafrechtsverfahren, die eingestellt worden sind. Polizeikritiker monieren, dass sich Beamte gegenseitig schützen, wenn Einheiten ins Zwielicht geraten.

Wie groß die Angst einiger hoher Tiere in den Polizeibehörden vor Whistleblowern ist, veranschaulicht eine Erhebung von „Mach Meldung!“. Laut einer Online-Umfrage unter 600 Polizisten haben 75 Prozent der Befragten angegeben, dass sie von ihren Chefs nicht in das Hinweisgeberschutzgesetz eingeweiht worden sind. Auch wenn die Aufklärung über diesen wirksamen Mechanismus verpflichtend ist.

Einen weiteren Zweifel gibt es: ob nämlich die offiziellen Meldestellen der Polizei nicht ebenfalls vom berüchtigten Korpsgeist inflitriert sind.

Für Abhilfe könnte eine unabhängige Beschwerdestelle sorgen – etwa nach dem Modell der „Independent Office for Police Conduct“ in England und Wales.


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Berlins Polizei poliert ihr Erscheinungsbild auf, indem sie sich auf Social-Media-Kanälen verstärkt präsentiert, etwa beim Twittern von Notrufen mit Einblicken in die tägliche Polizei-Praxis. Immer wieder stoßen die Beamten wegen umstrittener Vorfälle auf Unverständnis in Teilen der Gesellschaft. Typisches Beispiel: dass eine tragfähige Studie über Rassismus in den eigenen Reihen verhindert wird, auch in der Hauptstadt. Ein anderes Fiasko: Im Sommer 2021 wurde publik, dass die Behörde eine falsche Zahl von Radfahrern, die im Berliner Straßenverkehr ums Leben gekommen sind, veröffentlicht hat.

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