Viele Branchen sind vom Lockdown schwer getroffen worden – doch gerade in der Sexarbeit hat ein hoher Anteil der dort Tätigen kaum Rücklagen. Ein Fahrplan für die Wiedereröffnung von Bordellen gibt es bislang nicht. Wann das Verbot der Sexarbeit wegen der Corona-Krise aufgehoben wird, ist bisher völlig unklar. Jetzt fordern 16 Abgeordnete aus Union und SPD, Sexarbeit langfristig zu verbieten – über die aktuelle Krise hinaus. Dagegen legt der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleitungen ein eigenes Hygienekonzept vor. Auf die Hilfe vom Staat möchte er sich dabei nicht verlassen. Sexarbeitende wollen sich lieber selbst helfen.
16 Parlamentarier fordern laut der Nachrichtenagentur dpa in einem Brief an die Regierenden der Bundesländer, den Lockdown für Prostitution nicht zu lockern. Es dürfe auf der Hand liegen, dass Prostitution die Wirkung eines epidemiologischen Superspreaders habe, heißt es in dem Papier, das unter anderem der ehemalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und der Mediziner Karl Lauterbach (SPD) unterschrieben haben. Die Politiker*innen holen zum Rundumschlag gegen Prostitution aus, die sie im gleichen Atemzug grundsätzlich verbieten wollen.
Die Sexarbeiter*innen jedoch sehen sich sehr wohl in der Lage, mit dem Thema Infektionsschutz verantwortungsvoll umzugehen. „Im Gegensatz zu vielen anderen Branchen, die nun erst einen verstärkten Umgang mit Hygiene erlernen müssen, gehören vorbeugende Maßnahmen gegen Übertragung von Krankheiten zu unserem Arbeitsalltag“, sagt die Hamburger Sexarbeiterin Undine de Rivière. Hinter ihr steht der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleitungen (BesD), der gemeinsam mit Gesundheitsämtern ein Hygiene-Konzept für Sexarbeit in der Corona-Krise entwickelt hat.
Die Lage der Sexarbeiter*innen ist laut dem Berufsverband prekär. Ein Großteil könne kein Geld verdienen, solange die Arbeitsplätze — dazu zählen auch Stundenhotels, Bars und Sexclubs — geschlossen blieben. Für jene Sexarbeitende, die keinen Anspruch auf staatliche Hilfen haben, hat der Verband einen Nothilfe-Fonds ins Leben gerufen. Über 200 notleidenden Sexarbeitenden konnten aus diesem Fonds Unterstützung erhalten. Doch die Mittel des Verbands sind bald erschöpft. Besser, als wenn der Staat einspringen würde, wäre es, „wenn wir uns selber helfen können, indem wir wieder unserer Arbeit nachgehen können“, sagt Lilli Erdbeermund, die Pressesprecherin des BesD.
Hygiene und Anerkennung statt Verbot von Sexarbeit in der Corona-Krise
Die Parlamentarier*innen argumentieren, dass die Wiedereröffnung der Bordelle diesen Frauen nicht helfen würde. Was ihre Lage radikal verbessern würde, wäre eine Ausbildung oder Tätigkeit in einem existenzsichernden Beruf.
Der Sexarbeiter*innen-Verband dagegen fordert die Gleichbehandlung von Sexarbeit mit vergleichbaren körpernahen Dienstleistungen. Es bestünde im Sinne der Übertragung und Bekämpfung des Corona-Virus kein Unterschied zwischen einer nichtmedizinischen und einer erotischen Massage. „Auch unsere Branche möchte Licht am Ende des Tunnels sehen“, sagt Johanna Weber, politische Sprecherin des BesD. „Seit der Einführung des Prostitutionsgesetzes gehört es zu den erklärten Zielen der Regierung, auf die Entstigmatisierung von Sexarbeiter*innen hinzuwirken.“ Sie sieht hier eine Chance, für mehr Gleichberechtigung zu sorgen.
Weiterhin plädiert der BesD für eine geordnete Öffnung aller Bereiche der Sexarbeit in der Corona-Krise unter Anwendung entsprechender Hygiene-Konzepte. Dabei geht es auch um eigenständige Sexarbeitende, die außerhalb von Prostitutionsstätten an der Armutsgrenze leben. Der Großteil arbeite zwar in Bordellen, doch müssten die Betreiberverbände selbst nach dem Prostituiertenschutzgesetz für die Hygiene in ihren Häusern sorgen.
Mit Mundschutz und Desinfektionsmittel ins Bett
Das Hygienekonzept des Verbands schreibt das konsequente Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung vor. Menschen, die auf dem Straßenstrich arbeiten, würden aber nicht über finanzielle Mittel für einen Vorrat an Masken oder Desinfektionsmittel verfügen. Die Kosten für jene Dinge „sollte nicht zu Lasten der knappen finanziellen Mittel in den Beratungsstellen fallen, sondern aus öffentlichen Mittel getragen werden“, heißt es beim Verband.
Zur Rückverfolgung von Infektionsketten müssten Kontaktdaten aufgenommen und aufbewahrt werden, heißt es in dem Konzept weiter. An erotischen Dienstleistungen sollten sich nie mehr als zwei Personen beteiligen. Orale Praktiken seien tabu, denn die Mund-Nasen-Bedeckung dürfe nicht abgenommen werden. Eine zu große Nähe zum Gesicht des*der anderen müsse vermieden werden, eine Armlänge ist hier das Maß. Auch bei Stammkunden sei von Begrüßungsritualen abzusehen.
„In Sanitärräumen sind Händedesinfektionsmittel, Flüssigseife und Einmalhandtücher zur Verfügung zu stellen.“ Weiter führt der Berufsverband aus, Sanitärräume seien vor jedem Kund*innentermin zu reinigen. Und sowohl vor als auch nach der erotischen Dienstleistung sei das Duschen beider Beteiligten notwendig.
Realität der Sexarbeit in der Corona-Krise
Inwieweit die Punkte des Hygienekonzepts tatsächlich in der Praxis eingehalten werden können, ist schwer zu sagen. Für den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleitungen geht es darum, den Lebensunterhalt der Sexarbeiter*innen zu retten, der mit der Corona-Krise nahezu vollständig weggebrochen ist. Sie sind um einen schnellen Weg zurück zur Duldung der Sexarbeit bemüht, denn das scheint wohl die einzige Hilfe zu sein.
Mehr zu den Entwicklungen in der Corona-Krise:
Das Schlimmste in der Corona-Krise scheint überstanden zu sein. Wie nun das Leben in Berlin aussieht, zeigt unsere Bildergalerie. Auch die Berliner Bäder machen uns Hoffnung. Am 25. Mai wollen sie schrittweise wieder mit Hygiene- und Abstandsauflagen öffnen. Die Tage des Flughafen Tegel hingegen sind gezählt. Die Schließung ist ab 15. Juni möglich – und ein Comeback unwahrscheinlich.