„Mein Hobby ist sinnvoll: Ich helfe in meiner Freizeit anderen Menschen“, sagt Michael Neiße. Er ist Experte für sicheres Baden: Der ehrenamtliche Sprecher und Rettungsschwimmer der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Berlin erzählt, dass auch seine Eltern Rettungsschwimmer*innen gewesen seien, ihn das Helfen am und im Wasser daher schon sein ganzes Leben begleite.
Pro Wochenende sind ungefähr 250 der rund 900 ehrenamtlichen Rettungsschwimmer*innen in Berlin im Einsatz. Unter anderem sitzen und stehen sie an den 26 Wasserrettungsstationen auf Türmen oder am Steg, wo sie das Treiben im Wasser überblicken. Dort weht dann eine DLRG-Flagge im Wind. Außerdem fahren die Ehrenamtlichen zu Badeunfällen an innerstädtischen Gewässern. Berlinweit engagieren sich rund 1.600 Ehrenamtliche. Im Interview mit tipBerlin erklärt Neiße, wie man sicher badet, selbst das Risiko für Badeunfälle reduzieren kann – und wie man sich verhalten sollte, wenn jemand beim Baden in Not gerät.
tipBerlin Herr Neiße, wie viele Einsätze gab es vergangenes Wochenende in Berlin?
Michael Neiße Wir hatten rund 150 Einsätze. Dazu zählt auch eine Schnittwunde, im Querschnitt ist da alles dabei. Letztendlich sind wir zu zehn Einsätzen gefahren, wo tatsächlich Personen in akuter Wassernot waren.
tipBerlin Was sind die Gründe für die meisten Badeunfälle?
Michael Neiße In diesem Jahr war meistens Alkohol oder Übermut im Spiel. Die eigene Leistungsfähigkeit sowie die Wetterlage werden oft nicht richtig eingeschätzt.
tipBerlin Verunglücken denn mehr Erwachsene als Kinder?
Michael Neiße Es verunglücken sowohl Erwachsene als auch Kinder. Ich kann nur von Einsätzen sprechen, zu denen wir gerufen werden. Was im privaten Gartenteich passiert, bekommen wir nicht mit. In letzter Zeit verunglückten mehr Erwachsene und überwiegend männliche Personen. Leichtsinn spielt eine Rolle. Vergangenes Wochenende war bei zwei von vier Toten Alkohol im Spiel, zwei alkoholisierte Menschen konnten wir retten. Uns sind sieben Fälle bekannt, bei denen in diesem Sommer Menschen bei Badeunfällen zu Tode gekommen sind.
tipBerlin Wann wird der Badespaß für Kinder zur Gefahr?
Michael Neiße Eltern raten wir, die Kinder keine Minute aus den Augen zu lassen. Wenn kleine Kinder im flachen Wasser hinfallen, schreien sie nicht. Deswegen sollten Eltern nicht entspannt mit dem Handy spielen und sich denken, im flachen Wasser könnte nichts passieren, denn das Kind könnte Wasser einatmen. Es kam vor, dass dann andere Beteiligte ein Kind hochgehoben haben und die Mutter sich darüber aufgeregte, obwohl sie eigentlich selbst in der Pflicht gewesen wäre.
Kiesgruben, kalte Strömungen, Glassplitter: „Unsichtbare Gefahrenquellen“
tipBerlin Was kann man tun, damit es erst gar nicht zu einem Badeunfall kommt?
Michael Neiße Viele Unfälle können vermieden werden, wenn man die Baderegeln beherzt. Dass man nicht unabgekühlt ins Wasser springt oder nach dem Genuss von Alkohol schwimmen geht.
tipBerlin Gibt es Gefahrenquellen, die übersehen werden?
Michael Neiße Gerade Kiesgruben bergen ein Gefahrenpotential, weil das Erdreich abrutschen kann. Dort ist das Baden in der Regel verboten. Bevor man in ein unbekanntes Gewässer reinspringt, sollte man sich vorher erkundigen, wie tief es ist und ob man an der Stelle überhaupt baden gehen darf. Auch kalte Strömungen können gefährlich werden.
Wenn man erhitzt ins Wasser geht, von der Oberflächentemperatur auf die Temperatur des ganzen Sees schließt, dann reinspringt, könnte sich der Körper wegen einer unerwartet kalten Strömung erschrecken. Dabei kann man in Panik geraten und genauso untergehen. Manche Badestellen sehen täuschend flach aus, haben aber Kanten am Wassergrund. Jemand, der über eine solche Kante tritt, hat plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen. Glassplitter oder Schilfbestände, vor allem im Röhricht, können zu Schnittverletzungen führen. Das alles sind potentielle Gefahrenquellen, die zunächst unsichtbar sind.
„Um Hilfe rufen, andere auf die Situation aufmerksam machen, Notruf absetzen“
tipBerlin Ich stehe am Ufer und sehe, dass jemand im Wasser in Gefahr ist. Wie sollte ich mich verhalten?
Michael Neiße Erst mal um Hilfe rufen, andere auf die Situation aufmerksam machen, und den Notruf absetzen. Wenn Sie sich zutrauen, demjenigen zu helfen, schwimmerisch in der Lage sind, können und sollten Sie das tun. Jedoch muss man aufpassen, dass man selbst nicht in Gefahr gerät. Ertrinkende greifen oft um sich, packen alles, was sie zu packen kriegen. Hierfür sind unsere Rettungsschwimmer geschult, sie bringen Schwimmkörper in die Nähe der Person, im äußersten Notfall würden sie von hinten an die Person heranschwimmen.
Hilfreich kann auch ein Auftriebskörper sein, den Passanten dann werfen können, damit sich die Person festhalten kann. Das geht meistens schneller, als hinzuschwimmen. Wenn man für sich einschätzt, dass es zu riskant ist, demjenigen zu helfen, dann muss man ihn zunächst untergehen lassen, so hart sich das anhört. Aber so kann man sicher sein, dass er so erschöpft und man ihn dann rausziehen kann.
tipBerlin Fallen Rettungsringe Vandalismus zum Opfer?
Michael Neiße Es passiert, dass man irgendwo hinkommt und der Kasten, in dem ein Rettungsring hängen sollte, leer ist. Man kann die Ringe aber nicht abschließen. Vor Vandalismus können wir nur warnen und den Leuten raten, vernünftig zu sein und zu bedenken, dass sie selbst dort im Wasser sein und in Gefahr kommen könnten.
tipBerlin Wenn ich an einem See bin und den Rettungsdienst rufe, kontaktiert dieser dann die DLRG oder wenden sich Menschen direkt an Sie?
Michael Neiße Sowohl als auch. Unsere Rettungsschwimmer sind über Funk mit der Leistelle verbunden, werden von dort koordiniert. In der Leitstelle kann man direkt anrufen. Wir alarmieren dann unsere Kräfte und benachrichtigen die Feuerwehr, weil wir bei Übergabe in den Landrettungsdienst einen Rettungswagen und gegebenenfalls einen Notarzt brauchen.
Man muss beachten, dass wir nur am Wochenende und an Feiertagen im ehrenamtlichen Einsatz sind. Wenn die Bevölkerung die 112 wählt, dann bekommen wir über einen Pieper die Meldung, sodass wir über unsere Leitstelle die Kräfte dort hinschicken, die am nächsten stehen. In der Woche gehen alle ihren Jobs nach.
„Risiko durch Begrenzungen der Freibäder erhöht“
tipBerlin Gerade ist es sehr warm. Inwiefern tragen die aktuellen Temperaturen zu einem größeren Unfallrisiko bei?
Michael Neiße Das Risiko von Badeunfällen hat sich eher durch die Verordnungen erhöht. Die Schwimmbäder können nur begrenzt Badegäste einlassen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Mehr Leute an freien Seen, wilden Badestellen, an der Havel. An vielen dieser Orte gibt es keine Rettungsstellen. Dort besteht das Risiko, dass die Anfahrtswege der Retter weiter sind.
Oft muss erstmal bestimmt werden, wo genau jemand. Allein dem Einsatzdienst einen Standort mitzuteilen, stellt häufig eine Herausforderung dar. Wir raten, an die Stellen zu gehen, wo Rettungsschwimmer vorhanden sind. Die wilden Badestellen werden jedoch immer voller.
tipBerlin Hat sich denn auch Ihre Arbeit durch Hygieneauflagen verändert?
Michael Neiße Ja, wir müssen die Abstandsregeln beachten, fahren aber nach wie vor zu Unglücken und arbeiten im Team. Auf einem Boot sind meistens vier Rettungsschwimmer, alle haben bei Annäherung an Patienten einen Mund-Nasenschutz auf. Wenn einer ins Wasser geht, dann muss er ihn absetzen. Wenn jemand uns mitteilen würde, er hätte Anzeichen für eine Corona-Infektion, würden wir uns mit Schutzausrüstung nähern. Bisher mussten wir aber noch keinen infektiösen Vollschutz anlegen.
tipBerlin Ehrenamtliche Rettungsschwimmer*innen sehen viele Unglücke, potentiell traumatisierende Situationen. Gibt es eine Seelsorge?
Michael Neiße Bei einem Einsatz wie am vergangenen Wochenende, als Tote geborgen werden mussten, machen wir eine Einsatznachbesprechung. Wenn wir feststellen, dass jemand betroffen ist, haben wir die Möglichkeit, über die Feuerwehr Seelsorger zu involvieren.
tipBerlin Wer wird denn DLRG-Rettungsschwimmer*in?
Michael Neiße Das geht durch die Bandbreite weg. Wenn wir Rettungsschwimmkurse haben, sprechen wir die Leute an und fragen, ob sie Interesse hätten, ehrenamtlich tätig zu werden. Außerdem gibt es Quereinsteiger, ehemalige Rettungsschwimmer, die Zeit und Lust haben, wieder aktiv zu werden. Und dabeibleiben kann man bis ins hohe Alter. Für jeden gibt es Aufgaben.
tipBerlin Gibt es in Berlin genug ehrenamtliche Rettungsschwimmer*innen?
Michael Neiße Wir können immer Nachwuchs brauchen. In diesen Zeiten sind die Möglichkeiten der Ausbildung und des Trainings sehr eingeschränkt. Wir hoffen, dass wir deswegen in den nächsten Jahren keine Probleme bekommen. Im Moment fahren wir mit Minderbesetzung, können aber trotzdem die Stationen besetzen.
Mehr über sicheres Baden: Seen, Strände und Abkühlung
Nun ist bekannt, was man beim nächsten Badebesuch beachten sollte. Hier findet ihr deswegen die schönsten Badeseen sowie die schönsten Strände Brandenburgs. Für den Hunger zwischendurch empfehlen wir diese Restaurants am Wasser. Planschen mit den Kindern reicht? Hier eine Liste mit Wasserspielplätzen, die für Abkühlung sorgen. Auch ein leckeres Eis kann eine Abkühlung bescheren, wenn der Lieblingsbadesee aus allen Nähten platzt. Wem nach einem Eis immer noch zu warm ist, der sollte einen der kühlsten Orte Berlins besuchen.