„Wes Anderson ist nicht schwierig, sondern anspruchsvoll“, sagt Simon Weisse – und er muss es wissen: Der Berliner Miniaturmodellbauer und Requisiteur baut seit fast 40 Jahren Filmwelten für Regisseure wie Wes Anderson, Steven Spielberg oder die Wachowski-Geschwister, ganz ohne Computertechnik. Sein wohl berühmtestes Modell ist das Grand Budapest Hotel, auch im neuen Wes-Anderson-Film „Der phönizische Meisterstreich“ sind seine Arbeiten zu sehen. Ein Besuch in seiner Neuköllner Werkstatt.
Simon Weisse baut seit fast 40 Jahren Modelle für Blockbuster und Arthouse-Filme
Es ist das Grand Finale von Wes Andersons neuem Meisterstreich: Benedict Cumberbatch steht auf einem sechs Meter breiten und vier Meter hohen Staudamm-Modell und zündet eine Handgranate. Das Modell explodiert, Wasserfluten ergießen sich über die Leinwand. Simon Weisse erinnert sich, wie schwierig es war, dieses Modell zu bauen: „Zuerst hatten wir eine Holzplatte als Staudamm-Mauer verbaut, aber die wurde vom Wasser einfach weggeschwemmt. Wir mussten also nach Materialien suchen, die besonders gut brechen.“
Simon Weisse ist „Prop and Model Maker“, zu deutsch Requisiteur und Miniaturmodellbauer für Filme. Seit fast 40 Jahren baut er Modelle für Blockbuster und Arthouse-Produktionen, darunter „V wie Vendetta“, „Die Tribute von Panem“ oder den neuesten „Matrix“-Film. Zuletzt waren seine Arbeiten in Luca Guadagninos „Queer“ zu sehen, und aktuell kann man Weisses „Props and Models“ im neuen Wes Anderson-Film „Der phönizische Meisterstreich“ sehen, zu dem ihr hier die Filmkritik lest.
Mit Anderson arbeitet Simon Weisse schon seit mehr als zehn Jahren zusammen, seitdem trägt jeder Wes Anderson-Film immer auch die Handschrift des Berliner Miniaturbauers. Angefangen hat diese erfolgreiche Zusammenarbeit mit „Grand Budapest Hotel“, der 2014 ins Kino kam. Aber wie kommt ein US-amerikanischer Regisseur wie Wes Anderson auf einen Miniaturbauer aus Berlin? „Anderson hat damals im Studio Babelsberg, wo er gedreht hat, gefragt, ob es in Deutschland noch jemanden gibt, der traditionellen Miniaturbau für visuelle Effekte macht. Und über das Studio Babelsberg ist er dann auf mich gekommen“, so Weisse.
Seitdem hat der Miniaturbauer, der ursprünglich Kunst in Montpellier studierte, an jeder Wes-Anderson-Produktion mitgearbeitet. Für „Isle of Dogs“ baute er dystopische Industriekulissen, für „The French Dispatch“ ein Flugzeug und Straßenzüge, und für „Asteroid City“ einen Meteoriten-Krater, ein Ufo und einen Güterzug. Sein bekanntestes Modell dürfte aber immer noch das titelgebende, ikonisch pinke Grand Budapest Hotel sein, mehr als vier mal zwei Meter misst es.
Behalten darf Simon Weisse die Modelle nicht, nach Abschluss der Dreharbeiten gehen seine Werke allesamt in den Besitz der Produktionsfirma über und werden teilweise eingelagert, teilweise aber auch vernichtet. Ein paar Kleinigkeiten hat sich der 63-Jährige aber doch in seine Neuköllner Hinterhof-Werkstatt gerettet.
Simon Weisses Arbeit ist vielgefragt: Gerade ist der Miniaturbauer von streng geheimen Dreharbeiten in London zurückgekehrt
So steht etwa eine Obstkiste mit gelb-schwarz gesteiften Handgranaten aus „Der phönizische Meisterstreich“ auf dem Tisch – eine Requisite, keine Miniatur. Oder ein apfelgroßes Hundeskelett aus dem 3D-Drucker, es stand für den Zeichentrickfilm „Isle of Dogs“ vor der Kamera, und an der Wand hängt eine Reihe pastellfarbener Hausfassaden aus „Grand Budapest Hotel“.
Ansonsten sind die insgesamt 350 Quadratmeter Fläche größtenteils leergeräumt, bis auf die Werkbänke, Maschinen und Regale, die zum Inventar von Simon Weisses Werkstatt gehören, ist alles leergefegt. Gerade ist Weisse von Dreharbeiten in London zurückgekehrt. Um was für einen Film es sich handelt, darf er nicht sagen – in der Filmindustrie ist höchste Geheimhaltung angesagt. Ein Jahr lang haben Simon Weisse und seine Mitarbeiter an den Modellen und Requisiten für dieses Megaprojekt gearbeitet, jetzt hat Weisse erst einmal ein wenig Zeit, die Werkstatt wieder aufzuräumen.
In einem Raum im Keller stehen verschiedene 3D-Drucker, in einem anderen Raum stapeln sich Silikonformen, daneben gibt es eine Holz- und eine Schleifwerkstatt. Hier wird unter anderem mit Gips, Harz, Plastik und Holz gearbeitet, es riecht nach Farbe und anderen Chemikalien. Aus einer Kiste ragen Modellbäume und Büsche hervor, eine daumengroße, griechische Marmorsäule steht etwas verloren auf einem Tisch herum, tausende von verschiedenen Schrauben warten, fein säuberlich sortiert und aufbewahrt in einem Regal, auf ihren Einsatz; ebenso wie zahlreiche Bohrer, Sägen, Fräsen, Pinsel, Zangen und Klebebandrollen.
Wie muss man sich die Arbeit eines Miniaturbauers vorstellen? „Meistens kommen die Entwürfe für die Modelle vom Art Department, und die setzen wir dann um“, erklärt Simon Weisse. Viel kreative Freiheit haben er und sein Team in der Umsetzung nicht, aber „wenn wir mal einen Vorschlag machen, wird der auch gerne gesehen und angenommen“.
Je kleiner man baut, umso schwieriger wird es, Details herauszuarbeiten
Simon Weisse, Miniaturmodellbauer
Der Maßstab, in dem die Miniaturbauer um Simon Weisse am häufigsten arbeiten, ist 1:18, ein Autosammlerstandard. Deswegen bekomme man in dieser Größe so viel zu kaufen, vor allem Autos natürlich. Wer jetzt außerdem an Modelleisenbahn-Zubehör denkt, liegt falsch: „Eisenbahnmodelle sind im Maßstab 1:87, das ist für uns viel zu klein“, sagt Weisse. „Je kleiner man baut, umso schwieriger wird es, Details herauszuarbeiten.“
Auch im Maßstab 1:35 bekomme man viele Teile, erklärt Weisse, das ist nämlich die Größe von Militärmodellen. Aber auch dieser Maßstab ist für Weisses Arbeit fast schon zu klein: „Zu kleine Modelle funktionieren nicht für die Aufnahmen. Da hat der Kameramann ein Problem mit der Tiefenschärfe. Dann ist es vorne scharf und hinten unscharf.“ Schließlich baut Simon Weisse für die Kamera: „Es geht nicht darum, dass ein Modell schön aussieht. Es geht darum, dass es durch die Kamera gut aussieht.“
Für den letzten Anderson-Film „Asteroid City“ allerdings musste Simon Weisse große Geschütze auffahren, denn: „Everything is bigger in America“ sagt er und lacht. Der Güterzug, der gleich zu Beginn des Films durch die US-amerikanische Wüste rattert, ist im Maßstab 1:8 gebaut. Als Karosse diente ein Modellzug aus den USA, eine Art kleine Garteneisenbahn für Zug-Nerds, die sogar ferngesteuert fahren konnte. Diese Dimensionen haben Weisse ziemlich zu schaffen gemacht: „Das Ding war 50 Meter lang und super schwer, weil es aus Stahl war.“
„Hey Simon, kannst du das nicht machen?“
Zwar sei der eigentliche Bau der Miniaturen ein wichtiger Teil seiner Arbeit, sagt Weisse. „Aber wir verwenden dann fast noch mal so viel Zeit auf die Farbe und Patina, weil erst die das eigentliche Leben in die Modelle reinbringen.“ In „Der phönizische Meisterstreich“ hat Simon Weisse allerdings kaum Miniaturen hergestellt, sondern vor allem Requisiten. Dadurch, dass er und sein Team inzwischen so gut mit dem Anderson’schen Stil vertraut sind, sehen auch ihre Requisiten mehr nach Andersons Geschmack aus als die von anderen Requisiteuren. So kam etwa der Auftrag, die Handgranten zu bauen, ganz spontan: „Die haben etwas von einem prop maker in New York machen lassen, aber das hat Wes nicht gefallen. Und im letzten Moment kam dann die Anfrage: Hey Simon, kannst du das nicht machen?”
Und weil die 3D-gedruckten Handgranaten von Simon Weisse Wes Anderson so gut gefallen haben, musste er dann ganz schnell 100 Stück herstellen. Die schwarz-gelb gestreiften Handgranaten sind in „Der phönizische Meisterstreich” eine Art running gag und tauchen in fast jeder Szene auf. Ebenso wie die Zigarre, die Hauptdarsteller Benicio del Toro als Schwerunternehmer Zsa Zsa Korda am laufenden Band raucht. „Die ist aus Plastik”, erzählt Simon Weisse. „Da mussten sie nicht ständig eine echte Zigarre abbrennen.”
Weisse arbeitet zwar eng mit Regisseur Anderson zusammen. Am Set, wenn die Miniaturen abgedreht werden, sei Wes Anderson aber selten dabei. Und wie ist die Zusammenarbeit mit dem Kultregisseur? „Wes Anderson hat im Vergleich zu anderen Regisseuren sehr genaue Vorstellungen. Er ist nicht schwierig, sondern anspruchsvoll.” Die Änderungswünsche von Anderson sieht er dann meistens auch nicht als Kritik, sondern als Anregung: „Wes sagt immer: Oh, you did a wonderful job, BUT…” Man merke ihm an, dass er die Arbeit von Leuten wie Simon Weisse, den Kameraleuten oder etwa den Kostümbildnern sehr schätzt.
Wes Anderson hat im Vergleich zu anderen Regisseuren sehr genaue Vorstellungen. Er ist nicht schwierig, sondern anspruchsvoll
Simon Weisse, Miniaturmodellbauer
Wes Anderson ist wie so einige Regisseure heutzutage ein Fan des Analogen; wie etwa Luca Guadagnino oder Christopher Nolan dreht er noch auf Film und nicht digital. Simon Weisse beobachtet in diesem Trend ein Revival des Analogen. Schon Ende der 80er Jahre, als Simon Weisse mit dem Miniatur- und Requisitenbau anfing, schien diese Kunst eine aussterbende zu sein. Überhaupt eher durch Zufall in die Filmbranche reingerutscht – sein Vater war Standfotograf und arbeitete etwa für Rainer Werner Fassbinder – landete Weisse über die Requisite in der Abteilung für Spezialeffekte, in der damals noch der Miniaturbau untergebracht war. „Da habe ich alles Mögliche gebaut, Schiffe oder Wände, die explodieren”, erzählt Weisse. Der erste Film, für den er Miniaturen gebaut hat, ist Terry Gilliams „Die Abenteuer des Baron Münchhausen” von 1988. So ist Simon Weisse immer mehr in seine Miniaturnische hineingerutscht, über viel Ausprobieren und learning by doing.
Eine Ausbildung für seinen Beruf gibt es, wie für so viele Filmberufe, nicht. Manchmal kämen junge Leute von der Filmschule zu ihm, erzählt Weisse, aber denen müsse er oft erklären, dass seine Arbeit ganz analog und haptisch ist. „Die haben nur Theorie gelernt und denken, sie können das alles am Computer machen. Aber du musst dich hier wirklich schmutzig machen.” In dem circa 15-köpfigen Team aus Freiberuflern, das Weisse projektbezogen in seiner Werkstatt versammelt, sind deshalb viele gelernte Tischler, Schreiner oder Metallbauer.
Der Miniaturmodellbauer Simon Weisse arbeitete für „Grand Budapest Hotel” zum ersten Mal mit Wes Anderson zusammen
In Deutschland sind Simon Weisse und sein Team, zu dem seit einigen Jahren auch seine Tochter Lucy Weisse gehört, die einzigen Miniaturbauer. Auch europa- und weltweit gibt es nicht mehr viele, die dieses Handwerk beherrschen. Bevor Simon Weisse für „Grand Budapest Hotel” zum ersten Mal mit Wes Anderson zusammenarbeitete, hatte er durchaus Zukunftsängste: „Ich war noch bei einem der letzten wichtigen Filme dabei, wo Raumschiffe als Miniaturen gebaut wurden, „Event Horizon” 1997. Danach ging es bergab mit dem Miniaturbau.” Seit den 1990er-Jahren boomt die Computertechnik und -animation, heute sind Filme, die ohne CGI, also computergenerierte Bilder, auskommen, die Ausnahme.
Um die Jahrtausendwende verlagerte Weisse sich mehr auf den Requisitenbau, auf Waffen etwa oder medizinische Instrumente. Zurück zu seinen Miniaturbau-Anfängen gelangte er dann durch den Auftrag von Wes Anderson bei „Grand Budapest Hotel”. „Das hat uns schon bekannt gemacht. Ich meine, Leute kennen dieses Hotel, obwohl sie den Film gar nicht gesehen haben. Es hat schon viel gebracht, mit Wes Anderson zu arbeiten”, sagt Weisse. So ist auch das Grand Budapest Hotel sein Lieblingsmodell.
Die Zukunftsängste sind für den 63-Jährigen schon lange passé. Inzwischen ist er so gefragt, dass ein Projekt das nächste jagt. Zeit, an die Rente zu denken, hat Simon Weisse gar nicht, in zwei Monaten steht schon wieder das nächste Projekt an. Bis dahin kann sich der Miniaturbauer aus Berlin erst einmal von den anstrengenden Bau- und Dreharbeiten der letzten Jahre erholen – und sich etwa im Kino seine getane Arbeit anschauen.
Für diese Filmsets hat Simon Weisse unter anderem gearbeitet:
- Queer von Luca Guadagnino
- Asteroid City von Wes Anderson
- Matrix Resurrection von Lana Wachowski
- The French Dispatch von Wes Anderson
- Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil 2 von Francis Lawrence
- Isle of Dogs von Wes Anderson
- Bridge of Spies von Steven Spielberg
- Grand Budapest Hotel von Wes Anderson
- Cloud Atlas von Tom Tykwer, Lana Wachowski, Lilly Wachowski
- V wie Vendetta von James McTeigue
- Die unendliche Geschichte 2 von George Miller
- Die Abenteuer des Baron Münchhausen von Terry Gilliam
Berlin kann auch symmetrisch und pastellfarben: An diesen Orten sieht die Stadt aus wie in einem Wes Anderson-Film. Ein letztes Mal muss Tom Cruise die Welt retten: Mit „Mission: Impossible – The Final Reckoning“ geht die ikonische Actionfilmreihe zu Ende. Nicht nur Tom Cruise flaniert über den roten Teppich an der Croisette: Der neue Film von Christian Petzold „Miroirs No. 3“ lief in Cannes. Endlich mal wieder ein deutscher Beitrag im Wettbewerb von Cannes: Mascha Schilinskis Film „In die Sonne schauen“. Norwegisches Kino: „Oslo Stories: Träume“ hat den Goldenen Bären auf der diesjährigen Berlinale geholt: Jetzt kommt der Film ins Kino. Regisseur Dag Johan Haugerud stellen wir hier vor. Was läuft sonst gerade? Hier ist das aktuelle Kinoprogramm für Berlin. Unter freiem Himmel: Was in den Freiluftkinos in Berlin läuft, seht ihr hier. Mehr aus der Filmwelt lest ihr in unserer Kino-Rubrik.