Will man Small-Talk mit einem Steglitzer führen, muss man ihn nur kurz darauf ansprechen, was denn jetzt eigentlich mit dem Steglitzer Kreisel los sei. Die Misere mit der ewigen Baustelle zieht sich nun schon mehr als 64 Jahre. Herzstück des Kreisels ist das 120 Meter Hochhaus, das momentan eher wie ein Baugerüst aussieht und durch das wunderbar die Strahlen der untergehende Sonne scheinen. Die Geschichte ist eng mit den städtebaulichen und politischen Entwicklungen der Stadt verwoben. Längst ist das Hochhaus ein Wahrzeichen des Ortsteils Steglitz. Ist er auch ein noch so unterhaltendes Gesprächsthema, hat er doch eine bewegte Geschichte, die geprägt ist von ambitionierten Plänen, finanziellen Schwierigkeiten und scheinbar nie endenden Sanierungsarbeiten. Wir erzählen die lange Geschichte des Berliner Problembaus.
Die Entstehung des Steglitzer Kreisels: Durchaus überambitioniert
Das Grundstück des heutigen Kreisels war ursprünglich Teil des Gutsdorf Steglitz. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich das Gebiet städtisch, woraufhin sich ein Gasthof, dann ein Theater und später ein Kino dort ansiedelten. Nach schweren Kriegsbeschädigungen riss man die alten Gebäude ab, um Platz für einen neuen Baukomplex zu schaffen.
Das nun geplante gigantische Neubauprojekt gilt als eines der ambitioniertesten Bauvorhaben West-Berlins und läutete die Geburtsstunde des Steglitzer Kreisels ein. Doch der Kreisel sollte nicht nur ein Hochhaus mit schwindelerregenden Ausmaßen, sondern auch ein Symbol für die wirtschaftlichen Hoffnungen und die ungebrochenen Dividendenambitionen seiner Bauherren werden.
Bereits Mitte der 1960er-Jahre plante der Berliner Senat, an diesem Standort die U-Bahn-Linie U9 und die nie realisierte U10 kreuzen zu lassen, was die strategische Bedeutung des Bauprojekts unterstrich. Der Bau des Steglitzer Kreisels begann schließlich 1968 nach Plänen der Architektin Sigrid Kressmann-Zschach.
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Kreisel-Affäre: Steiler Aufstieg und tiefer Fall
Sigrid Kressmann-Zschach, geboren 1929, kam 1952 von Leipzig nach West-Berlin und gründete dort ein Entwurfsbüro. 1960 heiratete sie den 22 Jahre älteren Kreuzberger Bezirksbürgermeister Willy Kressmann (SPD), was ihr den Zugang zu einem einflussreichen Netzwerk ermöglichte. Ihr Mann setzte sich hartnäckig für die Vergabe öffentlicher Aufträge an sie ein.
1968 legte die Architektin dem Senat ausgearbeitete Pläne für den Steglitzer Kreisel vor. Trotz anfänglicher Zweifel im Wirtschaftssenat setzten sich Bausenator Schwedler und Finanzsenator Strieck für das Projekt ein, das schlussendlich an Kressmann-Zschach ging.
Kurz nach Baubeginn schaffte es das Kreisel-Projekt zum allerersten Mal durch steigende Baukosten in die Schlagzeilen. Ursprünglich wurden diese auf 180 Millionen Mark geschätzt, finanziert durch den Berliner Senat und Avalon, die Bauträgergesellschaft der Architektin. Doch das Projekt geriet ins Stocken. Stetig stiegen die Kosten an und der Berliner Senat sah sich gezwungen, ein Viertel der veranschlagten Baukosten aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Ein weiteres Viertel sollte die Berliner Industriebank AG aus Berlin-Hilfe-Mitteln beisteuern, während der Senat 33 Millionen Mark als Zins- und Tilgungshilfe bereitstellte.
Schuldenberge: Kurzzeitig stand die Sprengung des Steglitzer Kreisels im Raum
Trotz dieser Finanzspritzen blieben erhoffte Interessenten für das Gebäude aus. 1974 musste die Bauträgergesellschaft Kressmann-Zschachs Insolvenz anmelden und stand plötzlich vor erheblichen Schulden – gemeinsam mit dem Berliner Senat. Sogar die Sprengung des halb fertigen Gerüst wurde in Erwägung gezogen.
SPD-Finanzsenator Heinz Striek und Bausenator Rolf Schwedler (SPD) hatten dem Bauprojekt der Architektin leichtfertig vertraut und eine Bürgschaft über 42 Millionen Mark unterzeichnet, die nun nach Insolvenz bezahlt werden musste. Zudem waren 35 Millionen für die Verkehrsbauten im Kreisel versprochen worden und Mittel bereits geflossen.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin setzte einen Untersuchungsausschuss ein, Finanzsenator Striek musste 1975 schließlich zurücktreten – ebenso Oberfinanzpräsident Klaus Arlt, er wurde vom Amt suspendiert. Mit Kressmann-Zschach hatte er einen privaten Kurzurlaub verbracht, bevor er die Bürgschaften für das Projekt absegnete. „Weekend im Harz“ hieß es damals beim „Spiegel“, der den Geldströmen nachgeforscht hatte. Ermittlungen wegen Betrugs gegen die Architektin blieben letztlich jedoch ergebnislos.
Der teure Albtraum mit Asbest
Erst 1977 konnte das Objekt von der Firma Becker & Kries ersteigert und weitergeführt werden. Daraufhin wurden die Gebäude um den Kreisel erstmals 1980 fertiggestellt, die endgültigen Baukosten beliefen sich zu dem Zeitpunkt auf 323 Millionen Mark. Erstbezogen wurde der Kreisel vom Bezirksamt Steglitz. Während der Belegung durch das Amt wurde der Turm in den 1990er-Jahren vom Bezirk gekauft. Doch auch der schien mit dem Kauf des Hochhauses kein Glück zu haben.
Schon bald stellte sich heraus, dass das Gebäude stark mit Asbest belastet war. Anstatt einer umfassenden Sanierung wurden nur notdürftige Reparaturen durchgeführt, bis ein Gutachten 2004 das ganze Ausmaß der Schadstoffbelastung offenbarte. Eine vollständige Sanierung sei danach zufolge notwendig, um die Nutzung des Gebäudes weiterhin zu gewährleisten.
Die Kosten dafür wurden auf 82 bis 84 Millionen Euro geschätzt, was den Inhaber dazu bewog, das Bürohochhaus aufzugeben und die dort beschäftigten Mitarbeiter in andere Immobilien zu verlegen. 2007 verließen die letzten Beschäftigten das Gebäude. Der Steglitzer Kreisel verfiel in einen Dornröschenschlaf – und sollte erst Jahre später wieder daraus erwachen.
Steglitzer Kreisel: Vom vergessenen Bürohochhaus zur Luxusresidenz
Der Leerstand des Hochhauses verursachte der Stadt Berlin jährliche Kosten von mehr als 700.000 Euro, wie die „Berliner Morgenpost“ 2012 berichtete. In den 2010er-Jahren schien die Rettung aus der Kostenfalle nahe: Die CG Gruppe des Investors Christoph Gröner zeigte Interesse am Kauf der einstigen Prestige-Immobilie. Die Pläne sahen vor, das Bürogebäude in ein Wohnhaus mit knapp 330 Eigentumswohnungen umzuwandeln. Während die unteren Geschosse kleine Apartments für Studenten und Singles beherbergen sollten, waren die oberen Etagen für luxuriöse Penthouses vorgesehen.
Der Berliner Senat verkaufte den Turm schlussendlich an die CG Gruppe, die 2015 mit dem Umbau des leer stehenden Bürohochhauses in ein Wohnhochhaus begann, unter dem Projektnamen „ÜBERLIN“. 2018 wurden die Eigentumswohnungen bereits großzügig vorverkauft. Der Bezug sollte ab 2024 möglich sein, wobei allein die Gesamtkosten des Umbaus auf 180 Millionen Euro geschätzt werden.
Geplant war im Zuge dessen auch der Abriss und Neubau der Sockelgebäude des Komplexes, um Platz für neue Einzelhandel und Büros zu schaffen. Der neue Sockel sollte eine Außenhülle aus Glas und Stein bekommen.
„ÜBERLIN“ im Steglitzer Kreisel: Turbulenzen im millionenschweren Umbauprojekt
Der Grundstückseigentümer wechselte bis zuletzt von der CG Gruppe über Consus Real Estate bis zur Adler Group. Alle Eigentümer versicherten stets die Fortsetzung des Projekts, doch im März 2020 kamen die Bauarbeiten erneut zum Stillstand. Nun scheint sich auch der aktuelle Eigentümer, die Adler Group, am liebsten komplett von dem Projekt verabschieden zu wollen und den Steglitzer Kreisel zu verkaufen. Dies wurde auf der Hauptversammlung der Consus Real Estate AG, einem Tochterunternehmen der Adler Group, 2023 bekannt gegeben.
Bis dahin war lediglich der Verkauf des Sockels im Gespräch gewesen. Die Consus hatte die CG-Gruppe, den ursprünglichen Käufer des Steglitzer Kreisels, übernommen und war später in die Adler Group aufgegangen.
Rechtsstreit um die Wohnungen im Steglitzer Kreisel
2023 schaffte es der Kreisel erneut in die Schlagzeilen. Denn als neuer Eigentümer soll die Adler Group auf eigene Faust bestehende Baupläne geändert haben. Alle, die bereits eine Wohnung im Steglitzer Kreisel gekauft hatten, hätten Ergänzungsverträge unterschreiben sollen und damit in vielen Fällen für sie nachteilige Änderungen akzeptieren müssen. Der Fall vom Käufer André Gaufer erlangte zuletzt große Aufmerksamkeit. Im Jahr 2018 hatte der 58-Jährige einen Kaufvertrag für eine etwa 70 Quadratmeter große Wohnung im Steglitzer Kreisel sowie für einen Stellplatz im Parkhaus im Namen seiner Firma ProFinance GmbH unterzeichnet. Der Kaufpreis der Wohnung soll 623.900 Euro betragen haben. Laut Vertrag sollte diese spätestens bis Ende Juni 2022 fertiggestellt sein. Nun aber sei Gaufer ein neuer Vertrag vorgelegt worden sein, der weder den vereinbarten Tiefgaragenstellplatz noch den geplanten Fahrradaufzug enthalten haben soll.
Vertragsbruch der Adler Group und Gerichtsurteil
Als Gaufer diesen ablehnte und auf die Erfüllung des originalen Kaufvertrages pochte, trat die Adler Group vom Kaufvertrag zurück. Dies entfachte einen Rechtsstreit, der 2023 jedoch zugunsten Gaufers ausging. Aufgrund des Urteils muss die Adler Group nun die ursprünglichen Kaufverträge erfüllen. Zahlreiche Medien berichteten, der „Tagesspiegel“ schrieb beispielsweise „Schlappe für Immobilienriesen in Berlin: Adler Group muss Kaufvertrag für Steglitzer Kreisel einhalten“.
Der NDR veröffentlichte am 27. Juni 2022 eine investigative Recherche mit dem Titel „Immobilienpoker: Die dubiosen Geschäfte eines Wohnungskonzerns“. Dafür wurde unter anderem auch André Gaufer interviewt, als Betroffener des Immobilienpokers. Die Doku der ARD zeigt, dass Gaufers Klage nicht auf einem Einzelfall beruht und er viel mehr Opfer einer Strategie der Grundstücksspekulationen zulasten der Käufer geworden ist.
Zukunft des Steglitzer Kreisels
Eine bewegte Geschichte. Was da in Zukunft noch alles auf das Steglitzer Problembau zukommt, weiß niemand so recht. Sicher ist jedoch: Mit seinen 30 Etagen dominiert das Kreisel-Hochhaus bereits seit den 1970er Jahren den südlichen Bereich der Schloßstraße. Der Sockel der Dauerbaustelle beherbergt bis heute einen Busbahnhof der BVG, ein Hotel, diverse Ladenlokale und ein Parkhaus. Auch in Film und Fernsehen war der Kreisel bereits Drehort für den Kinofilm „Didi – Der Doppelgänger“ und die ARD-Reportage „Ungleichland“.
Trotz der erneuten Verkaufsgerüchte bestätigte die Adler Group Anfang 2024, dass das Hochhaus 2025 bezugsfertig sein solle. Das Gebäude sei mittlerweile vollständig entkernt und die Fassade zurückgebaut worden. Ob und wann die ersten Wohnungen fertig sein werden, wird sich zeigen. Die aktuelle Zukunft des Steglitzer Kreisels bleibt weiterhin ungewiss. So oder so: Der Kreisel wird den Steglitzern noch eine ganze Weile als Aufregerthema Nummer eins erhalten bleiben.
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