Seit gut einem Jahr gibt es das Essen aus unseren Lieblingsrestaurants nur noch zum Mitnehmen. Immerhin – steht die Berliner Gastronomie ja Pandemie-bedingt auf wackligen Beinen. Doch je heller die Sonne scheint, desto mehr Pizzakartons, Take-Away-Becher und -Boxen liegen auf öffentlichen Plätzen, am Landwehrkanal und an Seen herum. Die Mülleimer quellen förmlich über. Das darf nicht sein. Die ungemütliche Wahrheit ist: Auch wenn wir alle müde und angestrengt sind, müssen wir uns jetzt zusammenreißen und unseren Dreck wegräumen.
Corona schont die Umwelt – oder vielleicht doch nicht?
Zuerst die gute Nachricht. Es gibt sie tatsächlich: die guten Seite der Pandemie. Und um den eigenen Frustpegel zwischendurch wieder auf Normalnull zu bringen, ist es manchmal nicht schlecht sich in Erinnerung zu rufen, dass wegen des Virus‘ weltweit die Treibhausgas-Emissionen zurückgehen, dass die Luftqualität sich verbessert – auch in Berlin –, dass sich also wenigstens etwas tut, während wir gefühlt dazu angehalten sind gar nichts mehr zu tun…
Jetzt kommt die schlechte Nachricht. Die ökologisch positiven Auswirkungen von Corona werden mehr auf der Metaebene spürbar. Denn die Pandemie-gebeutelten Menschen in Berlin bekamen an diesem langen Osterwochenende eher einen gegenteiligen Eindruck, als sie am Hackeschen Markt unterwegs waren oder auf einer anderen beliebten Spazierroute, zum Beispiel am Landwehrkanal in Kreuzberg. Die Stadt scheint buchstäblich im Müll zu versinken.
War es hier schon immer so dreckig oder ist mir das einfach vorher nicht aufgefallen, werde sicher nicht nur ich mich gefragt haben. Was besonders auffällt: Bei einem Großteil des herumliegenden Unrats handelt es sich um Verpackungen wie Pizza-Schachteln, Take-Away-Becher und -Boxen. Während die Take-Away-Kultur für die Gastronomie als wichtiger Rettungsanker fungiert, sind wir, wie es scheint, dabei, das eigentlich schöne Stadtbild zu versauen, das Berlin uns in jedem Frühling und Sommer bietet.
Diesen Trend sollten wir schnellstmöglich wieder umkehren, denn es wird nicht besser. Die Temperaturen werden steigen, das Virus wird uns wohl auch 2021 noch den ein oder anderen Abend in der Lieblings-Pizzeria versauen.
Aber nochmal zurück zur Ausgangsfrage, die keine rhetorische war: War es hier schon immer so dreckig oder wird die Corona-Take-Away-Kultur in Berlin zum stinkenden Problem?
Mehr Müll im Freien: Es spielt eine Rolle, wie wir unseren Müll entsorgen
Thomas Klöckner von der Berliner Stadtreinigung (BSR) kann sich auf Anfrage nur auf die Zahlen des Jahres 2020 beziehen. Für 2021 liegen noch keine Daten hervor. Während der Osterzeit sei auch schon im vergangenen Jahr ein „spürbar erhöhtes Restmüllaufkommen“ zu verzeichnen gewesen, sagt er. Er vermutet, dass die „merkliche Steigerung sowohl durch die Corona-Situation als auch durch die Feiertage“ beeinflusst wurde.
Für den Frühling 2021 lässt sich zumindest konstatieren: Die Berliner Straßenreinigung verzeichnet derzeit wieder einen Anstieg von Einwegverpackungen in öffentlichen Papierkörben. „Die Kombination von Corona-Einschränkungen und schönem Wetter führt dazu, dass Menschen die Speisen und Getränke aus dem Außer-Haus-Verkauf auch im Freien verzehren sowie die entsprechenden Einwegverpackungen vor Ort entsorgen“, sagt Klöckner.
Die BSR habe bereits im Vorfeld versucht „flexibel auf die Situation zu reagieren“, indem man „an einigen Stellen zusätzliche und größere Abfallbehälter“ aufgestellt habe, sagt er.
In der Realität stoßen die Mülleimer der BSR jedoch deutlich an ihre Kapazitätsgrenzen. Was auch an der Art liege, wie die Menschen ihren Müll entsorgten, betont Klöckner. „Verpackungen können vor Einwurf in die Papierkörbe zumindest verdichtet oder nach Möglichkeit zu Hause in die entsprechenden Abfalltonnen geworfen werden. Teilweise ist es sicher auch möglich, die Verpackungen bei den jeweiligen Gastronomiebetrieben zu entsorgen.“
Hören wir also bitte damit auf, an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen…
Das Problem ist also real. Genauso wie die positiven Auswirkungen von Corona auf die Umwelt. Ein Grund mehr also, warum wir aufhören müssen, den gefühlt einzigen positiven Nebeneffekt der Pandemie mit Füßen zu treten. Und wenn der Pappteller zwölffach gefaltet immer noch nicht in den orangefarbenen Mülleimer mit dem lustigen Aufdruck „Tonnosaurus Rex“ passt, dann müssen wir ihn eben mitnehmen und daheim in der Papiertonne entsorgen. Wenn dann darum einmal keine Hand mehr frei bleibt, um das Wegbier zu halten oder auf dem Rad zu facetimen – Mon dieu!
Unser Berlin gibt uns soviel, gerade in diesen Tagen. Am Landwehrkanal, in den Wäldern, an den Seen und in den Parks dieser Stadt lässt sich die Pandemie doch eigentlich ganz gut aushalten. Noch.
Die Verpackungsflut ist ein Problem und die Politik muss es langfristig an der Wurzel bekämpfen, soviel steht fest – mit höheren Steuern auf schwer zu recycelnde Materialien, mit dem Verbot unnötig großer Umverpackungen. Aber kurzfristig sind wir alle selbst in der Verantwortung. Indem wir uns Take-Away-Essen und -Trinken kaufen, retten wir unsere geliebte Gastronomieszene und das ist eminent richtig und wichtig.
Und mit dem Essen unter freiem Himmel tun wir unserer Psyche etwas Gutes, das ist mindestens genauso wichtig, um nicht durchzudrehen. Aber den Müll danach wegzuräumen, das gehört einfach dazu! Wir werfen doch auch zuhause nach dem Essen nicht die Teller an die Wand oder die dreckigen Töpfe aus dem Fenster, oder?
Wenn wir aufhören auf dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen, oder weniger schonend ausgedrückt, nicht mehr dort sch*****, wo wir essen, dann wird dieser Sommer – Verbote hin, Verbote her – vielleicht wirklich ganz schön. Ich würde während der Pandemie jedenfalls nirgendwo sonst lieber sein als hier. Okay, mit Ausnahme der Malediven vielleicht. Aber ihr wisst, was ich meine! Also sorgen wir gemeinsam dafür, dass Berlin auch so wunderschön bleibt.
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