Es gibt zwei Lager und wenig dazwischen. Zwischen denen, die Tauben hassen und denjenigen, die sie verehren. Unsere Autorin findet, ein wenig Gelassenheit würde der Debatte um die „Ratten der Lüfte“ gut tun. Denn Tauben gehören zu Berlin wie Döner an den Hermannplatz.
Das Ballett der Tauben: Jeden Tag im Kreis zur Fütterung
Jeden Tag um die Mittagszeit fliegt ein großer Schwarm Tauben Runde um Runde über die Kreuzung Schönhauser Allee/Bornholmer Straße. Etwa 40 bis 50 Vögel verdunkeln dann den Himmel, bevor sie sich mal auf dem Dach des Hauses Nummer 89, mal auf einer der Querstangen der altertümlichen Straßenlaternen niederlassen und weißen schmierigen Kot absondern.
Gegen 14 Uhr erscheint der Mann, auf den sie alle gewartet haben: ein älterer Herr mit beigem Schlapphut, verwaschenem lila Parka und einer Tüte voll Körner auf dem Gepäckträger seines Fahrrads. Mit schwungvollen Bewegungen wirft er das Futter auf den Gehweg unter dem Viadukt der U2. Die Vögel scharen sich um ihn. Sobald die Körner auf den Boden prasseln, laufen sie kreuz und quer und picken sie auf. Manche Tiere sind rund, mit glänzendem Fell und klaren Augen. Andere sind struppig, ihre Federn stumpf und die Augen voll eitriger Verkrustungen. Manchen fehlt eine Kralle.
Tauben in Berlin: Zwischen Hass und Liebe ist wenig Platz
„Scheiss Taubenfütterer“, schreien manchmal Passant*innen zu ihm rüber. Straßentauben rufen bei vielen Menschen starke, höchst unterschiedliche Gefühle hervor. Es scheint, als gäbe es zwei Lager und wenig dazwischen: Einerseits die Taubenverehrer*innen, die immer einen Beutel Futter dabei haben, die keine Berührungsängste haben mit den Tieren. Die prominenteste Taubenverehrerin ist wohl die Frau im Central Park, der Kevin in „Kevin allein in New York“ begegnet. Für die Tauben ist sie Futterautomat, Sitzgelegenheit und Freundin zugleich. Andersherum sind die Tauben für die Frau treue Begleiter, die sie, anders als die Menschen, noch nicht enttäuscht haben. Dafür lässt sie die Tiere auch auf sich drauf kacken.
In Berlin gibt es vermutlich keine laufenden Taubenständer, wohl aber viele, die es gut mit den Tieren meinen. Nach Silvester bitten jedes Jahr Menschen in diversen Gruppen der sozialen Netzwerke darum, nach Taubenkindern Ausschau zu halten, die wegen der Böller zu früh aus dem Nest gefallen sind. Die Mitglieder des Vereins „Graue Flügel“ kümmern sich um verletzte Tiere und füttern alle anderen: am Gesundbrunnen, am Südkreuz, an der Warschauer Straße oder an der Schönhauser Allee. Dazu kommen etliche andere, die nach ihnen sehen und jeden Monat Geld für die Tauben ausgeben – wie zum Beispiel Anja Marks, über die Zitty 2019 geschrieben hat. Jeden Monat gibt sie 100 Euro für die Tauben aus.
Auf der anderen Seite stehen die Stadtbewohner*innen, die Tauben hassen, die in ihnen nicht mehr als „Ratten der Lüfte“ sehen. Lästige, eklige Tiere, die einem zwischen den Füßen herumlaufen und den Boden, Bänke, eigentlich alle möglichen Flächen verunreinigen. Für sie kann es nicht genug metallene Dornen geben, die Tauben davon abhalten sollen, zu verweilen.
Füttern hat kaum Einfluss auf die Art
Ein ewig währender Konflikt zwischen beiden Gruppen ist das Füttern: Wer Tauben füttere, bausche die Population unnatürlich auf und fördere so umso mehr Leid, sagen die Kritiker*innen. Dass Tauben sich nicht fortpflanzen würden, wenn sie ausgehungert sind, sei ein Trugschluss, sagte dagegen Doreen Rothe, die Vorsitzende des Vereins Graue Flügel, im vergangenen Winter im Interview mit der Zitty. Gerade dann setzten sie Rothe zufolge aufgrund ihres Arterhaltungstriebs alles auf Fortpflanzung.
Laut Berlins Wildtierexperten Dirk Ehlert dagegen hat weder zu viel noch zu wenig Futter Einfluss auf die Anzahl von Tauben in der Stadt. „Die kommen ohne uns zurecht“, sagt er. Entscheidend sei, ob die Tiere genug Möglichkeiten zum Brüten haben. „Taubenpopulationen hängen davon ab, wie viele Brutplätze die Tiere haben. In modernen Städten sind das nicht allzu viele, weil die meisten Gebäude hermetisch abgeriegelt sind.“ Wie ihre Vorfahren, die Felsentauben, brüten Stadttauben am liebsten in Nischen. Und an U-Bahn-Viadukten wie dem auf der Schönhauser Allee gibt es eben besonders viele davon.
Tauben leben seit Tausenden von Jahren an der Seite von Menschen
Tauben leben seit Tausenden von Jahren Seite an Seite mit Menschen. Eine Zeit lang leisteten sie sogar wertvolle Dienste, nämlich als Brieftauben. Gerade weil sie vor dem Kontakt mit Menschen nicht zurückschrecken, gehören sie zu den sichtbarsten Teilen der Stadtnatur. Sie teilen sich ihren Lebensraum mit den Menschen, der Spezies, die sich auf der Welt immer weiter ausbreitet und wie selbstverständlich immer mehr Raum für sich beansprucht. Der Spezies, die dazu neigt, nur ihren Vorteil zu sehen und die Natur von sich wegzuschieben, auch wenn sie damit ihren eigenen Lebensraum zerstört.
Den Tauben ist das egal, sie kommen nah an uns heran und lösen mit ihren vereiterten Füßen und dreckigen Federn und ihrem schmierigen Kot manchmal zurecht Ekel in uns aus. Deswegen muss man sie vielleicht nicht unbedingt mit Futter dorthin locken, wo Menschen sitzen.
Aber sie haben ein Recht zu leben, genau wie die süßen Kaninchen oder die schlauen Füchse, die unsere Stadt bevölkern. Genau wie wir. Und sie werden es auch weiterhin tun, egal ob wir füttern und lieben oder sie verscheuchen und hassen. Vielleicht würde uns ein unaufgeregterer Umgang mit den Tieren gut tun. Denn sauber wäre Berlin auch ohne die Vögel nicht. Außerdem: Wer will schon eine sterile Stadt?
Neu in Berlin? Diese 12 Dinge lieben Zugezogene an Berlin sofort. Und an diese 12 Dinge müssen sich Zugezogene erst einmal gewöhnen. Andersherum gibt es aber auch so einige Dinge, die Berliner*innen an Zugezogenen nerven.