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Notdurft verstehen

Toiletten-Konferenz an der Humboldt-Uni: Warum Scheißen politisch ist

Für die Toiletten-Konferenz „Everybody’s Business – Toilets as a Contested Space“ lädt die Humboldt-Universität Wissenschaftler:innen ein, um durch Exkremente zu waten – zumindest inhaltlich. Sie sprechen über das Klo als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse, ob am Bahnhof oder zu Hause, auf der Erde oder im Weltall. So vulgär das Thema auch klingen mag, es ist wichtig und betrifft, mal ehrlich, alle. Mancherorts mangelt es allerdings an sanitären Anlagen, was menschenunwürdige Verhältnisse erzeugt. Darum, aber auch um viele weitere politische Fragen wird es bei der Toiletten-Konferenz gehen. Ein Ausblick.

Auch um die Vielseitigkeit der stillen Örtchen soll es bei der Toiletten-Konferenz gehen. Foto: Imago/CHROMORANGE

Toiletten-Konferenz: Kein Mist, sondern eine ernste Sache

Der Senatssaal der Humboldt-Uni ist ein eleganter Ort, mit Kronleuchtern und hoher Decke. Doch das Forschungsobjekt in diesem Elfenbeinturm der Wissenschaften ist Scheiße. In diesem Herbst reden jedenfalls dort Gelehrte von Exzellenz-Unis über Fäkalien und deren Entsorgung. Nicht nur aus Berlin kommen diese Schmuddelkinder, auch aus Dortmund und Mainz, einer sogar aus dem amerikanischen Philadelphia.

„Everybody’s Business“ heißt die Toiletten-Konferenz im Ton eines derben Kalauers. Doch die Veranstaltung, gehalten auf Englisch, ist keine Pippikacka, sondern eine ernste Sache. Denn da ist ja noch der Untertitel der zweitägigen Zusammenkunft an der universitären Edel-Adresse Unter den Linden 6: Er lautet „Toilets as a Contested Space“. Toiletten als umkämpfter Raum. Beim Klo geht es um Machtverhältnisse.

Die Geschäftemacher:innen auf der Toiletten-Konferenz beäugen Pissoirs, die Klos in der einstigen UdSSR und den Stuhlgang von Astronaut:innen unter den Gesetzen der Schwerelosigkeit. So beherzt durchpflügen sie Exkremente, dass am Ende der zweitägigen Konferenz eine Erkenntnis stehen könnte: dass der Abort ein Spiegel für menschliche Gesellschaften, ach was, überhaupt für die ganze conditio humana ist.

Über alle möglichen Phänomene haben sich Philosophen ja schon den Kopf zerbrochen, Karl Marx über die Fließbandarbeit in Fabriken des 19. Jahrhunderts, Walter Benjamin während der anbrechenden Moderne über Massenmedien, Michel Foucault später über Psychiatrien und Gefängnisse. Nur die Latrine ist bislang selten untersucht worden.

Immer mehr Action rund um den Lokus

Doch jetzt ändern sich die Prioritäten. Findet zumindest die Facility Managerin des Klogangs. Eva Boesenberg, geboren 1960, ist eigentlich Amerikanistik-Professorin an der Humboldt-Uni und gibt in diesem Wintersemester ein Seminar zum Klo-Thema. Gemeinsam mit der Bonner Nordamerika-Forscherin Sabine Sielke, 62, hat sie die interdisziplinäre Toiletten-Konferenz organisiert. Geladen sind unter anderem Geistes- und Sozialwissenschaftler:innen, auch eine Juristin ist dabei. Boesenberg beobachtet immer mehr Action rund um den Lokus: „Es bewegt sich einiges.“

Die Fachfrau hat ja recht. Seit 2001 steigt zum Beispiel jährlich am 19. November der „World Toilet Day“. Ins Leben gerufen hat ihn die Welttoilettenorganisation, eine NGO mit 235 Mitgliedsorganisationen aus 58 Ländern, gegründet von einem ehemaligen Unternehmer namens Jack Sim. Die 2019 erstmals gezeigte Arthouse-Doku „Mr. Toilet“ setzte ihm ein Denkmal.

Der Hintergrund des Thementags: Mehr als 2,5 Milliarden Menschen leben auf der Erde ohne Inanspruchnahme eines Menschenrechts – eine ausreichende Sanitärversorgung. Der zweite Tag der Konferenz wird just a diesem bedeutsamen „World Toilet Day“ bestritten. Ghias Aljundi, ein Exil-Syrer mit Wohnort in Großbritannien, wird in diesem Zusammenhang von entwürdigenden Zuständen im griechischen Moria berichten, wo Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten bis vor einiger Zeit campiert haben.

Notdurft im All

Das Tabu ums Klosett gelockert haben auch die jüngsten Protestbewegungen aus feministischen und queerpolitischen Kreisen. In der öffentlichen WC-Infrastruktur sehen Aktivist:innen eine  Benachteiligung gegenüber Frauen und Transpersonen. Die Bestandsaufnahme: jede Menge Urinale für Hetero-Männer – und viel Popanz um Toiletten fürs dritte Geschlecht, die etwa den deutschen Star-Kolumnisten Harald Martenstein empören. Ein „Toilet Gap“ klafft an diesen Bruchlinien. Die Kluft klingt auch in Panels der Toiletten-Konferenz in der Humboldt-Universität an.

Das Klo-Kolloquium lässt sich darüber hinaus in den Orbit schießen. Die Geografinnen Katherine G. Sammler und Sunčana Laketa eruieren die Bedürfnisse von Astronautinnen und Astronauten in der Schwerelosigkeit – und erinnern dabei an die 2016 ausgerufene „Space Poop Challenge“ der NASA. Mittels dieser Ausschreibung suchte die Behörde nach einer sanitären Entsorgung im raumfahrenden Gewerbe, das schicklicher als vollgesaute Windeln ist. Ein Flugarzt der US Air Force, stationiert in Texas, hatte die beste Idee: ein Ventil, das an die Anzüge der Sternreisenden angebracht wird. In dessen Öffnung wird eine aufblasbare Bettpfanne mit Bidet eingeführt. Dazu gibt’s einen Hygienestab, der sich selbst reinigt. Wie erleichternd!

Im extraterrestrischen Verrichten der Notdurft erkennen Sammler und Laketa, die Deuterinnen von Urin und Kot, die Verletzlichkeit irdischer Materie. Ohne Behältnisse würden Ausscheidungen unkontrolliert entweichen. Dieses Interesse zeigt: Der Fokus auf „Gas-Wasser-Scheiße“ reicht mittlerweile bis in den Aerospace. Könnte also sein, dass das Verhältnis zu unseren Exkrementen freizügiger denn je ist – und das, obwohl das stille Örtchen ja eigentlich oft immer noch ein Kämmerlein der Diskretion ist, umflort von Duftsteinen und Hakle-Feucht-Tüchern.

Eine tiefenpsychologische Erklärung für diese Scham liefert Eva Boesenberg, die Veranstalterin der Toiletten-Konferenz. „Exkremente wecken Assoziationen mit der eigenen Vergänglichkeit.“ Denn das ist der Shit ja auch: leblose Masse, ein Vanitas-Symbol. Was Leute auf Kloschlüsseln mit einer anderen, der vielleicht rätselhaftesten Menschheitsfrage konfrontiert. Nämlich mit dem Tod.

  • Everybody’s Business – Toilets as a Contested Space Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, Mitte, 18.11, 10.30-20.30 Uhr (anschließendes Get-Together mit offenem Ende), 19.11, 10-19 Uhr, weitere Infos hier

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