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Ukrainian Cultural Community: Ukrainische Künstler:innen im Exil

In der Ukrainian Cultural Community (UCC) schaffen sich junge, geflüchtete Künstler:innen aus der Ukraine ein Zuhause – und einen neuen Ort für Kunst in Charlottenburg. Ein Dasein zwischen Lebenslust in Berlin und Krieg in der Heimat.

Künstler:innen aus der Ukraine wie Anastasiia Pasechnik (vorn rechts), Maria Lutsak und Anton Reznikov (hinten Mitte) gestalten ihren Zufluchtsort – mit Unterstützung von Maya Miteva (vorn Mitte, in Orange). Foto: Luka Godec
Ukranian Cultural Community: Bei dem Projekt gestalten Künstler:innen aus der Ukraine wie Anastasiia Pasechnik (vorn rechts), Maria Lutsak und Anton Reznikov (hinten Mitte) ihren Zufluchtsort – mit Unterstützung von Maya Miteva (vorn Mitte, in Orange). Foto: Luka Godec

Ukrainian Cultural Community: Umbau eines Edel-Bordells

Wer diese Wohnung betritt, kommt aus dem Staunen nicht heraus: riesige Räume, die sich über eine ganze Etage erstrecken. Wände in sattem Pink oder mit barocken Ornamenten in Blau und Rot überzogen. Darüber die stuckverzierten, golden bemalten Decken. Und während man sich fragt, wo man hier gelandet ist, steigt einem der strenge Geruch von Essigreiniger in die Nase, drängen junge Menschen mit Müllsäcken oder Holzbrettern an einem vorbei. Es sind Künstler:innen, geflohen vor dem Krieg in der Ukraine. Sie verwandeln ein ehemaliges Charlottenburger Edel-Bordell in ihre neuen Wohn- und Arbeitsräume.

Ukrainian Cultural Community heißt die neue Künstler:innen-Residenz. Auf 500 Quadratmetern werden zunächst für ein Jahr rund 20 Künstler:innen zusammen wohnen, arbeiten und ihre Werke einem Publikum präsentieren. Solche Räume werden dringend gebraucht. Denn zahlreiche ukrainische Künstler:innen leben jetzt in der Stadt, wie die Ausstellungen, Aktionen und Veranstaltungen der vergangenen Wochen in Bars, Galerien, Museen, Messen und Kirchen gezeigt haben. Es ist eine migrantische Künstler:innen-Community, die sich hier größtenteils ohne Atelier, Material und etablierte Netzwerke neu zurechtfindet. Der Berufsverband Bildender Künstler:innen Berlin hat daher dazu aufgerufen, Ateliers mit Geflüchteten zu teilen. Initiativen wie Cultural Workers Against the ongoing War in Ukraine und der Künstlerhof Frohnau bieten einige Räume an.

Ukrainian Cultural Community: Frauenpower und gute Netzwerke

„Uns geht es darum, den Leuten zu ermöglichen, ihre Kunst zu schaffen. Sie können hier machen, was sie wollen“, sagt Maya Miteva von UCC. Die Mittvierzigerin ist Immobilienexpertin und -investorin, hatte bereits ein Künstler:innen-Residenzprogramm in Berlin mitgegründet. Als in ihrem Netzwerk diese Wohnung auftauchte, entstand die Idee, sie Künstler:innen zur Verfügung zu stellen. Für das Projekt konnte Miteva vier weitere Mitstreiterinnen aus Politik und Wirtschaft gewinnen: Sybill Schulz, Irit Kesselmann-Millet und  Anais Cosneau – allesamt kunstbegeisterte Frauen und zudem gut vernetzt in der Stadt.

Und Anastasiia Pasechnik. In Kharkiv hat sie als Schauspielerin, Designerin, Musikerin und Producerin gearbeitet. Während die Berlinerinnen sich vor allem um administrative Dinge kümmern, Kontakte in die Kulturszene knüpfen und Geld sammeln, kümmert sie sich als Art-Direktorin um so ziemlich alles vor Ort. Die energiegeladene 23-Jährige koordiniert Arbeiten von Putzen bis Wändestreichen, organisiert Möbel und hat als Teil einer Jury aus den über 80 Bewerbungen die 18 Künstler:innen für die Residenz ausgewählt. Für sie sei es ein sonderbarer Schicksalsweg, sagt Pasechnik. Denn schon in Kharkiv hatte sie versucht, ein Kunstzentrum aufzubauen, bevor der Krieg ihre Pläne durchkreuzte.

Arbeiten, um sich abzulenken

Neben Bildenden Künstler:innen  leben hier, in der Leibnizstraße 57, auch Schauspielerinnen, Mode-Designerinnen, Musiker:innen und eine Tänzerin. Sie müssen sich in Berlin registrieren, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. Damit bezahlen sie auch die Miete für die Zimmer, die mit allen weiteren Kosten um die 300 Euro beträgt.

Für Möbel, Material, Sound-Equipment sind sie auf Spenden angewiesen. Gerade an Künstlerbedarf fehlt es, doch die Art-Direktorin ist zuversichtlich: „Die Hilfsbereitschaft seitens der Menschen in Berlin ist bisher überwältigend.“ Überhaupt ist sehr viel überwältigend. Jede:r hat ein Fluchttrauma hinter sich, sorgt sich um Zurückgebliebene, organisiert sein Leben hier. „Ich lebe in einem permanenten Zwiespalt. Zum einen sitzt meine gesamte Familie zuhause, während da die Bomben fliegen. Zugleich pulsiert in Berlin das Leben, und man hat Möglichkeiten, Dinge zu realisieren, die man immer wollte“, sagt Pasechnik. Sie stürze sich in Arbeit, um sich abzulenken.

Eine Strategie, die auch Mariia Lutsak verfolgt. Für sie ist die Aussicht, endlich wieder einen richtigen Arbeitsraum zu haben und ihre Bilder irgendwann dem Berliner Publikum zeigen zu können, erleichternd und aufregend. Die Stadt und die vielen neuen Bekanntschaften seien ungemein inspirierend, schwärmt die 25-Jährige. Mit ihren Eltern in Kyjiw telefoniert sie jeden Abend. Schwer sei das alles, sagt sie beinahe beiläufig. Das tägliche Zeichnen und der Austausch mit den anderen helfen ihr, die Spannung auszuhalten. „Ich bin Ukrainerin, und ich bin jetzt hier, also muss ich den Leuten doch von uns erzählen. Ich habe das Gefühl, dass ich keine Zeit verlieren darf und möglichst viel schaffen will.“

Die Ukrainian Cultural Community ist ein Ort für Gemeinschaft und Inspiration

Anton Reznikov ist einer der drei Männer in der UCC und eher introvertiert, Trubel und Leute zu treffen stehen für ihn gerade nicht an. Er ist erst Mitte Mai nach Berlin gekommen, kennt die Stadt von früheren Besuchen. Zuhause in Kharkiv widmete sich Reznikov verschiedenen Projekten zwischen Malerei, Grafik und Skulptur, hat an einer Schule unterrichtet. Noch weiß er nicht so ganz, was er hier soll, was jetzt überhaupt noch wichtig ist. „Alles was ich bisher gemacht habe, ist aufräumen. Zum Nachdenken bin ich noch nicht gekommen“, sagt der 28-Jährige. Alles sei jetzt möglich, denn absolut nichts sei gewiss.

Ein Satz, den Julia Kafizova so unterschreiben könnte. Vor dem Krieg, mitten in der Pandemie, hatte die Fotografin eine neue Selbstporträt-Serie angefangen, die auf der renommierten Foto-Plattform „PhotoVogue“ der italienischen Ausgabe des Modemagazins und in dem Magazin „Der Greif“ gezeigt wurden. „Seitdem ich in Berlin bin, habe ich noch kein einziges Foto gemacht“, sagt die 35-Jährige. Doch seitdem sie hier ist, kommen viele Anfragen für Ausstellungen rein, wie demnächst im CLB am Moritzplatz. Sie freue sich über die Aufmerksamkeit, sagt Kafizova, im besten Fall könne sie vielleicht einige Arbeiten verkaufen. Doch künstlerisch will sie sich jetzt in anderen Bereichen ausprobieren: Malerei und auch Musik. Durch den Austausch mit den anderen Künstler:innen in der UCC hofft sie neue Ausdrucksmöglichkeiten zu finden.

Ukrainische Künstler:innen in Berlin

Und so seltsam das klingt, ist in Berlin vielleicht gerade die beste Zeit dafür. Man könne jetzt in eine Bar gehen und einfach so auf großartige ukrainische Künstler:innen treffen oder bei Veranstaltungen zusammen etwas machen, sagt Pasechnik. Letztens hatte sie bei einem Konzert die Möglichkeit, mit dem Trommler einer berühmten ukrainischen Band zu jammen. Das hätte sie sich vorher nicht träumen lassen können, sagt sie. „Es scheint so, als wären hier jetzt alle gleich, und man kommt leichter miteinander in Kontakt.“

Die Ukrainian Cultural Community, so das Ziel aller Beteiligten, soll die Kreativität ukrainischer Künstler:innen sichtbar machen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit eröffnen. „Es ist schade, dass das unter diesen Umständen geschieht, aber wir haben etwas zu zeigen und zu erzählen“, sagt Pasechnik. Für Anfang Juni ist eine große Eröffnungsfeier geplant. Aber jetzt müssen sie erstmal vier Betten abholen.

  • Ukrainian Cultural Community (UCC) Leibnizstr. 57, Eröffnungsveranstaltung: voraussichtlich im Juni, Infos über Instagram

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß die UCC noch „Art Shelter Berlin“, da der Text vor der Umbenennung verfasst wurde.


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