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Alter Kiez, neuer Kiez

Umzug von Berlin nach Greifswald und zurück: Irgendwo ist immer Heimat

Unser Autor kehrte nach seinem Umzug von Berlin nach Greifswald zurück in die Hauptstadt. Ein Umzug also von Kreuzberg nach Prenzlauer Berg mit einem Zwischenstopp in einem beschaulichen Ort in Norddeutschland, wo alles in wenigen Minuten erreichbar ist und der Döner auch mal mit der Gabel gegessen wird. Welche Eindrücke bleiben und wie lebt es sich im wuseligen Berlin nach acht Jahren in der Provinz Mecklenburg-Vorpommerns?

Ganz zwanglos: Von Kreuzberg ging es in die vorpommersche Provinz. Foto: Imago/Jürgen Held

Kreuzberg war früher unaufgeregt – nach dem Umzug hat es sich verändert

Ich erinnere mich noch: Wann immer ich in meiner Jugend Fremden erzählte, dass ich aus Kreuzberg komme, ich diese Reaktionen erntete. Diese Mischung aus Mitleid und Schock. Klar, Kreuzberg hatte seine kulturell-anziehende Seite, aber viele assoziierten den Stadtteil eben auch mit Ghetto, Springmesser und Clankriminalität. Meine Familie wohnte in Kreuzberg, weil es billig war, weiter nichts. Wahrscheinlich waren wir auch etwas zu bürgerlich, aber die Bohème war weit weg, obwohl sie nur einen Katzensprung entfernt wohnte. Das Kreuzberg, an das ich mich erinnere, war nicht das der Kriminalität oder der Künstler:innen, sondern das unaufgeregter, vielleicht etwas langweiliger Familien- und Lebensverhältnisse.

Niemand, den ich kannte, hatte viel Geld, aber richtiger Mangel herrschte trotzdem nie. Es war einfach, ohne hässlich zu sein. Es gehörte auch ein bisschen zum Stolz der Menschen, sich aus Geld nicht so viel zu machen. Die meisten Bekannten waren Handwerker oder kleine Angestellte. Akademische Berufe waren die Ausnahme. Von den türkischen Gemüsehändlern schaute ich mir ab, jeden zu duzen.

Greifswald? Wo liegt das denn?

Nach Greifswald ging ich, weil ich mich nach langer Überlegung doch für ein Studium entschied. Auf Empfehlung hin ist meine neue Heimat eine kleine Hansestadt an der Ostsee geworden, von der ich bis dahin noch nie gehört hatte. In Greifswald macht ein viel geteiltes Bonmot die Runde, dass man hier immer zweimal weint; einmal wenn man kommt und einmal, wenn man wieder geht. Und tatsächlich war mir beim Wegzug doch etwas wehmütig zumute. Gerade für viele junge Menschen wäre es wohl enttäuschend, das Flair der Millionenmetropole gegen eine verschlafene Stadt in Vorpommern zu tauschen. Als ich von Berlin nach Greifswald zog, hatte die Stadt 50.000 Einwohner. Hier isst man schon mal Döner mit der Gabel und das einzige öffentliche Verkehrsmittel ist der Bus, der am Wochenende nur stündlich fährt.

Der Stadtbezirk, in dem ich mich in Greifswald 2008 niederließ, hieß Schönwalde II. Hier waren die Mieten niedriger als in der Innenstadt und die Wohnungen im Durchschnitt größer. Ich brauchte zwar länger zum Campus, aber wenn man Berliner Entfernungen gewöhnt ist, schrecken 15 Minuten mit dem Rad nicht ab. Als ich einem Kommilitonen sagte, dass es in Berlin völlig normal ist, 30 Minuten und mehr irgendwohin zu brauchen, sah er mich überrascht an. Alles, was mehr als zehn Minuten entfernt lag, war für ihn schon eine Weltreise. Schon recht früh im Studium stellte ich fest, dass Schönwalde nicht den besten Ruf hatte. Kommiliton:innen reagierten entsetzt, wenn sie erfuhren, wo ich wohnte, weil dort nur Armut und Rechtsextremismus zu finden seien. Ich war offensichtlich von einem Berliner in einen Greifswalder Problembezirk gezogen.

Acht Jahre lang meine Heimat: Der historische Marktplatz in der Hansestadt Greifswald. Foto: Imago/Andre Gschweng

Dass Greifswald etwas überschaubarer ist, hatte seine angenehmen Seiten. Ohne Termin spontan zum Arzt – kein Problem. Länger als zehn Minuten musste ich nie warten. Um meinen Wohnsitz umzumelden, bin ich zwischen zwei Vorlesungen ohne Termin ins Rathaus. Nach fünf Minuten war schon alles erledigt. Ich war es gewohnt, dass derartige Dinge in Berlin schon mal den halben Tag dauern können. Auch die im Vergleich zu Berlin sehr viel kleinere Uni hatte diese Vorzüge. Benötigte ich ein Gespräch mit Dozent:innen reichte eine Woche Vorlauf. Bei einem Freund, der in Berlin studierte, dauerte ein vergleichbarer Termin zwei Monate. Ich glaube, Greifswald hat mich dünnhäutiger gemacht für diese Berliner Umständlichkeiten.

Umzug von Berlin nach Greifswald: Wenig Kino, dafür Meer

Für wöchentliche Partygänge und anderes Socialising ist der Studentenclub ‚Kiste‘ zuständig. Für Nachtschwärmer ist Greifswald aber eigentlich nichts. Die Innenstadt ist nach 20 Uhr ausgestorben und die Lokale schließen früh. Die liebste Freizeitbeschäftigungen der Greifswalder ist es sich bei gutem Wetter mit einem Bierchen an den Hafen zu setzen. Besonders im Sommer ist er beliebter Anlaufpunkt und trotzdem nie unangenehm überfüllt. Zu den unumstößlichen Highlights meiner Studienzeit gehörte sicherlich, an den Stränden des Greifswalder Bodden meine Hausaufgaben zu machen.

In Berlin hat es mich immer wieder mit Begeisterung ins Kino gezogen. Viel kann man über die Stadt meckern, aber Berlins Kinoszene ist die beste, die man in Deutschland finden kann. Greifswald konnte dagegen nur ernüchtern. Die viertgrößte Stadt Mecklenburg-Vorpommerns hat lediglich ein einziges Kino: ein im Einkaufscenter gelegener Multiplex ohne Flair. Lediglich das Unikino des Studierendenclubs sorgt wenigstens für etwas Abwechslung. Das bietet zwar nicht immer die aktuellsten Filme, dafür aber geht der Besuch hier nicht ganz so stark ins Geld.

Umzug von Greifswald nach Berlin: Neu ankommen in der alten Heimat

Ich zog etwas zögerlich 2016 von Greifswald zurück nach Berlin. Wie viele Studierende lebte ich von der Hand in den Mund – und Umzüge sind teuer. Schnell merkte ich, was ich an der Hauptstadt nicht vermisst hatte: Der Mietmarkt in Berlin ist gelinde gesagt eine Katastrophe. Geschichten von 30 Quadratmeter großen Besenkammern, die für 600 Euro kalt vermietet werden, kennen alle, die in den letzten Jahren hier mal Wohnungsbesichtigungen erleiden durften. Ich hatte mehr Glück als Verstand und kam schnell in einer WG in Prenzlauer Berg unter. Ausgerechnet in dem Schickimicki-Bezirk, über den wir uns früher in Kreuzberg lustig gemacht haben. Kein Vergleich zu vorher: Hatte ich in Greifswald sonnige vier Zimmer plus Balkon für mich alleine, musste ich jetzt eine Zwei-Zimmer-Wohnung teilen.

Prenzlauer Berg ist immer noch ein bisschen diese Mischung aus ordnungsliebender Weltoffenheit und nonchalanter Schnöseligkeit. Hier emotional anzukommen, war gar nicht so leicht, obwohl ich mich immer als waschechten Großstädter wahrgenommen habe. In Kreuzberg war ich immer gern mit der U-Bahn unterwegs. In Prenzlauer Berg bin ich auf die Tram angewiesen, die an Ampeln halten muss und viel zu oft im Feierabendverkehr steckenbleibt. Auch ungewohnt: Auf den Straßen höre ich mehr englische Sprachfetzen als türkische. Wer nordafrikanische Spezialitäten oder das thailändische Konfekt sucht, das man im letzten Urlaub gegessen hat, findet in Prenzlauer Berg sicherlich das passende Fachgeschäft. Aus Kreuzberg kannte ich so etwas vornehmlich für türkische Lebensmittel.

Nach dem Umzug von Greifswald nach Berlin ist mehr Tram. Der Verkehr in Prenzlauer Berg beherbergt alle Arten von Fortbewegungsmitteln. Foto: Imago/Jürgen Ritter
Nach dem Umzug von Greifswald nach Berlin ist mehr Tram. Der Verkehr in Prenzlauer Berg beherbergt alle Arten von Fortbewegungsmitteln. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Meine alte Kreuzberger Gegend, der Bergmannkiez, hat sich ganz schön verändert. Oft bin ich nicht mehr da, aber wenn, dann fällt mir auf, dass die alten, oft etwas ecklig aussehenden Kneipen zu adretten Bars geworden und die ehemals leerstehenden Souterrain-Etagen von alternativen Modeläden bevölkert sind. Im Gegensatz zu früher gibt es hier nun genauso viele Spätis wie in Prenzlberg, ebenso Bio-Supermärkte und Touristenhorden, die sich die Beine in den Bauch stehen. Die Straße, in der ich wohnte, hat früher nicht so viel hergemacht. Sie ist jetzt schick saniert. Sind wir ehrlich. Meine alte Gegend sieht heute genauso aus wie mein jetziger Kiez in Prenzlauer Berg. Hier habe ich inzwischen auch ein Plätzchen gefunden, um gemütlich mein Bier zu trinken, auch wenn es nicht ganz so schön ist wie der Greifswalder Hafen.


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