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Alter Kiez, neuer Kiez

Umzug vom Schwabenland nach Berlin: Tausche Dorfidylle gegen Kiezromantik

Es ist eine Umzugsgeschichte, wie sie gelegentlich auf den Berlin Straßen erzählt wird: Vom schwäbischen Dorf in den Hauptstadtdschungel. Unsere Autorin hat sie erlebt, kannte auch vorab ein, zwei Klischees. Ob sie sich bewahrheiten und ob die Unterschiede zwischen Berlin und Schwabenland wirklich so gewaltig sind, es gar einen Kulturschock gab, erzählt sie hier.

Mein Umzug nach Berlin: So voll war es im Dorf nicht. Foto: Imago/F.Berger

Umzug nach Berlin: beschauliches Dorfleben gegen hippes Szeneviertel

Ich bin in einem kleinen Dorf irgendwo zwischen Stuttgart und Ulm aufgewachsen. Nach dem Abitur legte ich, wie viele, ein „Gap Year“ ein, um herumzureisen – jedoch kehrte ich coronabedingt zurück in die Heimat, um mein Studium anzufangen, online natürlich. Mehrere Semester verbrachte ich auf der Couch, klickte mich von Zoom-Meeting zu Zoom-Meeting. Irgendwann reichte es mir und ich zog nach Stuttgart. Dort konnte ich für knapp neun Monate die süße Stadtluft schnuppern, bis für mich feststand – ab nach Berlin!

Mit vollgepackten Umzugskartons landete ich in einer WG im Herzen Friedrichshains. Von meinem Balkon sehe ich ausgefallene Restaurants und hippe Bars, dicht an dicht. Die East Side Gallery, das RAW-Gelände und das berühmt-berüchtigte Berghain mit seinen gnadenlosen Türstehern: alles direkt vor meiner Haustür. Es gibt hier unzählige Möglichkeiten, doch viele Optionen können mitunter auch lähmen. Welche Ausstellung soll ich als erstes besuchen? Wo gibt es das beste Streetfood? Und was ist überhaupt der angesagteste Club hier?

In so mancher Berliner Bar gibt es noch eine ordentliche Portion Kiezromantik. Foto: Imago/imagebroker

Im beschaulichen süddeutschen Dorf war das nicht der Fall. Ich erinnere mich nur zu gut daran, wie ich gähnend auf die Uhr starrte und wartete, bis endlich etwas passiert. Schließlich ist dort das jährliche Highlight das Stadtfest, welches an einem Wochenende eine Kirmes und mehrere Bierzelte in die Provinz gebracht hat.

Was ist denn eine Kehrwoche?

Die Kehrwoche ist wohl typisch schwäbisch. Für Unwissende: Alle Hausbewohner:innen sind verpflichtet, die gemeinschaftlich genutzten Bereiche ihres Mietshauses im wöchentlichen Wechsel zu säubern. Wer sich nicht dran hält, bekommt meist nach kurzer Zeit Beschwerden. Neugierige Großmütter spinnen sich des Öfteren Gründe dafür zusammen, weswegen die heilige schwäbische Kehrwoche nicht eingehalten wurde und kommen auf dabei auf abstruse Ideen.

Hier wird’s Zeit für ’ne Kehrwoche. Foto: imago/F. Anthea Schaap

Im Kontrast dazu stehen die Straßen Berlins. Hier eine alte Matratze am Straßenrand, dort ein wenig Sperrmüll im Hauseingang, plattgetretene Zigarettenstummel auf dem Boden und quasi an jeder Ecke leere Bierflaschen. Ja selbst die unzähligen Graffitis an den Hausfassaden waren für mich neu. Bei dem Ganzen Kram, der auf den Berliner Straßen rumliegt, fragte ich mich schon häufiger: Ist das jetzt ein lässiger Vintage Pop-up Flohmarkt oder Sperrmüll? Ja, Berlin ist dreckig, aber auch charmant.

Berliner Schnauze trifft auf schwäbische Mundart

Bevor ich nach Berlin gezogen bin, haben mich meine Freund:innen vor der berüchtigten Berliner Schnauze gewarnt. Derb, direkt, aber auch herzlich soll sie sein. Nach einem Monat war mir klar: Berliner:innen sind direkter und ehrlicher als die Menschen im Schwabenland. Hier wird selten etwas durch die Blume gesagt – wenn dir hier etwas nicht passt, sagst du es sofort. Wenn du es ein zweites Mal sagen musst, wird’s auch gerne etwas lauter.

Im Kontrast dazu steht die schwäbische Mundart, die oft von vielen belächelt wird. Denn je tiefer man sich in das Schwabenland begibt, desto schwäbischer wird auch der Dialekt. Kartoffeln werden dann auch gerne mal „Grombiera“ gennant und beim Frühstückstisch fragt manch einer nach „a Rädle Wurschd“. Immerhin habe ich mir, seitdem ich in Berlin wohne, angewöhnt, beim Bäcker nach Schrippen statt nach „Wecken“ zu fragen.

Spießiger Sparfuchs im Kontrast zur Anything-Goes-Attitüde

Die Schwaben und Schwäbinnen sind deutschlandweit dafür bekannt, fleißig, sparsam und konservativ zu sein. Dies kann ich auch teilweise bestätigen. Auf dem Land sind die Menschen meiner Meinung nach definitiv spießiger eingestellt als in der Stadt. Dort wird schon mit Anfang bis Mitte 20 auf ein Eigenheim im Grünen gespart. Jedoch kann dies in Stuttgart schon wieder komplett anders aussehen und kann nicht generalisiert werden.

Also im Dorf sahen die Clubs anders aus als in Berlin, hier das Kitkat. Foto: Imago/imagebroker

Im Gegensatz dazu steht die „Anything-Goes“-Attitüde vieler Berliner:innen. Es scheint hier wirklich alles möglich zu sein, was jedoch auch seine Schattenseiten haben kann. Denn die Stadt neigt auch dazu, Menschen zu verschlucken. Beispielsweise locken die vielen Bars und Nachtclubs Feierwütige dazu, nächtelang in Ekstase durchzutanzen. Da wird so manch einem Sparfuchs schwindelig, wenn er die Rechnung nach einer durchzechten Nacht bezahlen muss. Jedoch kann dies nicht auf alle Berliner:innen übertragen werden. Schließlich sind die Straßen Berlins genauso wie ihre Einwohner:innen: divers, offen und bunt. Für zugezogene Schwäbinnen wie mich gerade genau das Richtige.


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