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Alter Kiez, neuer Kiez

Umzug von Innsbruck nach Berlin: Berge gegen Blocks

Unsere Autorin hat sich nach der Schule für einen Umzug von Berlin nach Innsbruck entschieden. Nach fünf Jahren im Skiparadies entschied sie sich dazu, die österreichische Stadt hinter sich zu lassen, den Umzug zurück nach Berlin zu wagen und somit die Berge wieder gegen Blocks zu tauschen. Wie sie die alte, neue Stadt wahrnimmt, was sich verändert hat und welche Hürden sich vor einem auftun, wenn man zurückkehrt, schreibt sie in diesem Artikel.

Von Innsbruck nach Berlin. Berge gegen Blocks. Wohnhäuser in Kreuzberg mit der Leipziger Straße im Hintergrund. Foto: Imago/Schöning

Umzug von Berlin nach Innsbruck, wieso tut man sowas überhaupt?

Warum zieht man von Berlin nach Innsbruck? Das ist grundsätzlich die erste Frage, die einem gestellt wird, wenn man die Metropole in Richtung der kleinen Tiroler Alpenstadt verlässt. Es war ein typischer „Mir ist langweilig, Ich will etwas Neues“- Gedanke, der mich aus der mir bekannten Stadt Berlin nach Innsbruck verschlägt. Hohe Berge und viel Schnee, so etwas gibt es hier nicht. Berlin, dachte ich zumindest, kenne ich: Es ist flach, dreckig und laut.

Für den NC in Berlin reichte es bei mir auch nicht, außerdem wurde das „Ich muss hier mal raus“-Gefühl immer stärker. Manchmal denke ich, dass es vielleicht sogar auf Gegenseitigkeit beruhte. Ich hatte kein Bock mehr auf Berlin, und Berlin hatte kein Bock mehr auf mich.

Nach fünf Jahren Kleinstadtidylle mit Bergpanorama wurde der Wunsch nach einem Umzug von Innsbruck zurück nach Berlin dann doch wieder so groß, dass ich meine Siebensachen packte und mich Anfang Januar 2022 wieder auf den Weg nach Berlin machte.

Meine Übergangsheimat Innsbruck. Im Hintergrund die Nordkette. Foto: Imago/ Eibner Europa

Geil! Welcome Back!

Ich glaube jeder, der in Berlin wohnt, sagt das Gleiche. Der Winter hier ist hässlich, grau und nass. In Innsbruck ist das nicht so. Der Winter ist die Primetime in Innsbruck. Meterhohe Schneewände, Sonne, ein Bier auf der Nordkette, nachdem man sportlich mit Skiern oder Snowboard den Berg runtergedüst ist.

So ein 2. Januar 2022 in Berlin hingegen war ein Realitätscheck. Corona, keine Clubs, was jetzt? Ich musste mich erst einmal orientieren. Die vergangenen fünf Jahre hatte mein Winter auf irgendwelchen Berggipfeln stattgefunden, irgendwo ganz oben und draußen.

Jetzt bin ich gefühlt irgendwo ganz unten und drinnen. Das erste mal seit Jahren höre ich das Wort „Winterdepression“. Zuerst begann eine intensive Phase der absoluten Ablehnung. Der Auslöser: Bevor ich morgens die Vorhänge vor meinem Fenster aufmachte, wusste ich bereits, dass alles, was ich sehen werde, vom Himmel bis zum Bordstein eine Abstufung von etlichen Grautönen sein würde. Kurz dachte ich mir echt: „Fuck you Berlin, soll ich wieder gehen?“

Der Görlitzer Park in Kreuzberg an einem dann doch mal sonnigen Tag im Winter. Foto: Imago/Jürgen Held

Aber naja, auch wenn ich sie für eine Weile verschmäht hatte, war ich mir ja der Liebe zu dieser Großstadt bewusst und wollte sie zurück. Also riss ich mich zusammen und überstand die Wintermonate. Kinos und Museen waren ja geöffnet, Spaziergänge am Landwehrkanal und durch den Görli gaben mir langsam das Gefühl zurück, das ich so vermisst hatte. Ein Ort, den ich kenne, wo ich aufgewachsen bin, der mir vertraut ist. Die dreckige Großstadt. Tags und Graffiti, die die Hausfassaden zieren, Kippenstummel am Boden, Menschen mit schlechter Laune, vollgestopfte stinkende U-Bahnen und überfüllte Busse. Geil! Welcome back.

Kiezkontrolle! Was hat sich verändert, was ist gleich geblieben?

Durch meine Phase der Akzeptanz bemerkte ich etwas Cooles. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich würde wie mit einem Filter auf den Augen durch die Gegend laufen. Als würden sich die Aufnahmen, die ich noch von früher vor Augen hatte, mit den neuen übereinanderlegen. Viele Hauswände, die früher hellbraun, grau oder weiß waren, sind jetzt verziert mit den blau-roten Pieces von Mr. Paradox Paradise.

In der Kunstgalerie Urban Spree stellt der Fotograf Lukas K. Stiller im Juli 2022 Fotos der Kunstwerke des Street Art-Künstlers Mr. Paradox Paradise, die man in der Stadt überall bewundern kann, aus. Foto: Imago/ F. Anthea Schaap

Auch im Görli stehen auf einmal im Zwei-Meter-Abstand orangefarbene Mülleimer mit Aufschriften wie „Kot d’Azur“ oder „Nahentsorgungsgebiet“. Hier und da kam ein neues Café hinzu, wofür ein anderes weichen musste. Meine 2,99-Euro-Pizza in der Graefestraße gibt es nicht mehr, auch die Falafel-Lady ist verschwunden.

Allgemein hat in meinem alten Kiez in Kreuzberg die Gentrifizierung in ihrem Zerstörungswahn so zugeschlagen, dass sich mein neues Heim nun in Alt-Treptow befindet. Weg aus Kreuzberg, trotzdem nah am Görli. Kann ich mit leben. Außerdem haben hier die Selleriesaft-trinkenden Muttis, die einen Haufen Geld in Mitte scheffeln ,um sich dann in die schönen Altbauwohnungen einzukaufen, noch nicht überhandgenommen. Fast fühlt es sich hier mehr nach Zuhause an als in der Böckhstraße. Das Gefühl passte also schonmal, trotzdem fragte ich mich, was hier eigentlich so geht in meiner neugewonnen Hood.

Der Frühling kommt und ich weiß, warum ich hier bin

Ab März dreht sich dann endlich das Wetter. Während in Innsbruck die Sonnenstunden schwinden, steigen sie in Berlin. Die Stadt lebt auf, die Parks werden wieder genutzt. Der Treptower Park ist inzwischen angesagt in Berlin. Als Jugendliche war ich dort nie, jetzt ist es quasi mein Garten, den ich mit Hunderten teile. Das Haus Zenner ist zurück. Biergarten und Veranstaltungen. Auch cool. Tretbootfahren, Picknicken, Spazierengehen. In Treptow kann man doch mehr machen, als ich dachte. Zum Glück ist das Schlesi aber auch nicht weit. Aus der Burg Schnabel ist inzwischen das ÆDEN geworden. Die Stimmung in Berlin steigt. Dafür bin ich zurückgezogen. All die Menschen, die einfach sein können, wie sie möchten, strömen auf die Straße. Von ganz bieder zu total extravagant. Egal wie crazy du dich anziehst, es gibt immer Menschen, die crazier sind. Hier gibt es keinen Einheitsbrei, den gibt es in Innsbruck.

Frühling im Treptower Park, die zumindest für mich schönste Zeit des Jahres. Foto: Imago/Jürgen Held

In Innsbruck allgegenwärtig: Bergsport-Sunnyboys

Käppi, Baggy-Jeans, Ski- oder Snowboards über die Schulter gelegt, lange Haare, paar coole Tattoos, ein Joint in der Hand und einen witzigen Spruch im Innschbrugger-Dialekt. Sunnyboys nicht vom Surfstrand aus Australien, sondern straight vom Skyline-Park der Nordkette. Das wär kurz gesagt der Standard-Innsbrucker. Klar, es gibt auch andere, aber die jungen Leute, die nicht Bergsport-affin sind ziehen nach Wien oder Berlin. In der Großstadt kommt das Gefühl von Freiraum im Kopf wieder. Anonymität anstatt von gesellschaftlicher Kleinstadt-Kontrolle. Sport und Natur gegen Kunst und Kultur. Dafür lohnt sich der Umzug Innsbruck nach Berlin.

Frühlingsaktivität Fahrradfahren: Gefahr gegen Höhe

Das Gute am Frühling ist auch, dass man wieder Fahrrad fahren kann, ohne eiskalt zuhause anzukommen, obwohl man Sport getrieben hat. Will man in Innsbruck mal raus aus der Stadt, glaubt mir, wird es körperlich anstrengend. Zumindest ohne Auto und mit dem Anspruch, sich auf zwei Rädern und mit eigener Körperkraft fortzubewegen.

In Berlin lauern andere Gefahren. Zieht man von Innsbruck nach Berlin, tauscht man also Adrenalin-Kicks, ausgelöst durch Höhenmeter, gegen Adrenalin – verursacht durch Angst vor Autotüren, die einfach aufgemacht werden, weil Transporter den Fahrradstreifen als Parkplatz benutzen. Falls denn überhaupt ein Fahrradweg vorhanden ist. Quasi körperliche Anstrengung gegen mentale. Hinzu kommen wütende, gestresste Autofahrer:innen, die sich im andauernden Kampf mit den Fahrradfahrer:innen befinden, sodass man sich seinen Weg jeden Tag aufs Neue erkämpft. Trägt aber vielleicht zur eigenen Durchsetzungsfähigkeit bei, die in Berlin wichtig zu sein scheint.

Trotzdem wäre es ja schön, würde den ganzen motorisierten Individualverkehr nutzenden Personen bald verboten werden, mit ihrer CO2-ausstoßenden Karre in Berlin rumzufahren. Aber – wie alles in Berlin – dauert das wohl auch noch ein bisschen.

Gerade eingewöhnt, will ich wieder raus aufs Land

Dann kommt der Hochsommer nach Berlin. Inzwischen bin ich ein halbes Jahr wieder hier. Habe mich gut akklimatisiert, mag meinen neuen Bezirk immer lieber und genieße das große kulturelle Angebot. Open Airs, Freiluftkinos, Konzerte, Parks. Doch die Hitze steht in der Stadt. Außerdem wird es manchmal echt viel. Berlin ist viel. Ich habe das Gefühl, langsam verwandle ich mich in die typische „Ich lebe zwar in Berlin, flüchte aber am Wochenende nach Brandenburg“-Version, die so viele Eltern meiner Grundschulkamerad*innen verkörperten. Ist auch nicht schlimm.

Der Seddiner See in Brandenburg. Mein absoluter Lieblingssee, an dem ich als Kind die heißen Sommertag verbracht habe. Auch dafür lohnte sich der Umzug von Innsbruck nach Berlin. Foto: Imago/Manngold

Mit ein bisschen Landluft am Wochenende, geschnuppert an einem der zahlreichen Seen rund um Berlin, genieße ich dann am nächsten Wochenende die Stadt in einem ihrer dreckigen Clubs umso mehr. Und ich denke, meine Sehnsucht nach Bergen wird mich wohl frühestens in den Wintermonaten wieder einholen. Wenn überhaupt.


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Es zieht Menschen von überall in unsere Stadt. Einen Umzugsbericht aus der Schweiz nach Berlin lest ihr hier. Alter Kiez, neuer Kiez: Unsere Autorin ist von Prenzlauer Berg nach Kreuzberg gezogen. Neu in Berlin? Passt auf, denn diese Spleens eignen sich Zugezogene schnell an. Weniger Innsbruck, mehr Wien, aber trotzdem steckt in Berlin auch jede Menge Österreich. Wenn ihr allgemein am Leben hier interessiert seid, informiert euch die Rubrik Stadtleben über Berlins Alltags von Gesellschaft bis Politik.

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