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Alter Kiez, neuer Kiez

Umzug aus der Schweiz nach Berlin: Von „Grüezi“ zum trockenen „Hallo“

Von Bergluft zu Auspuffgasen, von weitläufigem Grün zu engen Betonwüsten, von der Schweiz nach Berlin. Unsere Autorin wagte den Schritt, macht ihren Umzug in die Hauptstadt. Was hat sie sich davon erhofft, was beschäftigte sie vor dem Umzug und wohl am wichtigsten: Hat es sich gelohnt, das liebenswerte „Grüezi“ gegen das trockene „Hallo“ zu tauschen? Über ihre Gefühlsreise berichtet sie in diesem Artikel.

Umzug von der Schweiz nach Berlin: Statt Sessellift gibt’s nun Tram. Foto: Imago/Imagebroker

Umzug von ländlicher Freundlichkeit zu städtischer Kälte, wieso macht man sowas?

Nach meinem Wirtschaftsstudium im überschaubaren St. Gallen hat es mich zunächst in die verschneiten Berge für eine Skisaison gezogen. Nicht mein Ding, also entschied ich mich eine 180-Grad-Wende zu vollziehen und nach Praktikumsstellen im städtischen Berlin zu suchen. Natürlich schätze ich die Berge, allgemein die Natur in der Schweiz, die kurzen Zugstrecken mit nur Vier Stunden von Ost nach West, die gewohnten Routinen wie WG-Abende am Mittwoch, Ping-Pong am Donnerstag, Quartier-Kaffee-Prosecco am Freitag.

Nur fehlt mir in der Kleinstadt die Anonymität. Ebenso möchte ich neue Dinge ausprobieren, welche mir vor lauter Routine gar nicht in den Sinn gekommen wären, und generell alte Gewohnheiten hinter mir zu lassen. Für mich schreit Berlin nach: alles kann, nichts muss.

Hallo kalte Füße, Tschüss lockere Lässigkeit

Mit der Praktikumsstelle kamen kalte Füße. Sind die vielen Schlagzeilen zur Wohnungsknappheit in Berlin wahr? Komme ich klar mit der „Berliner Schnauze“? Wie sieht es aus mit Safety? Ich meine, in St. Gallen konnte ich durch praktisch jede Seitengasse nach Mitternacht schlendern und ich fühlte mich mehr oder weniger sicher. Und wie ist es mit Social Anxiety? Immer von Menschen umgeben zu sein, klingt für mich nach Fluch und Segen.

Spätverkauf mit Lebensmitteln in Berlin: Späti, Spätverkauf, Spätshop von Lebensmitteln, Getränken, Zeitschriften und Tabakwaren. Foto: Imago/Winfried Rothermel

Stopp, zurück auf den Boden! Wie cool ist es bitteschön in einer Großstadt zu leben?

Neben den Ängsten hatte ich aber auch positive Gefühle: Die Chance, ein Praktikum in einer komplett neuen Stadt zu absolvieren, ist einzigartig. Zurecht sagen viele: „Berlin ist die Stadt aller Möglichkeiten“.

Berlin ist wirklich eine Stadt für alle! Egal ob Heavy-Metall-Konzerte, Kunst-Workshops, Jazz-Cafés, veganes Essen, Drei-Euro-Döner, diverse Meditationen oder Fetisch-Klubs – ich bin überzeugt, für jeden Topf wird ein passender Deckel gefunden.

Mein Deckel? Die vielen kleinen Spätis um die Ecke, die süßen Cafés mit den gefühlt 10.000 Fancy-Topping-Lattes, die beste Mate (von Mio Mio), die vielen Möglichkeiten, Yoga zu praktizieren, die unzähligen Kunstausstellungen, ganz zu schweigen von den vielen Graffitis und nicht zu vergessen: die kleinen Konzerte. Das ist nur ein Bruchteil der Möglichkeiten, die Berlin zu bieten hat. Deshalb freue mich auf alles, was mich erwartet.

Typisch Berlin: Bunte Hausfassade besprayt mit Graffiti. Foto: Imago/chromorange

Akzeptanz und Durchhaltevermögen sind der Schlüssel – meine Tipps und Erfahrungen für den Umzug

Der erste Schritt meines Umzugs war es, zu akzeptieren, dass kalte Füße normal sind, und zu lernen, wie ich mit meinen Bedenken umgehe. Ehrlich gesagt, bin ich das noch immer am Lernen. Aber auch das ist in Ordnung. Nun zu den hard facts:

Wohnungsknappheit? Aber so was von! Trotzdem den Kopf nicht hängen lassen und dran bleiben, war mein Motto. Es gibt unzählige Plattformen, um Wohnungen zu suchen. Meine Tipps? WG-Gesucht, eBay Kleinanzeigen und Freund:innen von Freund:innen von Freund:innen fragen, hilft viel. Vitamin B, auch wenn ihr die Person nur von weither kennt, öffnet ebenfalls wertvolle Türen. Flops? Ich persönlich habe nicht allzu gute Erfahrungen mit Facebook gesammelt.

  1. Viel zu viele Fake-Wohnungsanzeigen
  2. Viel zu viele Leute, die Wohnungen suchen
  3. Null Übersicht

Ich habe schlussendlich tatsächlich über meinen Freund eine Wohnung gefunden, der einen Freund aus Berlin hat, welcher ebenfalls einen Freund hat, der einen Freund hat, der jemand kannte, der aus seiner Wohnung zieht. Überall fragen lohnt sich.

„Berliner Schnauze“? Ja, auch wahr. Anders als in der Schweiz fragt hier niemand: „Könntest du bitte, aber auch nur, wenn es keine Umstände bereitet, und auch wirklich wirklich nur, wenn es dir gerade in den Terminplan passt und du Lust hast, meine Pflanzen gießen?“ Nee, hier heißt es: „He, ich habe dir gestern meinen Korkenzieher ausgeliehen. Als Gegenzug kannst du meine Pflanzen die nächsten drei Tage gießen.“ Aber: Berliner:innen sind generell, meinen Erfahrungen nach, offener, neue Leute kennenzulernen als im kleinen St. Gallen, wo jede:r schon seine Handvoll Freunde und Freundinnen hat.

Sonnenuntergang auf dem Tempelhofer Feld. Foto: Imago/Christian Reister

Safety? Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich bisher nicht unwohl. Wie alle sagen: „Die Stadt schläft nie“. Menschen finden sich überall zu jeder Zeit. Klar gilt es, einige Plätze und besonders Parks nachts zu meiden, aber hier gilt: Menschen fragen, die meisten wissen, wo du dich nicht umhertreiben solltest.

Social Anxiety in einer Großstadt? Ja, Hand aufs Herz, damit hatte ich teils auch zu kämpfen. Aber sind wir ehrlich: Von einer 70.000-Einwohner-Stadt zu einer 3,6-Millionen-Stadt ist dies wohl unumgänglich. Wird schon.


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