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Alter Kiez, neuer Kiez

Umzug von Heidelberg nach Berlin: Schönheit allein, das lass sein

Eine Stadt wie aus einem deutschen Märchen, Studentenmekka und castle on the hill. Unsere Autorin entschied sich trotzdem dafür, Heidelberg den Rücken zu kehren und in Berlin ihren eigenen Weg zu gehen.

Zwei Berliner Giganten in einem Bild: das Neuköllner Rathaus und der Fernsehturm. Foto: Imago/Emmanuele Contini

Romantischer als in Heidelberg geht es nicht – oder?

Bevor ich nach Berlin gezogen bin, kannte ich die Hauptstadt nur von Schulausflügen, deren Führungen vom Brandenburger Tor zu den Resten der Berliner Mauer liefen und nur so vor Geschichtsträchtigkeit strotzten. Zum Bachelorstudium fiel meine Wahl auf Heidelberg, ich wollte erstmal möglichst weit weg von zuhause sein und mich frei und unabhängig fühlen, natürlich mit der Unterstützung meiner Eltern.

In Heidelberg ist alles alt und alles schön, sogar die Uni-Mensa, die sich im ehemaligen Waffenlager der Stadt befindet. Dort habe ich gelernt, Couscous-Salat zu lieben und unzählige Iced Coffees mit Freunden im Innenhof zu trinken. Die Stadt am Neckar ist bekannt für Renaissance-Bauten, allen voran das Schloss, das über der Stadt thront. Der Weg dahin ist steinig. Nein, nicht steinig, aber steil. Aber wenn man verschwitzt und keuchend oben angekommen ist, wird man mit einem weitläufigen Blick über das Neckartal belohnt.

Ins Fitnessstudio braucht man nach dem Aufstieg zum Heidelberger Schloss nicht mehr. Foto: Imago/Loop Images/Anna Stowe

Neben alt und schön ist Heidelberg auch kompakt, in einer halben Stunde läuft man zu Fuß einmal komplett durch die Altstadt. Viele verschiedene Sprachen kommen mir auf meinem Weg entgegen und oft auch bekannte Gesichter. Denn hier kennt jeder jeden, was dem hohen Studentenanteil geschuldet ist. Besonders in den ersten Semestern habe ich mich deswegen sehr gut aufgehoben gefühlt. Heidelberg hat mich behütet.

Es ist nicht immer alles Gold, was glänzt

So romantisch, wie Heidelberg auch wirkt, Tradition wird hier immer noch großgeschrieben, Burschenschaften sind trotz ihres zweifelhaften Rufes weiterhin Teil der Studentenlandschaft, und gewählt wird auch eher konservativ. All das, aber auch meine eigene Rastlosigkeit und der Fakt, dass ich nach mittlerweile fünf Jahren blind für die Schönheit Heidelbergs war, machte mir klar: Ich bin bereit für etwas Neues.

Heidelberg adé, Berlin olé: Gar keine so große Umstellung

Etwas orientierungslos nach dem Bachelorabschluss, entschied ich mich dazu, meinen Freunden hinterherzuziehen. In gewisser Weise musste ich mich bei meinem Umzug nach Berlin gar nicht so stark umgewöhnen, denn ganz wie in Heidelberg kann ich in meinem Stadtteil Neukölln auch alles in einem 30-Minuten-Radius bekommen. Anstelle des Couscous-Salats in der Mensa freue ich mich nun jedes Mal, wenn ich bei meiner Lieblingsdönerbude am Rathaus Neukölln einen Ayran for free dazubekomme.

To Späti or not to Späti? Eigentlich nur eine rhetorische Frage Foto: Imago/CHROMORANGE

Als schön würde ich Berlin nicht unbedingt bezeichnen, da bin ich nach meiner Heidelberger Zeit zu verwöhnt, aber dafür macht die Stadt es mit ihrem Charakter wett. Ein kurzer Schnack mit dem Späti-Mann in meinem Haus, der mir berichtet, dass sein Geldautomat nun Musik spielt, wenn man Geld abhebt, und auf geht es in die Nachbarschaft. Anonym muss man in Berlin nicht sein, besonders wenn man sich für seine Nachbarn interessiert.

Anstatt meinen täglichen Mental-Health-Spaziergang am Neckar zu führen, geht es nun für mich entlang des Landwehrkanals zum Dreiländereck. Hier sitze ich gerne in der Sonne und beobachte Menschen in ihren Schlauchbooten. Meinen Kaffee trinke ich am liebsten im K-Fetisch, dem von einem Kollektiv betriebenen Café der Nachbarschaft. Auch wenn ich niemanden persönlich kenne, fühle ich mich hier gut aufgehoben inmitten veganem Käsekuchen und antikolonialer Lektüre zum Ausleihen.

Sonne, Schlauchboot und Spazieren: das Dreiländereck am Landwehrkanal. Foto: Imago/F. Anthea Schaap

Nicht nur neue Café-Spots habe ich in Berlin dazugewonnen, sondern auch neue Arten Kunst und Kultur zu erleben. Berlin macht es einfach, an Orten wie beispielsweise dem selbst-organsierten Kunstraum 90mil gleichzeitig neue Leute und neue Fähigkeiten (kennen-)zulernen. Café, wie auch Kunstraum machen es sich hier zur Aufgabe, ein Ort für Gemeinschaft zu sein. Es wird nicht erwartet, dass ich nach meinem Keramik-Workshop sofort wieder nach Hause fahre, sondern kann dort auch noch auf den zusammengewürfelten Sofas im Gemeinschaftsraum Zeit verbringen. In Heidelberg war durch mein Studium schon sichergestellt, dass ich Anschluss finde. In Berlin muss ich mich ein bisschen mehr anstrengen, nicht in der Anonymität der Stadt unterzugehen, aber bis jetzt stelle ich mich ganz gut an.


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Interessiert an weiteren Umzugsstories? Nicht ganz Heidelberg, aber geografisch nahe gelegen: Vom Schwabenland nach Berlin. Um sich die Eingewöhnungsphase zu erleichtern, muss man sich als Zugezogener in Berlin erstmal an ein paar Dinge gewöhnen. Wer noch tiefer in die Nachbarschaft eintauchen möchte, kann diese 12 Neuköllner Orte besuchen. Neben dem K-Fetisch gibt es auch noch eine größere Auswahl an interessanten Neuköllner Cafés.

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