Eigentlich studiere ich Verlagswirtschaft an der HTWK in Leipzig. Allerdings wusste ich auch, dass ich für das Praxissemester nochmal raus will aus der Messestadt. Bei der Suche standen für mich erstmal nur zwei Dinge fest: Hamburg oder Berlin wären cool und auf gar keinen Fall gehe ich nach München! Am Ende wurde es: Berlin. Und hier ist einiges anders. Redaktionspraktikantin Stefanie Kaiser schreibt über ihren Umzug von Leipzig nach Berlin. Eine Geschichte über zwei Welten.
Der Umzug von Leipzig nach Berlin – Schicksal, Glück oder Zufall?
Ein halbes Jahr nach meiner Entscheidung, Leipzig zu verlassen, kam eine Zusage für die Stelle in Berlin und ich wollte am liebsten sofort packen und los. Als Ende September der Umzug immer näher rückte, war ich auf einmal gar nicht mehr so bereit. Komisches Gefühl alles hinter sich zu lassen. Und ja, Berlin ist nicht am Ende der Welt, aber hat schon mal jemand versucht, eine Fernbeziehung zu führen? Mit dem kompletten sozialen Umfeld der letzten fünf Jahre?
War es Schicksal, Glück oder Zufall? Ich habe eine Wohnung gefunden! Wahrscheinlich war von allem ein bisschen was dabei, denn die Höllenqualen der Suche auf dem Berliner Wohnungsmarkt sind mir erspart geblieben. Ob ein echter Berliner neidisch auf die Hinterhofwohnung in der Seitenstraße vom Kurfürstendamm wäre, kann ich nicht sagen. Wollen hier nicht alle irgendwie nach Kreuzberg? Genau genommen wusste ich bis vor kurzem nicht mal, das „Ku’Damm“ eine Abkürzung ist und rein gar nichts mit den gefleckten Wiederkäuern zu tun hat. Shame!
In die Unangenehm-Schublade fällt neben diesem Unwissen über den Kurfürstendamm bis jetzt sonst nur mein Besuch im KaDeWe. Die Suche nach dem Ausgang in diesem Wirrwarr aus Rolltreppen brachte mir vor allem strafende Blicke für mein alles andere als poshes Outfit. Vegane Donuts gibt es dort aber zum Glück auch für Leute in Jogginghosen und übergroßen Oma-Jacken.
Vom Leipziger Crime-Hotspot zur Berliner Hinterhofidylle
Eine bezahlbare Wohnung in Zentrumsnähe und halbwegs gutem Zustand, ist auch in meiner Wahlheimat Leipzig mittlerweile nicht mehr ganz so leicht zu finden. Mein alter Wohnort im Eisenbahnstraßen-Kiez im Leipziger Osten ist Waffenverbotszone und durch die Negativ-Schlagzeigen über Schießereien und Drogenkonsum immer noch als „Crime-Hotspot“ bekannt.
In den letzten Jahren zieht es aber vermehrt auch die großen Immobilienhaie auf die „gefährlichste Straße Deutschlands“, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als den ganzen Stadtteil einmal komplett durchzugentrifizieren und dafür auch gern mal Hausprojekte à la Liebig 34 räumen lassen. Hoffen wir mal, dass das nicht das Ende für das multikulturelle Zusammenleben ist, für das der Stadtteil eigentlich bekannt sein sollte.
15.30 Uhr, jeden Tag: Hier spielt die Musik – aber auch nur Klavierkonzerte
Genau genommen ist es für mich in Berlin ganz schön ruhig geworden. Mit Fenstern zum Innenhof statt zur Straße werde ich statt von Böllern und Kindergeschrei höchstens vom entfernten Glockengeläut der Gedächtniskirche geweckt. Laut sind nur mal die Krähen und mein Nachbar, der jeden Tag Punkt 15.30 Uhr die Musik aufdreht. Aber was stören einen schon Klavierkonzerte und die Filmmusik von Herr der Ringe?
Ruhiger ist es auch mit den sozialen Kontakten. Ohne Mitbewohner, ohne Katze, ohne den stabilen Freundeskreis kann es in der beginnenden dunklen Jahreszeit schon mal einsam werden. Verschluckt in der Anonymität einer Großstadt hat mich Berlin aber bislang nicht. Hier lernt man auch mit Homeoffice, Maskenpflicht und Abstandsregeln irgendwie Leute kennen, und sei es nur der Verkäufer vom Späti um die Ecke, der seinen Namen übrigens verdient hat und nicht wie in Leipzig schon 22 Uhr schließt. Da hat hier sogar der Netto länger auf!
BVG – Weil wir dich lieben? Würde ich unterschreiben!
Das Kiez-Feeling, was ich mir vorgestellt hatte, will in Charlottenburg trotz sehenswerter Orte aber irgendwie nicht so richtig aufkommen. Und auch wenn der zweistöckige Idee Markt mein kreatives Herz höher schlagen lässt, sind die Einkaufsmeilen mit ihrem endlosem Aufgebot an Fast-Fashion doch nicht so mein Ding und die shopping-wütigen Touristen, die die Straßen füllen, irgendwie zu viel des Guten.
Gut also, dass es die BVG gibt, die einen überall hinbringt. Entgegen der allgemeinen Vorliebe zum Öffi-Bashing würde ich den Claim „Weil wir dich lieben“ direkt so unterschreiben. (Sorry, Leipziger Verkehrsbetriebe, aber ihr habt da echt noch einiges aufzuholen!) Im Gegensatz zur Vier-Fahrten-Karte in Leipzig (die übrigens genauso viel kostet, wie vier Einzelfahrten!) bekommt man in der Hauptstadt noch richtig was geboten für sein Geld und muss auch keine 15+ Minuten warten. Für nur 20 Cent mehr kann man hier mit einem Einzelfahrausweis (AB) das dreifache an Strecke zurücklegen und hat sogar eine Stunde länger Zeit.
Na gut, um fair zu bleiben, man braucht hier eben doch auch ein bisschen länger, um von A nach B zu kommen. Wo man in Leipzig in einer Dreiviertelstunde durch die gesamte Stadt fahren kann, ist die gleiche Zeitspanne in Berlin halt irgendwie Standard.
Marzahn-Feeling in Grünau
Für Entdeckungstouren in der Berliner Clubkultur habe ich mir natürlich das ungünstigste Jahr ausgesucht, zu tun gib es aber trotzdem genug und sei es die Mission, auch nur einen Bruchteil der unzähligen Cafés, Bars und Restaurants zu besuchen. Da bekommt man regelrecht ein schlechtes Gewissen, wenn man den Abend dann doch auf der Couch verbringt.
Ansonsten finde ich mich mittlerweile gut zurecht: Grünau ist hier wirklich grün und mal einen Besuch wert. Ob für einen Besuch im Strandbad oder einen Spaziergang am Ufer der Dahme. Das gleichnamige Pendant in Leipzig, lässt da eher Marzahn-Feeling aufkommen. Die Eierkuchen-Pfannkuchen-Berliner-Debatte ist Zuhause die gleiche und das mit dem Ku(h)-Damm bekomme ich auch hin.
Irgendwie bin ich angekommen und zwischen Flohmärkten, Second-Hand-Shops, Ausstellungen und unerwartet viel Natur, kommt schon auch mal der Gedanke einfach hier zu bleiben. Zurück nach Leipzig möchte ich aber schon, nur jetzt bitte noch nicht!
Ob Leipzig der Bezeichnung „New Berlin“ gerecht wird, ist nach drei Wochen irgendwie noch schwer zu sagen, es fühlt sich so ganz anders an. In jedem Fall ist der von der Berliner Zeitung erfundene Spitzname „Hypezig“ ein echter Cringe-Begriff für jede*n Leipziger*in.
Mehr über Umziehen und Ankommen in Berlin
Nicht nur nach Berlin, sondern auch in Berlin sind wir schon umgezogen, zum Beispiel von Neukölln nach Kreuzberg. Einen anderen Kollegen zog es von Friedrichshain nach Kreuzberg: Same same but different. Und der Umzug von Prenzlauer Berg nach Steglitz offenbarte unserer Autorin überraschend anderes.
Aller Anfang ist schwer, an diese Dinge müssen sich Neuankömmlinge erst einmal gewöhnen. Manchmal geht es aber auch ganz schnell: Diese Spleens eignen sich Zugezogene (viel zu schnell) an.