Nach einem Jahr in London ging es für die Autorin zurück nach Deutschland. Doch zu ihren Eltern in die Kleinstadt-Idylle nach Mecklenburg-Vorpommern wollte sie nicht mehr. Sie brauchte die Großstadt: Aus dem Essex-Girl wurde eine Prenzlauer Berg-Studentin. Berliner Schnauze statt poshem „british accent“. Aber wo liegt der Unterschied zwischen den Millionen-Metropolen und gibt es überhaupt einen?
Cuppa Tea? Of course, darling – der Umzug von London nach Berlin fiel nicht leicht
2018 arbeitete ich als Au-pair in London. In Chingford, fast Essex, 45 Minuten mit Bus und Bahn zur Oxford Street. Mein Zug fuhr dort nur alle 15 Minuten, für Londoner – und auch Berliner Verhältnisse – wohl eine kleine Ewigkeit. Doch die Familie, die mich aufnahm, war super. Wir hatten ein großes Haus, dazu einen riesigen Garten. Sogar eine Putzfrau kam jeden Freitag – das Essex-Leben war angenehm.
Ich lernte schnell neue Leute kennen, ging in Pubs, kochte Jamie-Oliver-Gerichte und konnte den Essex-Slang bald von dem West-Londoner Akzent unterschieden. Ich entdeckte unglaubliche Architektur, versank in wundervollen Vintage-Läden und besuchte die Märkte der Stadt. Auf einmal war auch ich Royal-Fan und ging gerne zum High-Tea in vornehme, dennoch bezahlbare Restaurants.
Das Jahr ging schnell vorüber. Ein Jahr, in dem ich viel über mich lernte und über die englische Kultur. Bald war es normal, Männer in Anzügen in der Mittagspause mit dem ersten Pint im Pub stehen zu sehen. Ich gewöhnte mich auch an den Linksverkehr und merkte, dass die Londoner*innen gerne schick unterwegs waren.
Ein Klischee stimmt übrigens. Auch bei Minusgraden heißt die Devise beim Ausgehen: so viel nackte Haut wie möglich. Wohl um nicht zu frieren, waren bei vielen die ersten alkoholischen Mixgetränke schon sehr früh geleert. Hier fängt die Party-Nacht um 18 Uhr an – und hört um drei Uhr morgens fast überall abrupt auf. Nicht, weil keine*r mehr stehen kann. Sondern weil die Clubs schließen.
Eigentlich gar nicht so verkehrt, anstatt die Nächte durchzutanzen, wie es in Berlin der Fall ist, sind die Londoner*innen am nächsten Tag fit, meistens jedenfalls. Ich fühlte mich sehr wohl und wollte eigentlich gar nicht weg.
Umzug nach Berlin: die erste eigene Wohnung im Prenzlauer Berg
Nach einem Jahr war es aber doch Zeit für den Rückflug nach Deutschland. In London waren die Studienkosten sowieso viel zu hoch und ich bewarb mich für ein Studium in Berlin. Berlin war schon immer mein Traum gewesen. Früher besuchte ich regelmäßig meine Tante im Prenzlauer Berg und schwärmte für die Aperol-Spritz-trinkenden Möchtegern-Künstler*innen in den Bars und Cafés.
Als ich dann die Schlüssel zu meiner ersten eigenen Wohnung im Kiez in den Händen hielt, war ich wirklich stolz. Vor allem stolz darauf, eine Einraumwohnung im Prenzlauer Berg auf Anhieb gefunden zu haben. Sie ist klein, doch super angebunden und ich kann sie – noch – bezahlen.
So zog ich also vom Londoner Stadtrand mitten in die Berliner City. Doch so einen großen Unterschied gab es auf den ersten Blick gar nicht. Im Prenzlauer Berg gibt es genauso viele Kinder wie im Nordosten Londons, es fahren hier nur weniger Range Rover ohne Umweltplakette und der Golfplatz vor der Haustür fehlt.
Wechsel von London nach Berlin nicht so einfach wie gedacht
Trotzdem fiel mir das Ankommen in Berlin schwerer als ich dachte. Obwohl sich hier der Alltag schneller einstellte als in London, konnte ich erstmal wenig mit der Coolness der Stadt anfangen. London war irgendwie exklusiv, ließ aber trotzdem jeden mitmachen. Berlin sagt dir von Anfang an, dass du ganz leicht zu ersetzen bist.
An meinem ersten Tag in London lief ich durch Soho, durch den Hyde Park, zum Buckingham Palace und lud mich abends selbst in ein schickes Restaurant ein. In Berlin verbrachte ich meinen ersten Tag damit, den Dreck der Vormieter*innen aus der Wohnung zu kratzen und schaffte es vor Müdigkeit gerade noch so zum nächsten Döner-Laden um die Ecke.
Mittlerweile ist es mein Lieblings-Döner-Laden, wo man weiß, dass ich ohne Knoblauchsoße und mit Zwiebeln bestelle.
Es war grau in Berlin. Die Leute blieben irgendwie immer im Weg stehen und ich musste mich bemühen, der Stadt eine Chance zu geben. Dabei konnte Berlin gar nichts dafür, dass es November war und nicht alles sofort glatt gelaufen ist.
Ankommen in Berlin: Nach und nach lernt man seinen Kiez schätzen
Nach anfänglichen Startschwierigkeiten und Zweifeln, ob ich überhaupt zu Berlin passe, habe ich mich aufgemacht, die Stadt, die Menschen und Clubs kennenzulernen. Es waren noch vier Monate, bevor der erste Lockdown Deutschland traf. Ich lernte interessante Menschen in der Uni kennen, durchstreifte viele Museen und brauchte bald kein Google Maps mehr für meinen Nachhauseweg.
Nicht lange und ich kannte ich mich in meinem Kiez aus. Samstage verbrachte ich mit Marktgängen, ich wusste, in welchen Bars wann Happy Hour ist und war schnell mit den Verspätungen der BVG vertraut. Ich fand mich auch mit meinen lauten Nachbarn ab und konnte nach einiger Zeit mit unangenehmen Gerüchen in den Bahnhöfen der Stadt umgehen.
Mittlerweile fühle ich mich wohl, hier zwischen Volkspark Friedrichshain und Mauerpark. Auch wenn viele Vorurteile auf die Menschen in Prenzlauer Berg zutreffen, bin ich froh, hier gelandet zu sein. Vielleicht ist mein Fell auch noch nicht dick genug für andere Kieze.
Mein Studierenden-Ausweis, mein Leben
Ohne meinen Studierenden-Ausweis würde ich niemals aus dem Haus gehen. Es ist so viel wert, dass dieser den Studierenden eine kostenlose Nutzung der BVG ermöglicht. Klar, im Semesterbeitrag bezahlen wir auch dafür, dennoch würde ich sagen, dass fast alle Studierenden diesen Betrag schnell abgefahren haben. Es ist wirklich schön, nicht darauf achten zu müssen, wie ich wann und wo fahre.
Obwohl auch die BVG die Preise gerne einmal anzieht, sind diese nicht mit Londoner Fahrpreisen zu vergleichen. Es ist wirklich teuer in London, um von einem Ende zum anderen zu kommen. Auch ist hier eine Stunde Fahrt normal. Da bin ich froh, dass es in Berlin manchmal doch ziemlich schnell geht.
Ein bisschen London fehlt mir dennoch
Manchmal fehlt mir mein London dann aber doch noch ganz schön. Ich vermisse den Kitsch: die penetrante Weihnachtsbeleuchtung in der ganzen Stadt, die Leuchtreklame überall. Die übertriebene Begeisterung für das Königshaus und den Chic der Menschen und der Stadt.
Ohne „Bottomless Prosecco-Brunch“ verbrachte ich kaum ein Wochenende und zu gerne genoss ich Drei-Gänge-Menüs direkt an der Themse. Trotz meines kleinen Au-pair-Gehalts hat irgendwie alles geklappt.
Was ich aber aus London mitgenommen habe ist, immer den Hauswein zu bestellen. Acht Euro für ein kleines Glas Chardonnay? Da mache ich nicht mit.
Die Freundlichkeit der Londoner*innen ist einzigartig. Auch wenn es anfangs irritierend war, immer ein „How are you?“ von den Kassierer*innen im Supermarkt zu hören, tat es irgendwie gut. Ich hatte Routine darin, mich beim Busfahrer für Fahrt zu bedanken und mich zu entschuldigen, wenn jemand gegen mich gegen gelaufen ist. Alle machen das.
Ich erinnere mich gerne an die Busfahrten im Dezember zurück. Sitznachbarn wünschen sich hier zum Abschied „Merry Christmas“, einfach so. In Berlin ist mir das noch nicht passiert. Und, würde ich sagen angesichts der Mentalität der meisten Menschen hier, auch relativ unwahrscheinlich. Leider.
Ein großer Pluspunkt für London ist der freie Eintritt in Museen. Fast nirgends muss Geld bezahlt werden. Das regt natürlich auch viel mehr Leute dazu an, ein Museum zu besuchen. Auch ich war im Verkehrsmuseum, obwohl ich mit Autos und Raketen nicht so viel anfangen kann. Außerdem boten die vielen Museen, in der ganzen Stadt verteilt, immer einen besonderen Zufluchtsort, bei plötzlich hereinbrechendem Regen.
Und wie kann es in London immer so sauber sein?
Noch etwas, das mich faszinierte: London ist sauber. Egal, ob im Park, die Straßen, Bahnhöfe oder Bus und Bahnen. Alles ist sauber und ich habe bis heute noch keine wirkliche Antwort darauf gefunden, wie das funktioniert. Es gibt zum Beispiel gar keine Mülleimer an den Bahnsteigen. Wie geht das? Manchmal wünschte ich mir diese Sauberkeit auch für Berlin. Man kann oft nur noch kopfschüttelnd durch die Parks der Stadt laufen, wenn die ersten Sonnenstrahlen Berlin erreicht haben.
Kann man London und Berlin nun vergleichen?
Wahrscheinlich sollte man die beiden Hauptstädte nicht miteinander vergleichen. Jede Stadt hat ihren ganz eigenen Charme. Jede Stadt kann auch ab und an ziemlich nerven. Für mich ist es gut, genau jetzt in Berlin zu sein und erwachsen zu werden. Ich bin unglaublich froh, hier studieren zu dürfen und so viele verschiedene Menschen kennenzulernen. Ich freue mich auch auf das Berlin nach Corona.
Denn so richtig konnte ich die Stadt ja auch noch gar nicht erleben. Ich bin gespannt, was mich noch erwartet und wo es mich noch einmal hinzieht. Wobei ich eins ganz sicher weiß: Früher oder später werden es noch ein, zwei Jahre London werden.
Mehr über Umziehen und Ankommen in Berlin
Auch innerhalb Deutschland ging es für tip-Autor*innen von Großstadt zu Großstadt, zum Beispiel von Leipzig nach Berlin. Ebenso zogen sie innerhalb Berlins um: Hier berichtet unsere Autorin, dass beim Umzug vom Wedding nach Prenzlauer Berg, einige Vorurteile stimmen. Same same but different: Ein Kollege erzählt von seinem Umzug von Friedrichshain nach Kreuzberg. Auch der Umzug vom Prenzlauer Berg nach Steglitz war überraschend anders.
An diese Dinge müssen sich Neuankömmlinge in Berlin erst einmal gewöhnen, auch ich hatte damit zu tun. Dennoch: an diese Spleens eignen sich Zugezogene (manchmal viel zu schnell) an.