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Verdrängte Berliner Orte: Spekulationskrimis aus der Hauptstadt 

Berlin macht der britischen Hauptstadt Konkurrenz, auch und vor allem wenn es um verdrängte Orte geht. „This town is coming like a ghost town – all the clubs have been closed down“ sang die britische Band „The Specials“ bereits 1981 über London. Mehr als 40 Jahre später befindet sich auch Berlin immer mehr im Würgegriff von Gentrifizierung und Spekulation. Eine wichtige Kulturstätte nach der anderen schließt. Wir erinnern uns an eine Reihe wichtiger Orte, die aus dem Berliner Stadtbild verschwunden sind.


Queerfeministisches Unikat im Friedrichshain: Liebig34

Verdrängte Berliner Orte: die Liebig34
Unter massivem Polizeiaufgebot wurde die Liebig34 im Jahr 2020 geräumt. Foto: Imago/Gabsch/Future Image

Es war das Symbol der linksradikalen und queerfeministischen Szene Berlins: das Haus in der Liebigstraße 34 im Friedrichshain. Nach der Wende besetzt, wurde es schnell zum Zentrum des “Nordkiezes”, dem Hotspot der autonomen Szene. Ab 1999 lebten ausschließlich FLINTA+ Personen, also Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans oder agender Personen in dem Haus. Cis Männer streng verboten!

Das Haus selbst bezeichnete sich als „anarcha-queer-feministisches Hausprojekt Liebig 34“. Doch Anfang der Zweitausender war Schluss mit der anarchistischen Wohnungspolitik der Hauptstadt. 2008 kam es zur Zwangsversteigerung. Das Haus wurde von dem Immobilienmogul Gijora Padovicz erworben, der mit den Bewohnern einen zehnjährigen Pachtvertrag aushandelte. Als der Vertrag auslief, kam es zu einem zweijährigen Rechtsstreit. Dieser endete jedoch zugunsten des Besitzers: 2020 gab das Berliner Landesgericht einer Räumungsklage statt. 

Die Rigaer94 zeigt sich solidarisch mit dem Hausprojekt Liebig 34, welches unweit entfernt liegt. Foto: Imago/Future Image

Am 9. Oktober 2020 wurde die Liebig34 unter denkbar großem Widerstand und medialer Begleitung geräumt: Für den Einsatz wurden eigens Hundertschaften aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und der Bundespolizei nach Berlin geholt. Insgesamt waren 1.500 Polizist:innen im Einsatz – gegenüber 1.000 Demonstrierenden. Seitdem steht das Haus leer. 


Die Kneipen denen, die drin saufen: die Meuterei in Kreuzberg

Die Räumung der Kiezkneipe Meuterei in Kreuzberg. Foto: Imago/J. MW/Future Image

Einst lag die Meuterei in einer unliebsamen Schmuddelecke Berlins. Das Areal zwischen Reichenberger Straße und Landwehrkanal, nahe dem alten Mauerstreifen, galt lange als uninteressant für Immobilieninvestor:innen. Als das Meuterei-Kollektiv die Kneipe 2009 anmietete, war der Kiez jedoch bereits dabei, sich zu verändern. In der Hausnummer 58 zog mit der “Meute” eine unkommerzielle Bar ein, die politische Veranstaltungen, Filmabende und soziale Beratung anbot.

Doch nur drei Jahre später wurde das Haus, das ursprünglich zum angeschlagenen Immobilienimperium des Filmproduzenten Artur Brauner gehörte, an die „Zelos Properties“ unter dem Investor Goran Nenadic weiterverkauft.

Die Demonstranten „Chaos für die Meute Tag X“ gegen die Räumung der Kiezkneipe Meuterei. Foto: Imago/J. MW/Future Image

2019 lief der Mietvertrag endgültig aus. Statt einer weiteren Verlängerung bot der Vermieter die Kneipe zum Verkauf an: für schlappe 750.000 Euro. Eine Summe, die für das Kollektiv nicht tragbar war, doch auf Gegenangebote ging Nenadic nicht ein. So entschied sich das etwa zehnköpfige Kollektiv, die Schlüssel zu behalten und ließ es auf eine Räumung ankommen. 

Am 25. März 2021 kam der “Tag X”: Zahlreiche linke Gruppen riefen zu Protest und dezentralen Aktionen gegen die Räumung der Meuterei auf. Auch etliche Menschen aus der Nachbarschaft beteiligten sich. Über 1.000 Polizist:innen waren an der Räumung beteiligt. Ein Aufgebot, das von mehreren Politiker:innen als unverhältnismäßig eingestuft wurde. Doch nur eine Stunde nach Beginn des Einsatzes war die Meuterei aus dem Kiez verschwunden. Bis heute bleibt sie ein Symbol für Verdrängung alternativer Lebensorte zugunsten von Immobilienspekulant:innen.


Von Punks für Punks: Das Jugendzentrum Potse und der Drugstore

Mitten in Schöneberg: Die Potse und der Drugstore lagen einst auf der Potsdamer Straße. Foto: Imago/Joko

Im Februar 1972 eröffnete, mitten auf der Potsdamer Straße, das autonome Jugendzentrum Drugstore. Schnell wurde der Schöneberger Laden zu einer wichtigen autonomen Jugend-Kulturstätte. Hier fanden sowohl Konzerte und Partys, als auch Filmvorführungen und Ausstellungen statt. Dabei blieb man sich seinem nicht-kommerziellen Ansatz stets treu: Nichts kostete Eintritt, niemand wurde bezahlt. In den 80er Jahren zog gegenüber des Drugstores, auf dem gleichen Stockwerk zudem das Jugendzentrum Potse ein. 

Doch 1987 wurde das autonome Treiben gestört: Der Senat verkaufte das Gebäude an die BVG. Von da an kam es zu Mieterhöhungen und mehreren Beinahe-Schließungen. Zwar trat die BVG das Gebäude irgendwann ab, es folgten jedoch mehrere Weiterverkäufe – das Haus geriet in ein unübersichtliches Firmengeflecht. Spuren einer Recherche des Projekts “Wem gehört die Stadt” der Rosa-Luxemburg-Stiftung führen zu Briefkastenfirmen in Luxemburg und auf Zypern. 

Ein Banner weht aus dem Fenster des Drugstores. Foto: Imago/Pemax

Es kam wie es kommen musste: 2015 flatterte die Kündigung ins Haus. Sie wurde zu einem stadtpolitischen Skandal. Das älteste selbstverwaltete Jugendzentrum der Stadt muss Investor:innen weichen! Wie es der Senat so weit kommen lassen konnte, fragen selbst konservative Medien. Der Drugstore händigte die Schlüsse freiwillig aus, das Kollektiv rund um die Potse weigerte sich hingegen.

Statt es zu einer großen Räumung kommen zu lassen, unterzeichnete man jedoch einen Nutzungsvertrag über die Alte Zollgarage im ehemaligen Flughafen Tempelhof. 2021 zog die Potse um. Doch die Situation dort ist seitdem suboptimal: Denkmalschutz und fehlende Lärmschutzmaßnahmen lassen etwa keine Punk-Konzerte mehr zu. Die versprochenen Maßnahmen der Politik bleiben bisher aus. Und auch der Drugstore, der 2022 nach Lichtenberg zog, hat mit allerlei Einschränkungen zu kämpfen – und zudem einen Mietvertrag, der schon 2024 wieder ausläuft. Einst für scheppernde Konzerte und laute Partys bekannt, warten Potse und Drugstore nun im Exil auf den Einsatz der Politik. 


Verdrängte Berliner Orte: das Tacheles 

Verdrängte Berliner Orte: das Tacheles
Das Tacheles im August 1991. Foto: Imago/Teutopress

Reden wir Tacheles: Das Tacheles in Berlin ist das wohl bekannteste Symbol der Verwandlung Berlins vom Sündenbabel hin zum Investorenmagnet. Das Gebäude in der Oranienburger Straße gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den damals neu errichteten Friedrichstraßenpassagen. Wegen starker Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg sollte das Gebäude kurz nach der Wende gesprengt werden. Doch es kam zur Intervention: Das Künstlerkollektiv Tacheles besetzte das Gebäude – mit Erfolg. Statt eines Abrisses wurde es unter Denkmalschutz gestellt und fortan von dem Kollektiv mit Leben erfüllt. 

Nach und nach etablierte sich das Haus zu einer festen Größe der Berliner Kunst- und Kulturszene, der Name “Tacheles” ging auf das Haus über. Fortan sammelten sich hier ein Kino, eine Bar, etliche Ateliers und Ausstellungsräume, es fanden Konzerte, Lesungen und Partys statt. Bald schon war das Tacheles weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und zog Berliner:innen wie Tourist:innen an.

Das Treppenhaus des Tacheles. Foto: Imago/Sven Lambert

Bereits Ende der Neunziger erwarb die auf Luxus-Immobilien spezialisierte Jagdfeld-Gruppe – auch Eigentümer des Hotels Adlon – das Gelände. Doch das Projekt geriet in Schieflage und stand daraufhin lange unter Zwangsverwaltung. Nachdem der Mietvertrag ausgelaufen war, kam es 2012 zur Zwangsräumung. Zwei Jahre später verkauften die Besitzer das Gebäude für 150 Millionen Euro an den international tätigen Finanzinvestor Perella Weinberg Partners. 

Nun entsteht im ehemaligen Tacheles ein neues Stadtquartier. In das Gebäude soll den Investoren zufolge ein “außergewöhnlicher Ort” einziehen, für “Wohnen, Arbeiten und Einkaufen auf höchstem Niveau, (…) für internationale Klasse und den viel gerühmten Berliner Lebensstil.” Auch Kunst und Kultur soll in das Gebäude wieder einziehen. Das Haus wird zur neuen Heimat des weltberühmten Fotomuseums “Fotografiska”, das auch Ableger in Stockholm, Tallin und New York hat. 


“Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten”: die Wagenburg Køpi

Die Wagenburg Köpi zwei Tage nach der Räumung 2021. Foto: Imago/Bernd Friedel

1990 wurde das Haus am ehemaligen Mauerstreifen besetzt – und mit ihm ein 2.600 Quadratmeter großes Grundstück. Fortan sollten hier etwa 50 Menschen in Bauwagen wohnen. Nach der Räumung der Meuterei, des Syndikats und der Liebig34 galt die Wagenburg Køpi als eines der letzten großen Symbolprojekte der linken Szene in Berlin. 

Das Gründerzeit-Gebäude war in der DDR Volkseigentum. Kurz nach der Wende wurde es besetzt und 1991 durch die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte legalisiert. Nachdem der Besitzer insolvent gegangen war, wurde das Gebäude für das geringste Gebot von 834.000 Euro an die Commerzbank zwangsversteigert. Diese handelte mit den Bewohner:innen einen Mietvertrag von 30 Jahren Laufzeit aus. 2013 verkaufte die Bank jedoch Anteile des Hauses an verschiedene Immobilienfirmen. 

Der Eingang zur Wagenburg. Foto: Imago/Stefan Ziese/imagebrooker

Ein Name ist in der Causa Köpi besonders wichtig: Sigfried Nehls. Dessen Firmen treten seit 2007 als wechselnde Eigentümer des Köpi-Geländes auf. 2021 folgte die Räumungsklage des Geländes. Die Geschichte macht die Handlungsfähigkeit der Politik sichtbar: Bis zuletzt soll der Senat versucht haben, sich mit Nehls zu einigen und das Grundstück durch das landeseigene Wohnungsunternehmen Howoge zu übernehmen. Obwohl ein unterschriftsreifer Vertrag ausgehandelt wurde, brach der Eigentümer die Verhandlungen im letzten Moment ab – er spekulierte wohl auf einen höheren Verkaufspreis nach einer Räumung. 

Entsprechend viel Entrüstung und Widerstand brachte diese mit sich. Rund 8.000 Demonstrant:innen sollen an dem Protest um die Köpi teilgenommen haben. Bereits vorab kreisten Hubschrauber über dem Gelände, das Gebiet rund um den Platz wurde weitläufig zur roten Zone erklärt. Bis zu 2.000 Beamt:innen waren an dem Einsatz beteiligt, 700 davon aus anderen Bundesländern eingezogen.


Viel Rummel um die Rummelsbucht

Aktivist:innen protestieren gegen die Bauvorhaben der Investa GmbH in der Rummelsburger Bucht. Foto: Imago/Jannis Große

Sprechen Berliner:innen von der Rummelsbucht oder der Rummelsburger Bucht ist wahlweise die Spreebucht “Rummelsberger See” am S-Bahnhof Ostkreuz oder der darin gelegene Club Rummelsbucht gemeint. Ziemlich viel Rummel jedenfalls. Im Stil der Bar25 wurde hier, gegenüber vom Bootsverleih “Ahoi”, mit massig Holz ein gemütlicher Club gebaut. Auf zwei Indoor- und einem Outdoor-Floor ließ sich es hier zu House, Techno oder Psytrance tanzen. Der Garten wurde wahlweise auch mal zum Biergarten umfunktioniert, an guten Tagen wurde hier Pizza gebacken und die Tischtennisplatte rausgeholt. Direkt nebenan lebten zudem zahlreiche wohnungslose Menschen in Zelten. 

Blick auf die Rummelsburger Bucht. Foto: Imago/Jannis Große

Es wurden so einige Abschiedspartys in der Rummelsbucht gefeiert. 2019 flatterte die Kündigung ins Haus, bis 2020 weitete man den Vertrag aus. Als das Kollektiv dann tatsächlich von ihrer Location Abschied nehmen musste, konnte gar nicht gefeiert werden: Die Pandemie ließ es nicht zu. 

Die Bebauungspläne für den Wasserstreifen in Lichtenberg stehen schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Unter dem kreativen Namen “Coral World” will ein israelischer Investor hier ein Aquarium bauen. Nur zwei Abgeordnete sprachen sich in der entsprechenden Sondersitzung des Bezirks Lichtenberg gegen das 40-Millionen-Euro-Projekt aus. Statt bezahlbaren Wohnraum oder Kitas erhofft man sich einen Touristenmagneten.

Der Club Rummelsbucht, einst selbst ein Magnet für feierwütige Tourist:innen, hat die Hoffnung jedenfalls nicht aufgegeben: “Wir melden uns, wenn wir ein anderes tolles Fleckchen Erde für uns gefunden haben”, verspricht das Kollektiv auf der Website. 


Ein ganzer Kiez kämpft mit: der Späti Raumer6 im Prenzlberg

Verdrängte Berliner Orte: Raumer6
Der Späti in der Raumerstraße 6 musste trotz Engagement aus der Nachbarschaft schließen. Foto: Imago/Seeliger

Nicht umsonst ist die Berliner Spätikultur weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Spätis bieten kalte Limos am Nachmittag, billiges Bier zum Feierabend, Wodka-Mate zum Start in den Abend, Tiefkühlpizza für den Suff-Hunger in der Nacht und Zeitungen für den Morgen danach. An ihren Bierbänken kommt der Kiez zusammen. Kurzum: Spätis sind die besseren Bars. 

Umso frustrierender, dass immer mehr von ihnen den gestiegenen Gewerbemieten weichen müssen. Der Raumer6 – in der Raumerstraße 6 gelegen – war einer von ihnen. Dass er mehr als nur ein Späti war, würden wohl alle, die den Laden kannten, sofort unterzeichnen. Betreiber Özgür war so etwas wie ein Sozialarbeiter für die heranwachsende berühmte Prenzlberger Jugend, die sich hier mit den alteingesessenen Ossis die Hand reichte. Noch mehr besondere Spätis, die noch existieren, haben wir hier zusammengestellt.

Mit einem Straßenkonzert vor dem Wohnhaus in der Raumerstraße 6 protestieren Anwohner gegen Verdrängung und für die Erhalt der Kiezkultur. Foto: Imago/Seeliger

Schon lange wollte der Besitzer den Späti aus dem Haus haben. 2020 fand er dann einen Formfehler im Mietvertrag und hatte Erfolg mit seinen Plänen. Unter dem Motto “Kiezkultur erhalten” organisierten sich zahlreiche Anwohner:innen, um mit einer Petition gegen die Räumung vorzugehen. Doch ohne Erfolg. Im August 2020 schloss der Laden in der Raumerstraße. Kurzerhand wurde ein Straßenfest organisiert, das von nun an jährlich stattfinden soll. Mitten auf dem Helmholtzplatz, der gegenüber des ehemaligen Spätis liegt, trafen sich Familien mit Kindern, Jugendliche und ältere Menschen, nahmen gemeinsam an Workshops teil und lauschten Konzerten. Die Betreiber des Raumer6-Spätis sind weiterhin auf der Suche nach einem neuen Standort. 


Früher Hort der Rebellion, heute Investorentraum: Liebigstraße 14:

Verdrängte Berliner Orte: Liebigstraße 14
Die Liebigstraße 14 ist weniger bekannt als ihr Nachbarhaus „Liebig34“, fiel jedoch auch der Verdrängung zum Opfer. Foto: Imago/Tagesspiegel

Heute verbindet man mit der Liebigstraße vor allem das “anarcha-queerfeministische” Hausprojekt Liebig34. Doch in den Neunzigern wurden auch andere Teile der Straße besetzt. So auch die Liebigstraße 14. Die Hausgemeinschaft einigte sich zwar rasch mit ihrer Wohnungsbaugesellschaft auf einen Mietvertrag. Doch wie so oft zog auch hier ein Verkauf des Hauses Konsequenzen mit sich: 2007 wurde den Bewohner:innen fristlos gekündigt. Zahlreiche Demonstrationen und Gerichtsverfahren später folgte 2011 die Räumung. Die neuen Besitzer:innen wollten die Mietverträge nicht anerkennen.

Seit der Sanierung wird das Haus neu vermietet, die autonome Szene im Nordkiez rebelliert. So wurde der Kiez rund um die Rigaer medial immer wieder zur gefährlichen Zone erklärt, in der es zu “Terror gegenüber Mieter:innen” komme. 


Erinnerungen an ein vergessenes Mitte: Brunnen183

Verdrängte Berliner Orte: Brunnen183.
Am 24.11.2009 wurde das alternative Hausprojekt mit Umsonstladen geräumt. Foto: Imago/Pemax

Spätestens bei der Brunnenstraße angelangt, wird man der Geschichte müde: Hausbesetzung Anfang in den Neunzigern, Legalisierung Ende der Neunziger, Weiterverkauf Anfang der Zweitausender, langer Rechtsstreit und schließlich die Räumung Mitte der Nuller Jahre. Ein weiteres alternatives Hausprojekt ging von dannen. 

Nachdem der Besitzer die Bewohner:innen 2009 unter großem Polizeiaufgebot rausgeschmissen hatte, sanierte und verkaufte er das Haus wieder: für 1,3 Millionen Euro. Bis dato zierte die Fassade noch ein Protestgraffito: “Wir bleiben alle” stand da in großen Lettern geschrieben. Heute ist das nur noch ein Postkarten-Motiv. Längst ist der Schriftzug ausgewechselt: “Studio 183” liest man nun, in goldener Schrift auf schwarzem Hintergrund. Willkommen in Mitte.

Verdrängte Berliner Orte: die Linie206

Verdrängte Berliner Orte: die Linie206
Auf der rechten Bildseite sanierte Plattenbauten aus der DDR-Zeit, links das besetzte Haus in der Hausnummer 206. Foto: Imago/Hohlfeld

Nur ein paar Meter Luftlinie weiter, fand sich einst ein anderes linkes Hausprojekt. Geht man heute, begleitet von Touristenströmen, an den teuren Restaurants und Boutiquen entlang, ist es kaum vorstellbar, dass hier einst die linke Szene Häuser besetzte. Doch unweit des Rosenthaler Platzes ließ sich noch bis 2016 ein Relikt aus der Nachwendezeit bewundern: Linienstraße 206, an der Ecke zur Kleinen Rosenthaler Straße. Das Haus wurde zu einer Art Denkmal der Hausbesetzerszene. Touristengruppen kamen hierher, um der aufregenden Hausbesetzerzeit der Hauptstadt Ehre zu erweisen – und im Anschluss einen Matcha Latte für 5,80 zu trinken. Aber was soll die Häme! 2016 war ohnehin Schluss mit lustig: Das heruntergekommene Gemäuer passte einfach nicht mehr in die hippe Mitte. Aller Historie zum Trotz wurde die Linie geräumt.


Kunst- und Kultur-Centrum Kreuzberg: das KuKuCK

Das Kukuck, Kunst- und Kulturzentrum Kreuzberg im Jahr 1984. Foto: Imago/Peter Homann

Das Tacheles sonnt sich in ewigem Ruhm, das KuKuCK scheint hingegen nahezu vergessen. Das Haus in der Anhalter Straße 7 wurde 1981 besetzt. Und wurde zum Experimentierlabor: All die alternativen Lebensformen, für die Kreuzberg einmal berühmt war, wurden hier erprobt. Es gab Kulturveranstaltungen und jede Menge Diskussionen. Heute erinnert kaum noch etwas an die politische Geschichte der Straße. Das Projekt wurde schon 1984 geräumt und ist einem Hotelkomplex gewichen. 


Es sind zwölf Beispiele, die sich wohl noch endlos weitererzählen ließen. Kulturorte, Wohnprojekte, experimentelle Konzepte weichen Hotels, Stadtquartieren und Büroflächen. Erst wenn auch Berlin zur Geisterstadt geworden ist und die Immobilienfirmen beim Werben mit Berlins Charme nur noch auf die Geschichte der Stadt verweisen können, wird man möglicherweise anerkennen: Der kontinuierliche Ausverkauf an Spekulant:innen war vielleicht doch keine so gute Idee.


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