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Volksbegehren in Berlin: Worüber die Stadt schon entschieden hat

Berlin ist politisch, die Leute wollen mitreden, sich einbringen, etwas bewirken. Entsprechend viele Initiativen probierten, Volksbegehren, die Etappe vor einem Volksentscheid (Verwechslungsgefahr!), durchzubringen. Welche Volksbegehren in Berlin erfolgreich waren, erfahrt ihr hier.

Volksbegehren bedeuten vor allem Arbeit. Foto: Imago/IPON

Für die Offenhaltung des Flughafen Tempelhofs

Sah damals ganz anders aus: der Flughafen Tempelhof. Foto: Imago/UIG

Eigentlich zeichnete sich schon recht früh ab, dass der Flughafen schließen sollte. 1994 sah ein erster Flächennutzungsplan vor, das Gelände künftig als Gerbe-, Wohn-, Sport- und Sonderflächen umzufunktionieren. Zwei Jahre später stand der Plan, einen Großflughafen zu errichten und die Stationen in Tempelhof sowie Tegel zu schließen. Nur brauchte es seine Zeit, bis die bürokratische Mühlen in Gang kommen.

Es gab Rechtsstreitigkeiten zwischen Senat und Fluggesellschaften, aber auch zwei Lager in der Bevölkerung: Die Bürgerinitiative Flughafen Tempelhof, die sich für die Stilllegung einsetzte, und die Interessengemeinschaft City Airport, die Gegenteiliges forderte. Letztere initiierte 2006 ein Volksbegehren, das es sogar zum Volksentscheid brachte. Einen gescheiterten Volksentscheid, wie wir heute wissen. 60,1 Prozent stimmten zwar dafür, jedoch gab es nur eine Wahlbeteiligung von 36,1 Prozent, womit es in der Bevölkerung gerade mal eine unzureichende Zustimmung von 21,7 Prozent gab. Der Rest war wahrscheinlich mit Urlaubsplanung beschäftigt.


Für die Einführung eines Wahlpflichtfachs Religion an den Berliner Schulen

„Und jetzt alle: Jesus war cool, Jesus war toll, Pontius Pilatus war ein Troll.“ Foto: Imago/epd

In den meisten Bundesländern ist der Religionsunterricht ein ordentliches Schulfach, Berlin gehört nicht dazu. Schülerinnen und Schüler können selbst entscheiden, ob und an welchem Religionsunterricht sie teilnehmen wollen. Ethik wiederum ist seit 2007 ein ordentliches Schulfach. Ein Grund für tiefe Zornesfurchen auf den Stirnen einiger Hauptstädtler:innen. Sie rotteten sich zusammen, gründeten den Verein mit betont jugendlichem Namen „Pro Reli“ und sammelten Unterschriften. Immerhin geht es ihnen um eine bessere Wertevermittlung an Berliner Schulen. Warum ein Fach nicht reicht, das sich mit dem menschlichen Handeln befasst, es in gut und schlecht unterteilt (vereinfacht) und dabei hilft, sich selbst stets zu hinterfragen, ist unklar.

Jedenfalls war die Unterschriftenaktion ein Erfolg, ein Volksbegehren kam zustande. Es scheiterte. 51,3 Prozent stimmte gegen den Entscheid, das Quorum knackte es nicht. Was wohl David Hume dazu gesagt hätte?


Für die Offenlegung der Privatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe 2008/2009

Lange in privater Hand: die Berliner Wasserbetriebe. Foto: Imago/Christian Ditsch

1999 verkaufte die SPD-CDU-Koalition 49,9 Prozent der Anteile an den Wasserbetrieben an die Energiekonzerne Vivendi – heute Veolia – und RWE. Bis 2008 stiegen die Trinkwasserpreise pro Kubikmeter um rund 30 Cent, auf 2,07 Euro, zum Vergleich: 2022 lag er bei 1,69 Euro. Hohe Wasserpreise und wenig Transparenz sorgten dafür, dass die Bürgerinitiative „Berliner Wassertisch“ eine Unterschriftenaktion startete, um die Berliner Wasserbetriebe zu zwingen, Privatisierungsverträge offenzulegen.

Sie, die Initiatoren, hielten die Randbedingungen des Kaufvertrags für falsch, da RWE und Veolia die alleinige Geschäftsführerkompetenz hätten. Die Unterschriftenaktion war ein Erfolg, es folgte ein Volksbegehren und darauf ein -entscheid. 2012 kaufte das Land Berlin die Anteile von RWE und 2013 von Veolia zurück.


Rekommunalisierung der Berliner Stromnetze und Gründung eines Stadtwerks

Auch hier legten die Privatunternehmen Hand an. Foto: Imago/Steinach

Mitte der 1990er-Jahre ging das Berliner Stromnetz in private Hand. 2012 initiierte der Berliner Energietisch, ein Bündnis aus rund 50 Organisationen, eine Unterschriftenaktion. Sie war ein Erfolg, ebenso das anschließende Volksbegehren. Leider scheiterte der Volksentscheid am Quorum. Durch war das Thema aber nicht. Es kam trotzdem zu Verhandlungen zwischen Senat und Vattenfall. 2021 kaufte er die Anteile zurück, das Stromnetz war wieder in öffentlicher Hand.


Vollständiger Verzicht auf die Bebauung des Tempelhofer Feldes

Es wäre doch ein herber Verlust, würde das Tempelhofer Feld zugebaut. Foto: Imago/photothek

Das Tempelhofer Feld ist Begegnungsstätte – für Menschen, aber auch Insekten und Tiere. Kaum war der Flughafen dicht, nahm die Natur ihren Lauf, wenn auch kontrolliert. Eigentlich nett. Regelmäßig ploppt aber in den Köpfen Berliner Politiker:innen der Gedanke auf, das Feld zu bebauen. 2011 formierte sich die Initiative „100 % Tempelhofer Feld“, um damalige Nachnutzungspläne des Senats mittels Volksbegehrens zu kippen.

Keine Neubauten der Landesbibliothek, keine Wohn- und Gerwerbebauten, keine internationale Gartenausstellung, alles bleibt wie es ist. Alle Schritte verliefen erfolgreich, ein Gesetz zum Schutz des Tempelhofer Felds kam zustande. Das Wohnraumproblem hält die Angst um die Bebauung der Anlage jedoch weiterhin lebendig.


Weiterbetrieb des Flughafens Berlin-Tegel

Vom Flughafen Tegel fliegt nichts mehr. Foto: Imago/serienlicht

Während der Flughafen Berlin Brandenburg allmählich entstand, wenngleich auch schleppend, formulierten einige Berliner:innen Zweifel daran, den Flughafen Tegel zu schließen. Der Bauprozess des neuen Zentralflughafens war zu pannenlastig, es fehlte das Vertrauen. Der Verein Pro Tegel kämpfte zusammen mit der Berliner FDP um den Erhalt des Tegeler Flughafens. Die Volksinitiative konnte das Quorum knacken, der Senat war verpflichtet, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Nun, der Flughafen ist trotzdem dicht, der Senat betonte, dass die Forderung nicht umsetzbar sei. Concorce, Currybude Ess-Bahn, Schließung: Unsere Erinnerungen an den Flughafen Tegel findet ihr hier.


Mehr zum Thema

Wir haben uns übrigens auch angeschaut, welche Volksentscheide derzeit in Berlin ausstehen. besonders prominent: der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Was Berlin noch bewegt, lest ihr in unserer Stadtleben-Rubrik.

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