In Berlin wütet Corona: Die urige Kneipe an der Ecke, in der man einfach mal so ein Bier zischen kann, ist nicht erst seit der Corona-Krise bedroht. Doch gerade jetzt hat es die Berliner Institution besonders schwer. Einige Initiativen versuchen dem entgegenzuwirken. Auch Frank Zander ist dabei.
Schummriges Licht, ein Tresen, ein paar Hocker, ein grummeliger Wirt. Irgendwo klimpert ein Daddelautomat, das Bier kommt aus dem Hahn, mehr als drei Sorten gibt es nicht. Die meisten Gäste sind Stammkunden, man kennt sich. Die Kneipe ist das Ersatzwohnzimmer, eine zentrale Anlaufstelle im Kiez. Hier kann man Dampf ablassen, Neuigkeiten erfahren, sich über Gott, den Chef, die Bundesliga oder die BVG beschweren. Und ein paar Sorgen in Schnaps ertränken. Es ist die schöne alte Kneipenwelt.
Früher gab es in manchen Gegenden in Berlin an vielen Straßenkreuzungen gleich vier Kneipen. An jeder Ecke eine. Diese Zeiten sind vorbei. Längst haben auf der einen Seite schicke Bars und Clubs der Ur-Kneipe den Garaus gemacht. Auf der anderen Seite übernahmen Spätis oftmals eine ähnliche soziale Funktion und wurden zum lokalen Treff mit günstigem Bierausschank. Das Idyll vom bierseligen Miteinander wandelt sich im Berlin der Gegenwart.
In Berlin hat sich die Alkoholkultur verändert. Kneipe ist nicht alles.
Das liegt nicht nur an Verdrängung und steigenden Mieten oder dem Siegeszug der Spätis. Auch die Alkoholkultur hat sich verändert, das klassische Feierabendbier wich dem Feierabendjoint, einer sportlichen Betätigung oder dem gemütlichen Netflixabend. Wer geht denn noch am Monatsersten los und versäuft ein gutes Stück seines Gehalts? Natürlich wird noch getrunken. Vielleicht aber anders. In Craft-Beer-Lounges und mondänen Bars, wo der in London ausgebildete Mixer Wacholder-Zweige in den Bio-Rum bricht und die Eiswürfel aus japanischen Eismaschinen kommen. Oder aber Discounter-Sprit allein in der Wohnung.
Die Kiezkneipe ist also schon länger bedroht. Doch seit der Corona-Krise hat sich die Situation noch weiter verschärft. Wie in anderen Branchen auch, und in der Gastronomie ganz besonders, leiden die Kleinunternehmer. Die Zuschüsse, wenn sie überhaupt da sind, reichen oft nicht aus. Wer schon vorher Probleme hatte, hat jetzt noch mehr.
Findige Wirte behelfen sich durch Spendenkationen. Aufrufe auf Facebook und Twitter machen die Runde und Crowdfunding-Kampagnen ermuntern zur Rettung der geliebten Bierzapfstelle. So wurde Anfang April etwa Puschel’s Pub auf der Potsdamer Straße mit Spendengeld, das über die Plattform Gofundme gesammelt wurde, vor der Pleite gerettet. Über 6000 Euro kamen auf diesem Weg zusammen.
Mehr Berlin-Seele geht kaum
Auch Juso-Chef Kevin Kühnert hat vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie eine Initiative zur Rettung von Berliner Kneipen angeregt. Der SPD-Politiker fordert, dass der „symbolische Euro für das nicht in der Kneipe getrunkene Bier“ letztlich wieder den Kneipen zugute kommt.
Wenn eine Berliner Institution wie die Kiezkneipe bedroht ist, dann ist auch Frank Zander nicht weit. Der schnauzbärtige Entertainer mit Bundestverdienstkreuz am Revers singt die Hertha-Hymne, tischt an Weihnachten Gans und Knödel für Obdachlose auf und investiert auch mal in einen Currywurstimbiss. Mehr Berlin-Seele geht kaum.
Zusammen mit der Schultheiss-Brauerei ruft Zander aktuell zur Kiezkneipenrettung auf. Die Aktion läuft im Internet, Kneipiers dürfen sich bewerben und wer ausgewählt wird, bekommt 1000 Euro Soforthilfe. Das ist nicht viel, aber besser als nichts. Natürlich könnte man Schultheiss vorwerfen, den Kneipen-Notstand zu Marketingzwecken zu missbrauchen. Aber das Problem ist da und die Kneipen sind in Gefahr. Da ist jede Hilfe recht.
Deshalb sollte man die Augen offen halten und mal nachsehen, wie es der Kneipe an der Ecke so geht. Denn die hat keine große Lobby und kann sich meistens nicht ganz so gut im Netz vermarkten wie der Techno-Club oder das hippe Restaurant. Die Kneipen gehören aber zu Berlin. Rettet sie, auf welchem Weg auch immer!
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