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Kommentar

Ich seh gut aus, gib mir ein WG-Zimmer! Abgründe im Berliner Wohnungsmarkt

Auf dem Berliner Wohnungsmarkt tummeln sich nicht nur Miethaie. Immer mehr junge Leute kommen nach Berlin, die Wohnungen und WG-Zimmer sind knapp. Wer gut aussieht, annonciert mit dem eigenen Foto, um die Chancen auf Erfolg zu erhöhen. Wer ein WG-Zimmer zu vergeben hat, nutzt diese Postion, um zuweilen auch Sex in die Auswahlfaktoren miteinzupreisen. Das ist nicht die Regel, aber es kommt vor. Und diese Entwicklung ist alarmierend. Ein Kommentar von Jacek Slaski.

Berliner Wohnungsmarkt: Diese junge Frau würde mit diesem Bild vermutlich recht schnell ein Zimmer in Berlin finden. Doch für welchen Preis?
Das ist ein Symbolfoto und nicht Denise! Doch diese junge Frau würde mit dem Bild vermutlich recht schnell ein Zimmer in Berlin finden. Doch für welchen Preis? Foto: Imago/Panthermedia

Junge amerikanische Studentin sucht WG-Zimmer in Berlin. Sie ist blond und das, was man gemeinhin als sexy bezeichnet. Hübsches Lächeln, große Augen, glatte Haut. Die Annonce in einer Facebook-Gruppe, auf der Wohnungen und Zimmer auf Zeit vermittelt werden, hat Denise (Name von der Red. geändert) vor wenigen Stunden aufgegeben. Sie hat ihr Porträtfoto dazu gesetzt.

„Plötzlich hat jeder Typ ein Zimmer frei“

Die Antworten häufen sich sofort. Meist steht nur „PM send“ oder „I have a Second room, you can move in“, eine „Privatnachricht wurde geschickt“ und „ich habe ein zweites Zimmer, du kannst einziehen“. Die Absender sind nahezu ausschließlich Männer, schaut man auf deren Profile, sind sie längst aus dem Studentenalter raus. Dann beginnt die Diskussion unter dem Anzeigen-Post. „Plötzlich hat jeder Typ ein Zimmer frei“ plus Augenzwinkern-Smiley. Und tatsächlich, ein Schelm, wer etwas Böses denkt.

In der Diskussion geht um Sexismus, Frauenfeindlichkeit, Selbstbestimmung und darum, dass jeder frei ist zu tun, was er oder sie tun will. Am Ende verläuft die Sache in einem rhetorischen Stillstand. Der Mechanismus solcher Diskussionen ist immer gleich.

Das zieht Männer an, die es heiß finden, sich die Bude mit einer hübschen Amerikanerin zu teilen

Doch was passiert da genau? Denise braucht ein Zimmer und nutzt ihre Attraktivität. Sie wirbt mit ihrem Aussehen, in der Hoffnung, so schneller an das Zimmer zu kommen. Das zieht Männer an, die es offensichtlich heiß finden, sich für eine Weile die Bude mit einer hübschen Amerikanerin zu teilen. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sind sie auf mehr aus, als nur Putzpläne zu erstellen oder mal abends zusammen zu kochen.

Das ist eine Unterstellung, aber weit hergeholt ist sie wohl nicht. Dass junge Frauen, und, wenn auch in wesentlich geringerer Zahl, auch gut aussehende Männer meist WG-Zimmer mit ihrem Foto als Köder suchen, sieht man immer wieder. Auf Facebook, bei Ebay-Kleinanzeigen und in anderen Foren und Sozialen Medien. Gerade bei Facebook ist das Feedback in den Kommentarspalten auffällig: Auf Suchanzeigen von attraktiven Frauen reagieren vornehmlich männliche Vermieter.

Seit Instagram, Tik Tok und Snapchat die Pop- und Jugendkultur nachhaltig prägen, ist das Sich-Herzeigen zum Normalfall geworden. Bei Datingapps wie Tinder entscheidet das Bild über den Match und die zukünftige Beziehung oder zumindest den One Night Stand. Die visuelle Kultur hat sich verändert, die Selbstdarstellung ist zur ultimativen Verhaltensstrategie geworden.

Eine unangenehme Entwicklung

Dass sich diese Phänomene zum gewissen Teil auch auf dem Berliner Immobilienmarkt verbreiten, ist da nur eine Zwangsläufigkeit. Dennoch ist es eine unangenehme Entwicklung. Vielleicht sogar eine alarmierende. Während man in den sozialen und amourösen Bereichen die Sache einigermaßen selbst in der Hand hat und die Äußerlichkeiten bei romantischen Verabredungen nun mal eine Rolle spielen, ist ihre Bedeutung beim Abschluss von Miet- und Untermietverträgen zumindest fragwürdig.

Die Situation ist sexistisch und zwar von beiden Seiten. Die Frauen (und auch Männer) nutzen ihre Schönheit, um auf sich aufmerksam zu machen und an etwas zu kommen, was begehrt ist. Teilweise geschieht es, ohne dass die Zimmersuchenden die abgründigen Konsequenzen überblicken. Denn wer dieses Gut hat, sprich ein freies Zimmer, kann dieses Bedürfnis ausnutzen und aus der Situation heraus Erwartungen aufbauen, die von den Suchenden nicht unbedingt erfüllt werden wollen.

Naturgemäß will nicht jede junge Frau – oder jeder junger Mann – die mit einem Foto eine Wohnung sucht, auch mit dem Vermieter*in ins Bett steigen. Dennoch wird eine Spannung aufgebaut, die im Prinzip auf dem Wohnungsmarkt nichts zu suchen hat. Oder haben sollte.

Spannungen, Erwartungen und Begehrlichkeiten sind Teil des Marktes

Und doch sind solche Spannungen, Erwartungen und Begehrlichkeiten offenbar Teil des Marktes. Immer wieder liest man von Wohnungsanzeigen, die explizit Sex gegen WG-Zimmer einfordern. Man hört Gerüchte über Arrangements, wo statt der Mietzahlung regelmäßige Sex-Treffen vorgeschlagen werden. Das kann man natürlich machen, Deutschland ist ein freies Land und wenn es beide wollen, dann hat sich da niemand einzumischen.

Doch ist die Sache so simpel? Es sind ja oft Frauen oder Männer, die aus anderen Ländern kommen, die jung sind, wenig Geld haben, denen es an Erfahrung fehlt, die vielleicht verzweifelt sind. Sie sind auf der Suche nach einer Wohnung, der Basis des Lebens und nicht selten sind sie in einer Notlage. Diese Notlage auszunutzen, ist mehr als verwerflich. Zimmersuche ist nicht Tinder und kein Mensch hat Lust, sich mit schmierigen Gestalten abzugeben, die das verwechseln.


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