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Kommentar

„Wie Geschichte gemacht wird“, Kommentar von Philipp Wurm

Berlin ist ein großes Freilichtmuseum, dessen Exponate von historischen Epochen erzählen. Das Kaiserreich ist besonders angesagt: Das Stadtschloss wird wiederaufgebaut, die Museumsinsel neuerdings von der James-Simon-Galerie umschmeichelt.

Berliner Olympiastadion. Foto: Wikimedia Commons/ Rebecca Leisten www.rebecca-leisten.de – CC BY-SA 4.0

Eine Renaissance, die ein anderes Portfolio ausspart: die Sportanlagen der Stadt. Da wäre das Olympiastadion, ein Beton-Monument aus den 30ern, Kulisse für Leni-Riefenstahl-Fantasien, heute Spielstätte von Hertha BSC. So ungemütlich, dass der Hauptstadtklub das Weite sucht – womöglich in eine neue Arena am Stadtrand in Tegel. Zurzeit prüft der Senat einige Standorte. Oder das Sportforum Hohenschönhausen, noch so ein repräsentatives Grundstück, das der Propaganda diente, in den Jahrzehnten der DDR. Heute ein Olympiastützpunkt, so lückenhaft, dass die Leistungssportler dort erfinderisch werden müssen. Bogenschützen müssen zum Beispiel in einem leeren Schwimmbecken ihre Ziele anvisieren. Oder der Jahnsportpark in Prenzlauer Berg: ein marodes Ding, das einem neuen Fußballtempel weichen soll, vollendet in ein paar Jahren. Allerdings nicht rechtzeitig zu den Paralympics 2023, die dort eigentlich stattfinden sollten.

Fluchtreflexe, Verfall und Schlendrian zeigen: Die historischen Anlagen sind den Berlinern nicht ganz geheuer. Tatsächlich entseelt das Olympiastadion Sportler und Fans; man fühlt sich in der einschüchternden Schüssel ziemlich verloren. Die sozialistischen Bauten erscheinen vielen suspekt, weil sie ihnen als anachronistische Symbole der DDR-Ära erscheinen.  

Man will allerdings nicht wissen, was wäre, wenn es ein Zentrum für Leibesertüchtigung aus der Zeit der preußischen Pickelhauben gäbe, wo Sportsoldaten ihre Körper stählten. Es wäre wohl herausgeputzt worden. Jedenfalls in den Jahren vor dem heutigen rot-rot-grünen Senat. Das Erbe des Kaiserreichs steht nämlich nicht nur unter Denkmalschutz; es wird  poliert und inthronisiert. Eine Politik, die erstaunt.

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