Berliner Koalitionspoker

Wer regiert Berlin, Giffey oder Wegner?

Wer regiert Berlin? Frau Giffey will es wissen. Seit der Wiederholungswahl vom 12. September sondieren die Parteien. Die bisherige Koalition aus SPD, Grüne und Linke hätte, trotz starker Verluste, eine Mehrheit. Aber auch eine Koalition unter Führung des deutlichen Wahlsiegers CDU mit SPD oder Grünen ist möglich. Kann sich der Kai von der CDU gehackt legen?

Wer regiert Berlin? In der Hauptstadt wartet man nicht nur auf die U-Bahn, sondern auch auf den nächsten Senat. Bettina Jarsch (Grüne) und Franziska Giffey (SPD) hätten beiden Interesse. Foto: Imago/Stefan Zeitz

Wer regiert Berlin: Kann sich der Kai von der CDU gehackt legen?

Dieser Text steht unter Vorbehalt. Seit der Wiederholungswahl am 12. Februar fragt sich die Stadt: Wer regiert Berlin? Doch wieder Rot-Grün-Rot? Oder Schwarz-Grün? Schwarz-Rot) Immer noch kann noch alles Mögliche passieren. Alles Unmögliche erst Recht.

Irgendwo könnten dann doch noch weitere  nicht gezählte Briefwahlzettel auftauchen.

Kai Wegner könnte nach der letzten Sondierungsrunde von CDU und Grünen mit Bettina Jarasch durchbrennen. Franziska Giffey könnte ein paar bisher fehlende Fußnoten ihrer Doktorarbeit wiederfinden und sich nun doch wieder für Bundesministerinnen-tauglich erklären – Olaf Scholz gefällt das.

Am 27. Februar hat Landeswahlleiter Stephan Bröchler das amtliche Endergebnis verkündet. Es war wie in den vergangenen zehn Jahren in der Fußball-Bundesliga: Interessant blieb nur, wer – hinter dem deutlichen Wahlsieger CDU – auf Platz zwei landet.

Dem Landeswahlausschuss zufolge landete die SPD auf Platz zwei. Mit gerade mal 53 Zweitstimmen Vorsprung vor den Grünen, beide kamen auf 18,4 Prozent. Direkt nach der Wahl war noch von 104 Stimmen die Rede gewesen. Mit diesen 104 Stimmen begründete Franziska Giffey ihre Idee, gegebenenfalls ihren Arbeitsplatz im Roten Rathaus auch einfach behalten zu können. Und das bislang regierende Bündnis aus SPD, Grünen und Linke fortzusetzen.

Weil Mehrheit eben Mehrheit ist.

Um es im Wolfgang-Kubicki-Duktus zu fassen: Da kann sich der Kai gehackt legen.

Auch wenn Franziska Giffey trotz des historisch schlechten Wahlergebnis der Berliner SPD nicht an ihrem Amt klebe, wie sie mehrfach betonte. Wenn dieser Tage in Berlin irgendjemand irgendwo klebt, sind das natürlich ausschließlich Klimaaktivist:innen.

Jetzt haben sich alle regierungstauglichen Parteienkonstellationen ein paar Runden durchsondiert. Rot-Grün-Rot, Schwarz-Rot, Schwarz-Grün. Welche Parteien treten nun in Koalitionsverhandlungen ein?

Frau Giffey will es wissen.

Wer regiert Berlin: Da habt ihr eure Gags. Alle

Zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen gehören Fußball, Gartenarbeit, je nach Gusto Autofahren oder Autohassen und Witze über die Berliner Dysfunktionalität. Seit dem Debakel um die Wahlpannen vom 26. September 2021 kalauert immerhin kaum noch jemand über den BER.

Das Wahlergebnis vom 12. Februar 2023 hat das Zeug dazu, Gagschreiber:innen, Karikaturist:innen, Twitter-Höhner und Markus Söder für den Rest der Legislaturperiode bei bester Laune zu halten.

Willst du mit mir gehen? Wahlsieger Kai Wegner (CDU) findet Bettina Jarasch (Grüne) eigentlich richtig knorke nach der Wahl. Vorher: Geht so. Foto: Imago/Mike Schmidt

Hörte man vor der Wahl im Bekanntenkreis ziemlich häufig die Klage darüber, dass vielen diese Wahl noch nie so schwer gefallen sei wie diesmal, man sich schlechterdings keine:n der drei aussichtsreichen Spitzenkandidat:innen – Noch-Amtsinhaberin Franziska Giffey, SPD, ihre bisherige Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, Grüne, und den Herausforderer aus Spandau, Kai Wegner von der CDU – für die verbliebenen dreieinhalb Jahre der Legislaturperiode in der höchsten Regierungsverantwortung vorstellen mochte, ist diese spezielle Berliner Alternativlosigkeit nach der Wahl nicht besser geworden. Immerhin konnte man sich über manch bizarre Wahlplakate freuen. Aber egal, welche der rein rechnerisch möglichen Koalitionen letztlich gebildet wird, ob nun Schwarz-Rot, Schwarz-Grün oder eben doch wieder die bisherige Rot-Grün-Rot-Kombination.

Dass Kai Wegner nach seinem Wahlsieg  schnell über einen „klaren Regierungsauftrag“ frohlockte, sei ihm gegönnt. In der Berliner CDU dürften sich ja nur noch die Älteren daran erinnern, wie es sich anfühlte, am Wahlabend den höchsten Balken bei der eigenen Partei zu erblicken. Da können einem schon mal die Fachtermini verrutschen.

Denn natürlich werden sogar in Berlin jegliche Regierungsaufträge erst bei einem Anteil von mehr als 50 Prozent an den Parlamentssitzen „erteilt“, von denen die CDU dann doch ein gutes Stück entfernt ist. Also braucht der Spandauer entweder die SPD oder die Grünen als Koalitionspartner. Es erfordert jedoch einige Phantasie, sich vorzustellen, dass eine der beiden bisherigen Senatsparteien eine große Begeisterung verspüren, Herrn Wegner das Rote Rathaus aufzuschließen.

Ein Regierender Bürgermeister von der CDU ist auch mehr als 20 Jahre nach Eberhard Diepgen ziemlich vielen Berliner:innen schwer vermittelbar.

Schwarz-grüne Sondierungen: Kröten schlucken?

Kai Wegners Wahlkampf war weniger darauf ausrichtet, die Kompetenzen seiner eigenen Partei herauszustellen, als auf den Verdruss über den amtierenden Senat zu setzen: „Berlin, wähl dich neu“, stand auf einem CDU-Plakat. Während die FDP mit quasi derselben Wahlkampfmessage baden ging und aus dem Abgeordnetenhaus flog, sammelte die CDU außerhalb des S-Bahn-Rings damit reichlich Extra-Stimmen. Kfz-Kai, der Patron der Autofahrer:innen.

Auch trug die Instrumentalisierung der Silvesterkrawalle durch Wegners CDU einiges zum Stimmungsaufschwung der Christdemokraten bei, als die CDU die Vornamen der Tatverdächtigen abfragen lassen wollte. Ein Versuch, statt der Gewalt- eine Migrationsdebatte zu köcheln. Immerhin hatte hatte die in Berlin bedeutungsarme AfD nichts davon. Die blieb unter zehn Prozent.

So könnte es gut sein, dass die Gründe für das unerwartet gute Abschneiden der CDU, bei dem sich auch Wahlforscher:innen die Augen gerieben haben dürfte, nun verhindern, dass die CDU mit ihrem Wahlsieg sonderlich viel anfangen kann. Denn um tatsächlich zu regieren, braucht sie dafür ausgerechnet eine der beiden Parteien, die sie als Teil der bisherigen Regierungskoalition mit Schmackes in die Pfanne gehauen hat.

Kein „Weiter so“, aber ein „Weiter so ähnlich“?: Klaus Lederer (Linke), Franziska Giffey (SPD) und Bettina Jarasch (Grüne). Foto: Imago/Jens Schicke

All das haben sie bei den traditionell vergleichsweise linken Landesverbänden von SPD wie Grünen ganz genau auf dem Schirm. Selbst wenn Kai Wegner hoch und heilig verspräche, fortan mit dem Lastenfahrrad aus Spandau zum Roten Rathaus anzureisen. Vor der Wahl hatte er zudem eine Regierung mit den Grünen sehr kategorisch ausgeschlossen. Anfängerfehler.

Dabei wäre Schwarz-Grün sicherlich die Regierung mit der interessanteren Story: die Grünen, die in der Innenstadt die Mehrheiten holten – aber wie immer seit Klaus Wowereits Zeiten ihren avisierten Wahlsieg am Ende doch vergeigten – und die CDU außerhalb des S-Bahn-Rings. Aber sollten die schwarz-grünen-Sondierungen nicht vorab versanden, werden die Koalitionsverhandlungen heiter. Vom A100-Ausbau bis zur Wohnkonzern-Vergesellschaftung. Dann wird die Frage sein, ob die Grünen lieber Kröten schlucken, als sie, sorry fürs Klischee, über die Straße zu tragen.

Eigentlich ist die SPD doch abgewählt. Wer sagt‘s Frau Giffey?

Allerdings ist es mindestens ebenso verwegen, das Wahlergebnis als klare Bestätigung von Rot-Grün-Rot zu deuten, nur weil diese bisherige Koalition rechnerisch weiter möglich bleibt. So gesehen wäre nämlich Schwarz-Grün und Schwarz-Rot genauso legitimiert. Oder eben nicht.

Die SPD stürzte schließlich auf 18,4 Prozent ab, ihr schlechtestes Berliner Wahlergebnis. Und den Grünen ging, trotz respektablen ebenfalls 18,4 Prozent, zum Ende des Wahlkampf mal wieder die Puste aus.

Trotz des hauchdünnen 52-Stimmen-Vorsprung der Sozialdemokraten vor den Grünen bekäme Berlin womöglich eine Regierende Bürgermeisterin, deren Partei in keinem Bezirk als Sieger ins Ziel gekommen wäre und die selbst ihre Direktwahl krachend gegen irgendeinen CDU-No-Name verlor. Das hatte bei der vorherigen Wahl noch ganz anders ausgesehen. Besser für die SPD. Viel besser.

Bei den Sondierungen sollen SPD, Grüne und Linke jetzt eine Übereinkunft erzielt haben, wie mit dem vielleicht größten Streitthema, der Vergesellschaftung großer privater Wohnungskonzerne umzugehen sei, für die sich im (nicht wiederholten) Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen fast 60 Prozent der Abstimmenden ausgesprochen hatten. Giffey ist dagegen, die SPD gespalten, Grüne und Linke dafür. Eine Expert:innenkommission soll im April ihren Abschlussbericht vorlegen.

Kein Raum für „weiter so“

Ein „Weiter so“, hieß es aus der Berliner SPD, könne es nach dieser Wahl im Senat nicht geben. Ist dann ein „Weiter so ähnlich“ okay? Nach normalen demokratischen Maßstäben muss die Berliner SPD eigentlich als abgewählt gelten. Wer sagt’s Frau Giffey?

Der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erwies sich direkt nach der Wahl einmal mehr als rhetorischer Tausendsassa, als er am Tag nach der Wahl auf Radioeins darauf hinwies, dass ein Drittel der SPD-Wähler:innen ihr Kreuz nur wegen der eher konservativen Giffey bei den Sozialdemokraten gemacht hätten – und dass jeder zweite CDU-Wähler Kai Wegners Truppe nur aus Protest gewählt hätte.

Eine weitere Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sozusagen damit zu rechtfertigen, dass die CDU ja eigentlich gar nicht wegen der CDU gewählt worden sei, sondern aus Protest gegen Franziska Giffeys Senat: Das ist wahrlich Berliner Polit-Dialektik für Fortgeschrittene.

Aber wie gesagt: Dieser Text steht unter Vorbehalt. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht die Wiederholungswahl unter Vorbehalt gestellt. Es gab Beschwerden dagegen. Wer weiß schon, ob es sie nicht nachträglich für ungültig erklärt.

Alles ist möglich. Dit is Berlin.


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