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Zeitreise

Berlins Goldene 1920er: Hier erlebt ihr sie wie früher

Das schillernde Nachtleben der 1920er-Jahre lockte mit Tanz, Vergnügen und Unterhaltung – vor allem mit Glamour. „Babylon Berlin“ macht es uns vor. Wir haben für euch die Orte aufgestöbert, wo Berlins 1920er-Jahre heute noch im Original durchschimmern – meistens zumindest. Nicht nur Schätze des gern zitierten Nachtlebens sind dabei, sondern auch die des Alltag, den gab’s nämlich auch. Im 1920er-Jahre-Taumel durch den Tag: Vom Art-Déco-Theater über modernes Wohnen zur Sally Bowles Bar. Unsere Tipps für eine Zeitreise in Berlin der 1920er-Jahre


Theater: Renaissance-Theater und Schaubühne

Wie in den 1920er-Jahren: Im Renaissance-Theater in Berlin haben mehr als 500 Besucher Platz. Foto: Max Müller

Das Renaissance-Theater in Charlottenburg ist das einzige erhaltene Art-Déco-Theater in Europa. Mit vornehmer Stofftapete und gemusterter Wandvertäfelung ist es gemütlich-elegant und repräsentiert den noblen Westen bestens. Das Gebäude selbst stammt von 1902. 1919 wurde ein Kino eingerichtet, bevor es am 18. Oktober 1922 zum Theater umfunktioniert wurde. Das lief gut und 1927 baute Theaterarchitekt Oskar Kaufmann es weiter aus. Seit dem hat es den Glanz, an dem wir uns heute noch erfreuen.

Ein regelmäßiger Blick in den Spielplan lohnt, da das Haus den 1920er Jahren treu geblieben ist. Lesungen und Einzelvorstellung haben bereits Erich Kästner, Irmgard Keun und Lotte Lenya aufleben lassen. Die Macher von „Babylon Berlin“ haben dieses Art-Déco-Juwel übrigens auch für sich entdeckt. In der dritten Staffel war es zu sehen – ironischerweise als Kino. Andere Drehorte von Babylon Berlin sind hier zu entdecken.

Der Erich Mendelsohn-Bau am Lehniner Platz, wo die Schaubühne ihren Sitz hat, war ursprünglich auch ein Kino. 1928 wurde es eröffnet und stand ganz im Zeichen der Moderne, das heißt der Neuen Sachlichkeit, die in den 1920er-Jahren wegweisend war. So lässt sich auch das Programm der Schaubühne betrachten, nicht retro, sondern immer nach vorne blickend. Nur gelegentlich wird die Moderne von damals aufgegriffen, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Zum Beispiel wurde hier Kästners „Fabian“ auf die Bühne gebracht. Es ist nicht bekannt, ob Kästner seinerzeit dort im Kino saß, aber durchaus im Café Leon gegenüber. Das war ebenfalls Teil des Gebäudekomplexes sowie das Kabarett der Komiker, für das er geschrieben hat. Auf diesen Bühnen lebt Berlins Kabarett-Tradition weiter und hier hebt sich außerdem der rote Vorhang zwischen Schaubühne und Renaissance-Theater.

Das Delphi Theater in Weißensee dient als Kulisse für das Moka Efti in Babylon Berlin © Frédéric Batier/X Filme

1929 gebaut, ist das Delphi Stummfilmkino auch ein Kind des Art Decos. Lange sich selbst überlassen, wurde es 2017 saniert und betört nun als Moka Efti „Babylon-Berlin”-Fans. Wenn dort gerade nicht gedreht, gibt es ein gemischtes Programm, denn heute wird es als Theater im Delphi betrieben.   

  • Renaissance-Theater Knesebeckstraße 100/Hardenbergstraße, Charlottenburg, mehr hier
  • Schaubühne Kurfürstendamm 153/am Lehniner Platz, Wilmersdorf, mehr hier
  • Theater im Delphi Gustav-Adolf-Str. 2, Weißensee, mehr hier

Kino: Babylon und Kiezkinos

Das Babylon Mitte führt immer wieder mit Veranstaltungen in die 1920er zurück. Foto: Imago/Pop-Eye

Heute ist Kino noch im original 1920er-Jahre-Ambiente im Babylon in Mitte zu erleben. Das Kino selbst hat eine Leidenschaft für die Zeit. Wo sonst sind Stummfilmliebhaber so willkommen, dass ihnen freien Eintritt und Livemusik auf der Kinoorgel geboten wird? Um Mitternacht, am Wochenende kommen sie in Scharen. Berliner Nachtleben pur. Wie das Kinovergnügen bei seiner Eröffnung 1929 tatsächlich aussah.

Besonders spannend ist es, wenn das Berlin jener Jahre über die Leinwand flackert. Zu sehen ist es in Billy Wilders „Menschen am Sonntag“, Brechts „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“ und Kästners „Emil und Detektive“. Auch „Mädchen in Uniform“ ist zu empfehlen, da es einer der frühen Filme ist, der lesbische Sensibilitäten sichtbar macht.

Wer damals als Stenotypistin oder Angestellter vielleicht nur noch ein paar Groschen übrig hatte und sich die Filmpaläste in der City nicht leisten konnte, der hätte sein Glück in einem der kleinen Kiezkinos gefunden. Eine versteckte Perle ist das Cosima in Schöneberg, dessen schlichtes Design auf die 1930er Jahre schließen lässt. Selbst wenn der Projektor dort gerade ruht, besteht Hoffnung, denn Schöneberg liebt seine kleinen Kinos ganz besonders.

Viele Kiezkinos existierten schon vor den 1920er Jahren. Manche haben ihre Türe immer noch geöffnet. Darunter die Eva Lichtspiele in Wilmersdorf, das Klick Kino in Charlottenburg und das Moviemento in Kreuzberg, Berlins ältestes Kino von anno 1907.

  • Babylon Mitte Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte, mehr hier
  • Eva-Lichtspiele Blissestraße 18, Wilmersdorf, mehr hier
  • Kino Klick Windscheidstr. 19, Charlottenburg, mehr hier
  • Moviemento Kottbusser Damm 22, Kreuzberg, mehr hier

Vergnügungstempel: Wintergarten und Admiralspalast

Musik, Show und Varieté – der Spielpan ist vielfältig. Manchmal feiert auch die Bohème Sauvage ihre rauschenden 1920er-Jahre-Partys dort. Foto: Wintergarten Varieté

Wenn dann doch mal die Beförderung, der Filmvertrag oder die Buchveröffentlichung gebührlich gefeiert werden sollte, im Admiralspalasts und im Wintergarten Varieté ließ es sich prima mit Champagner anstoßen. Die vielen Lichter und der rote Samt des Wintergartens sind trotz vieler Umzüge noch ein Traum. Selbst dort, wo sich die Dame zurückzieht, um ihre Nase zu pudern, glänzt eine Einrichtung, die jeder Frau das Gefühl gibt, ein Star zu sein.

Die Geschichte des Wintergartens reicht bis in die Zeit vor den 1920er-Jahren, aber diese Epoche gehört zu dessen Blütezeit. Darauf besinnt man sich, wenn allabendlich auf der Bühne die Akrobaten wirbeln. Derzeit sind sogar zwei Shows im Repertoire, die sich dem Varieté der 1920er-Jahre widmen.

Der Admiralspalast in der Friedrichstraße war ebenfalls bereits ein fest etablierter Amüsierbetrieb, als die 1920er-Jahre in Schwung kamen. Seit 1911 war Berlin um diese Attraktion reicher gewesen: Tag und Nacht geöffnete russisch-römische Luxus-Thermen, Kegelbahnen, Kino, Billardzimmer, Eisbahn und Säle für Tanzturniere. 1922 wurde noch mal umgebaut. Theaterarchitekt Oskar Kaufmann fügte den beliebten Art-Déco-Stil zu. Von all dem ist nichts mehr übrig.

Was sich allerdings über die Jahre erhalten hat, ist das Theater. 1923 baute der neue Hausherr Herrmann Haller es zu einem Revuetheater um und ließ die Girls seiner Haller-Revue tanzend ihre schöne Beine zeigen. Heute hat das Revuegenre ein paar Hausnummern weiter im Friedrichstadt-Palast eine Heimat. Klänge vergangener Zeiten schallen durch den Admiralspalast nun vorwiegend, wenn Max Raabe mit seinem Palastorchester dort Gastspiele gibt.

  • Wintergarten Varieté Potsdamer Str. 96, Tiergarten, mehr hier
  • Admiralspalast Friedrichstr. 101, Mitte, mehr hier

Musik & Kleinkunst: BKA und Bar jeder Vernunft

Im Spiegelzelt der Bar jeder Vernunft wird der Alltag an der Garderobe abgegeben. Foto: XAMAX/Gestaltung: upstruct.com

Musik der Zeit wie sie auf Cabaret-, Kabarett- und Kleinkunstbühnen zu finden war, hat ebenso ihre Nische. Im BKA erweckt beispielsweise Sigrid Grajek die Chansonsängerin Claire Waldoff zum Leben. Claires Markenzeichen auf der Bühne war – noch vor Marlene Dietrich – der Frack. Wenn Grajek „Raus mit dem Männern aus dem Reichstag“ ins Publikum schmettert, weiß man, dass der Titel nicht nur 1926 viel Zustimmung fand. Grajeks Begeisterung für die Chanteusen dieser Zeit zeigt sie in weiteren Hommagen. Termine dafür lassen sich am besten auf ihrer Webseite erspähen.

Im Spiegelzelt der Bar Jeder Vernunft ist es auch ganz famos. In dem glitzernden Relikt der Jahrhundertwende liegen längst vergangene Zeiten in der Luft. Besonders wenn sich Tim Fischer dort den „schönen alten Liedern“ hingibt. So nennt er die Chansons von Friedrich Hollaender, die er am Anfang seiner Karriere aufgenommen hat. Hollaender schrieb sie in den 1920er Jahren für seine Kabarettrevuen, doch lassen sie heute genauso aufhorchen.

Noch tiefer in den Fundus der Kabarettchansons greift Ben Zimmermann. In seiner Revue „Höchste Eisenbahn“ bettet er die Lieder mit kleinen Erzählungen in die damalige Zeit, sodass ein vielschichtiges Portrait der Weimarer Republik entsteht. Mit viel Vitalität, Feingefühl und Humor schenkt Ben Zimmermann ihnen frischen Glanz. Nicht auf Schellack, aber auf CD hat er sie gebannt. Wann und wo seine „Höchste Eisenbahn“ hält, wird hier angekündigt.

  • BKA-Theater Mehringdamm 34, Kreuzberg, mehr hier
  • Bar jeder Vernunft Schaperstraße 24, Wilmersdorf, mehr hier

Tanz: Shimmy, Charleston und Balboa in Berlins Ballhäusern

Joan Crawford tanzt Charleston in dem Film „Our Dancing Daughers“ (1928). Foto: Imago/United Archives International

„Berlin, dein Tänzer ist der Tod“ lautete einer von Hollaenders Titeln – womöglich geträllert von Amüsierwilligen auf dem Weg zur nächsten Tanzdiele. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war voll Elend, aber das Tanzverbot war aufgehoben und das Tanzfieber brach aus. Amerikanische Rhythmen und Shimmy, Charleston und Balboa beherrschten bald die Tanzflächen. Einige von ihnen füllen sich noch immer, wenn die ersten Takte angeschlagen werden, wie in Clärchens Ballhaus und im Ballhaus Berlin. Was aus anderen den Ballhäusern der Stadt geworden ist.

In den Ballhäusern stehen übrigens nicht immer Swing und Charleston auf dem Programm. Anders sieht es bei Swing Patrol, Swing Step und Dancing Suite aus. Da werden Charleston und Lindy Hop nicht nur unterrichtet, sondern auch Tanzabende gegeben, die einen ins pulsierende Leben der Jazz-Ära zurück katapultieren. In Kreuzberg, bei Walzerlinksgestrickt, gibt’s zum Swingkurs den passenden Ballsaal gleich dazu. Rauschende 1920er-Jahre-Partys hat die Bohème Sauvage im Kalender. Solange ‚Tanzlustbarkeiten’ nicht gerade mal wieder von Corona-Regeln unmöglich gemacht werden.

  • Clärchens Ballhaus Auguststr. 24, Mitte, mehr hier
  • Ballhaus Berlin Chausseestraße 102, Mitte, mehr hier
  • Ballhaus Wedding Wriezener Str. 6, Wedding mehr hier
  • Bohème Sauvage verschiedene Locations, mehr hier
  • Swing Patrol Berlin verschiedene Locations, mehr hier
  • Swing Step Prinzenallee 33, Wedding, mehr hier
  • Walzerlinksgestrickt Am Tempelhofer Berg 7D, Kreuzberg, mehr hier

Mode: Berliner Modeinstitut und Retronia

Retronia produziert und verkauft neue Kleidung im Stil vergangener Epochen. Foto: Retronia

Wenn der Kleiderschrank für solch schicke Partys nichts hergibt: Beim Berliner Modeinstitut und im Le Boudoir in Friedrichshain reihen sich Träume aus Perlen und Pailletten auf. Der Garderobe für den Gentleman wird dort zwar gedacht, aber Anhänger der Bohème Sauvage machen sich auch gern zu Retronia in der Damaschkestraße auf. Da wird der stilgerechten Herrenbekleidung mehr Raum gegeben – von feierlich bis sportlich. Hier handelt es sich stets um neue Ware, die den Stil vergangener Jahrzehnte aufgreift. Gründe: Vintagekleider sind aufgrund ihres Alters anfälliger, zudem haben sich die Kleidergrößen verändert. In jedem der Lädchen lässt sich leihen, kaufen und schneidern. Inspiration für Kleider im Flapper-Look gibt es übrigens im Kunstgewerbe Museum. Dort sind Originale ausgestellt.

  • Berliner Modeinstitut Gabriel-Max-Str. 13, Friedrichshain, mehr hier
  • Le Boudoir Wühlischstr. 19, Friedrichshain, mehr hier
  • Retronia Damaschkestraße 38, Charlottenburg, mehr hier
  • Kunstgewerbe Museum Matthäikirchplatz, Tiegarten, mehr hier

Musik: Swingwalks und Grammophons

Stephan Wuthe, Experte für Swingmusik, hat auf seinen Swingwalks immer die passende Musik dabei. Foto: David Gauffin

Über Swingmusik in Berlin – wo sie aufgenommen, gespielt oder auch gekauft wurde – weiß Stephan Wuthe bestens Bescheid. Mit Grammophon und Schellackplatten ist der „Schallplattenunterhalter“ seit mehr als 25 Jahren unterwegs und hat außergewöhnliche Geschichten aus der Zeit der Jazzmanie aufgelesen. Die teilt er gerne auf seinen Swingwalks entlang der nördlichen Friedrichstraße oder durch Schöneberg.   

Dort gibt es 1920er-Jahre-Flair auch für zu Hause. Im Grammophon-Salon-Schumacher sind die Vorgänger des Plattenspielers zu kaufen und zu leihen. Die dazugehörigen Schellackplatten haben wunderbar die Hits bewahrt, zu denen damals getanzt, gesungen, gelacht oder geweint wurde. Grammophone haben den Vorteil, dass sie keinen Strom (ver-)brauchen, aber ein guter Vorrat an Nadeln ist geboten. Denn eine reicht für ein, höchstens zwei Lieder. Für mehr Aufnahmen war auf einer Platte auch kein Platz. Wie man fachmännisch die Nadeln wechselt, lernt man gleich mit. Auf den Trödelmärkten der Stadt schlummern auch noch ungeahnte Schätze.

  • Grammophon-Salon-Schumacher Eisenacher Str. 11, Schöneberg, mehr hier
  • Swing Walks verschiedene Touren, mehr hier

Wohnen: Museumswohnung Haselhorst und das Mies van der Rohe Haus in Weißensee

Küche in der Museumswohnung Haselhorst mit Originaleinrichtung aus den 1930er-Jahren. Foto: Sabine Dobre

Damals, wenn der neuste Tanz erstmal ausprobiert werden wollte, musste daheim der Tisch sicher erst zur Seite geschoben werden. Dennoch waren für viele die eigenen vier Wände der ganze Stolz. Sie gehörten zu den zahlreichen Bauten, die in den 1920/30er Jahren mit neuen Konzepten errichtet wurden. Bezahlbarer und sozialer Wohnraum sollte mit ihnen geschaffen werden. Dieser war besonders bei Angestellten beliebt. Gast in solch trautem Heim kann man in Haselhorst sein: Eine Museumswohnung mit Schlafzimmer, Wohnzimmer, Bad und Küche – alles liebevoll mit Originalmöbeln hergerichtet. Wenn man am Küchentisch Platz nimmt, meint man schon vor sich zu sehen, wie die Bewohner Frühstück machen und das Wochenende im Grünen planen.

Anders lebte es sich in Weißensee, wenn die Einkünfte es ermöglichten. Das Ehepaar Lemke beauftragte nämlich den Bauhaus-Stararchitekten Mies van der Rohe mit einem Haus für sich. 1933 bezog das Paar den schlichten Flachbau mit roten Ziegeln, einer breiten Fensterfront und 160 Quadratmetern Grundfläche. Das am Obersee gelegene Haus ist van der Rohes zuletzt entworfenes Wohnhaus in Deutschland; 1938 emigrierte er in die USA. Die Villa Lemke ist ein perfektes Beispiel für die Realisierung der Idee des Neuen Bauens. Heute profitiert Moderne Kunst von den Licht durchfluteten Räumen, die Besuchern offen stehen. Wie fleißig die Bauhausarchitekten in Berlin waren, seht ihr hier.

  • Museumswohnung Haselhorst Burscheider Weg 21, Haselhorst, mehr hier
  • Mies van der Rohe Haus Oberseestraße 60, Weißensee, mehr hier

Freizeit: Stadtbad Mitte und Strandbad Plötzensee

Das Stadtbad Mitte im Stil der Neuen Sachlichkeit. Der Kaufmann James Simon hat den Bau finanziert. Foto: Elke A. Jung-Wolff

Auch das einfache Volk konnte an den Visionen des Neuen Bauens teilhaben. Das Motto „Licht, Luft und Sonne“ wurde 1930 mit dem Stadtbad Mitte beeindruckend umgesetzt. Von der Straßenseite lässt sich allerdings kaum vermuten, dass dahinter ein riesiger Glaskasten steht, in dem eine Schwimmhalle untergebracht ist. Bei dem angenehm ruhigen Ambiente ist es ein Vergnügen, seine Bahnen zu ziehen. Nicht nur um – wie damals – seinen androgynen Körper in Form zu halten. Voll im Bild über die Bäderkultur in Berlin ist man nach der Lektüre der Geschichte der Berliner Bäderkultur.

Im Sommer zog es die meisten doch ins Freie. Viele fuhren Richtung Wannsee, wo am Strandbad 1930 neue Anlagen im Bauhausstil entstanden. Die Berliner Stadtverwaltung versorgte aber auch den Wedding mit Bademöglichkeiten im Grünen. 1923 wurde das Strandbad Plötzensee umgestaltet und halbfertig bereits der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Weddinger liebten es: bis zu 40.000 Besucher am Tag planschten dort. 1928 war’s dann komplett fertig. Ganz so wie damals hat es sich nicht erhalten, aber schwimmen und sonnenbaden kann man im Sommer dort noch immer. Völlig unabhängig vom offiziellen Badebetrieb und der Jahreszeit, hopsen die Weddinger auch gern mal so in den See – sogar bei Schnee und Eis. Der Plötzensee ist natürlich nur einer von vielen Berlinern Strandbädern.

  • Stadtbad Mitte „James Simon“ Gartenstraße 5, Mitte, mehr hier
  • Strandbad Plötzensee Nordufer 26, Wedding, mehr hier

Kultur: Berlinische Galerie und Literaturhaus Berlin

Jeanne Mammens „Revuegirls“ in der Dauerstellung der Berlinischen Galerie. Foto: Imago/Steinach

Zugegeben, die Gemäuer der Berlinischen Galerie liegen den 1920er-Jahren fern. Aber in ihnen erzählen Pinselstriche aus der Zeit, wie das Leben damals wahrgenommen wurde. Jeanne Mammens „Revuegirls” beispielsweise sind so ein Fenster in jene Jahre. Das Bild ist Teil der Dauerausstellung und kann jederzeit in Augenschein genommen werden. Die Frauen, die mit ihren Fotos heute noch das Bild der Zeit prägen, trifft man in der Onlineausstellung; „Schau mich an! Frauenporträts der 1920er Jahre“. Schauspielerinnen wie Carola Neher, Anna May Wong und Tilla Durieux sind da für die Nachwelt festgehalten.

Für ein Rendezvous mit der Literatur eignet sich das Literaturhaus in der Fasanenstraße. In seiner bewegten Geschichte war es vielfach den Künsten verbunden. Von 1927 bis 1930 war es Teil der Alexander von Humboldt-Stiftung, die ausländische Studierende in Berlin betreute. Eine Leseecke mit internationalen Zeitungen war eingerichtet und Salons dienten kulturellen Veranstaltungen. Wer Glück hatte, konnte den Worten Vladimir Nabokovs lauschen oder denen von Thomas Mann, der aus seinem noch unveröffentlichten Roman „Felix Krull“ vorlas. Den 1920er Jahren begegnet man im Literaturhaus weiterhin, wie im vergangenen Sommer in der Ausstellung „Happy in Berlin – Englische Autor:innen der 1920er und 1930er Jahre“. Gelegentlich weist das Programm auf Stadtführungen hin, die das literarische Geschehen jener Zeit um den Ku’damm herum zum Vorschein bringen. Über den Ku’damm hinaus zeigen wir euch, wo andere Schriftsteller in Berlin zu Hause waren.

  • Berlinische Galerie Alte Jakobstraße 124-128, Kreuzberg, mehr hier
  • Literaturhaus Berlin Fasanenstraße 23, Charlottenburg, mehr hier

Stadtführungen: Abends am Ku’damm und von morgens bis Mitternacht um den Alex herum

Kakadu-Bar, Joachimsthaler Straße 10, Ecke Kurfürstendamm, Berlin-Charlottenburg. Foto: Foto: Willem van dePoll/Nationaal Archief/Wikimedia Commons/CC BY-SA 3.0

Während das Literaturhaus Ausflüge in die literarische Welt macht, nimmt der Stadtrundgang „Kinos, Kokain, Kaffeehäuser” einen ins wilde Nachtleben entlang der Flaniermeile mit – quasi zu dem, was sich vor Haustür der Literaten abspielte. Aber meistens zog die Bohème nachts selbst um die Häuser und mischte mit. Für viele war das Romanische Café an der Gedächtniskirche ein zweites zu Hause, wenn sie nicht wie Marlene Dietrich oder Josephine Baker gerade auf Bühne standen und das Publikum in Ekstase versetzen. Einige Geschichten aus den 1920er-Jahren erzählen wir euch hier.

Ein paar Stationen mit der S-Bahn weiter östlich, so um den Alexanderplatz herum, gestaltete sich das Leben in dieser Zeit etwas anders. Die Stadtführung „Berlins wilde zwanziger Jahre” begleitet einen nicht nur zu den Orten, wo nachts die Lichter glänzten wie beim Kino Babylon oder in Clärchens Ballhaus, sondern auch zu den Stätten des Alltags, wie dem ehemaligen Aschinger nahe des Rosenthaler Platz und der Mulackritze. Von der Arbeiterkneipe ist im Stadtbild nichts mehr zu erahnen. Dabei war sie mehr als eine alteingesessene Spelunke, in der man Molle mit Korn bestellen konnte. Heinrich Zille verkehrte hier. Auch Stars wie Gustaf Gründgens und Claire Waldoff waren dort anzutreffen.

Nicht ohne Grund: Die Kneipe gehörte zur Schwulen- und Lesbenszene, die damals aufblühte. 1951 wurde die Schänke geschlossen; die Abrissbirne nahte. Doch Charlotte von Mahlsdorf wusste um ihren historischen Wert und schaffte die gesamte Inneneinrichtung in den Keller ihres Gutshauses in Mahlsdorf. Dort ist sie als Teil des Gründerzeitmuseums noch zu sehen und lässt ahnen, wie nicht nur die queere Szene, sondern auch Berlins Unterwelt sich dort eingerichtet hatte.

Mehr 20er-Jahren werden in der zweistündige Stadtrundfahrt „Die wilden 20er-Jahre – Berlin Erlebnistour mit dem Bus“ aufgespürt. Dem Mythos des Musicals Cabaret folgt die Isherwoods-Neighbourhood-Tour durch Schöneberg. Sie ist vom englischen Autor Christopher Isherwood inspiriert, der in Berlin wohnte und die Vorlage zu Cabaret schuf. Zu weiteren Spaziergängen auf dem Pflaster der 1920er-Jahre geht’s hier entlang.

  • „Kinos, Kokain, Kaffeehäuser” Termine, Kosten und Treffpunkt hier
  • „Berlins wilde zwanziger Jahre” Termine, Kosten und Treffpunkt hier
  • Gründerzeitmuseum Hultschiner Damm 333, Mahlsdorf, mehr hier
  • „Die wilden 20er-Jahre – Berlin Erlebnistour mit dem Bus“ Termine, Kosten und Treffpunkt hier
  • „Isherwoods-Neighbourhood-Tour“ Termine, Kosten und Treffpunkt hier

Restaurants: Funkturm und Nolle

Das Restaurant Nolle zog 1992 in die S-Bahnbögen an der Friedrichstraße. Foto: Sina Luginbühl

Nach einer Stadterkundung mag ein ruhiges Plätzchen mit Speisekarte eine feine Sache sein. Gastronomisch hat sich aus den 1920er Jahren kaum etwas gehalten. Ein Höhepunkt – im wahrsten Sinn des Wortes – ist das Restaurant im Funkturm. Bei seiner Eröffnung 1926 war der Funkturm eine Sensation, die in jedem Berlin-Reiseführer nachzuschlagen war. 1929 dinierte dort sogar die Avantgarde der englischen Literatur: Vita Sackville-West und Virginia Woolf. Wir können es ihnen nachtun – am besten mit diesem Reiseführer von früher im Gepäck.

Der Mangel an Originalen und die Begeisterung die Epoche waren für Unternehmer sicher Gründe, sich dem Stil anzunehmen, um heute das Lebensgefühl von damals zu erwecken. Dazu zählen das schicke Oxymoron in Mitte und die urige Joseph-Roth-Diele in Tiergarten – beide nach 1990 entstanden. Auf eine längere Tradition blickt die Nolle zurück. In den 1970er Jahren war die Stadt noch durch die Mauer geteilt und der Hochbahnhof am Nollendorfplatz stillgelegt. 1973 richtete sich der Berliner Antiquitäten- und Flohmarkt dort ein. Die Nolle gleich mit und teilte mit der Klientel den Hang zur Nostalgie. Als nach der Wiedervereinigung die Züge wieder durch den Bahnhof rollten, mussten Markt und Nolle weichen. 1992 fand die Nolle unter den S-Bahnbögen an der Friedrichstraße eine neue Bleibe. Mit frischem Anstrich, Palmen und Art-Déco-Postern gleicht sie nun elegant-gemütlich einer kleinen Oase für die 1920er Jahre. In die Cafés, wo sich Künstler damals zum Plausch und zu Neuigkeiten trafen, kann sich meist nur noch hin träumen.

  • Funkturm-Restaurant Hammarskjöldplatz, Westend, mehr hier
  • Restaurant Nolle Georgenstraße 203, Mitte, mehr hier
  • Oxymoron Rosenthaler Str. 40-41, Mitte, mehr hier
  • Joseph-Roth-Diele Potsdamer Str. 75, Tiergarten, mehr hier

Café & Bars: Wintergarten Café und Sally Bowles

Das Wintergarten Café mit Möbeln aus dem geschlossenen Nobel-Café Grosz. Foto: Johannes Kuehn

Zu den vornehmeren Adressen in der Riege der Cafés gehörte mit Kristallleuchter und Marmorwänden das Café Grosz im Haus Cumberland am Kurfürstendamm. Seit 2019 steht dort alles still, aber ein Teil des Mobiliars verschönt nun den Tag der Gäste des Wintergarten Cafés, das kürzlich eröffnete. Bei Croissant und Cappuccino lässt sich dort der Tag beginnen; bei Kaffee und Kuchen am Nachmittag die Seele baumeln lassen. Mit seinem Gegenüber kann man da leicht so im Gespräch vertieft sein, dass man gar nicht merkt, wie draußen inzwischen die Sternlein blinken. Dann eben in eine Bar, um weiter zu lachen, zu philosophieren und es sich gut gehen zu lassen.

Das Sally Bowles in Schöneberg wäre so eine. Sie ist benannt nach der quirligen Hauptfigur im Musical „Cabaret”, das Berlins 1920er-Jahre zum Exportschlager machte. Die Bar ist, wie viele andere, eine Kreation der vergangenen Jahre. Sie ist aber mit viel Liebe hergerichtet und die Wohnzimmeratmosphäre spricht für sich. Hinter anderen Türen eröffnen sich ebenso Welten, die das zweite Millennium ganz vergessen lassen. Im Prinzipal in Kreuzberg wirbeln die Federn beim Burlesqueabenden und im Galander in Charlottenburg meint man einen englischen Gentlemen’s Club zu betreten. Ungeachtet dessen, sind Frauen natürlich auch willkommen. Prost!

Berlin glänzt mit vielen Bars, in denen stilgerecht die Nacht durchgemacht werden kann.

  • Wintergarten Café Potsdamer Str. 96, Tiergarten, mehr hier
  • Sally Bowles Eisenacher Str. 2, Schöneberg, mehr hier
  • Prinzipal Kreuzberg Oranienstr. 178, Kreuzberg, mehr hier
  • Galander Charlottenburg Stuttgarter Platz 15, Charlottenburg, mehr hier
  • The Liberate Kleine Präsidentenstr. 4, Mitte, mehr hier
  • Bar Tausend Schiffbauerdamm 11, Mitte, mehr hier
  • Reingold Novalisstr. 11, Mitte, mehr hier

Mehr zum Thema

Wir haben auch aufgedeckt, was die Frauen in den 1920er Jahren in Berlin so getrieben haben und wie sich die Stadt seit der Gründung Groß-Berlins verändert hat – hier eine Fotozeitreise in die 1920er. Ach, und die Frauen, die Stadt geprägt haben, gehören auch dazu.

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