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Alter Kiez, neuer Kiez

Miet-Odyssee in Berlin: Drei Bezirke in drei Monaten

Die Wohnungssuche in Berlin führt schnell ans Ende der eigenen Kräfte. Zwischenmieten sind dann oft die Abkürzung, um sich etwas Luft bei der Suche zu verschaffen. Ein Elend, dass unsere Autorin und ihr Partner gerade durchgemacht haben. Aufgrund der Miethölle und des hohen Wohnungsbedarfs wurde aus der Wohnungssuche eine abenteuerliche Zwischenmieten-Odyssee. In diesem Artikel teilt sie ihre Erfahrungen und gibt euch Einblicke in ihren persönlichen Reiseführer durch drei Berliner Bezirke: Steglitz, Wedding und Prenzlauer Berg.

Umziehen in Berlin: Nachdem der Berliner Mietendeckel gekippt wurde, hat sich die Situation für Wohnungssuchende weiter verschlechtert. Unsere Autorin zog drei mal innerhalb von drei Monaten um. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg

Die Umzugsreise durch Berlin begann im ruhigen Steglitz

Der Ausgangspunkt unserer Umzugsreise war unsere schöne, geräumige „Altbau-WG“ im idyllischen Steglitz. Rückblickend und mit den neuen Eindrücken, die ich den anderen Gegenden sammeln durfte, kann ich sagen, dass Steglitz sehr ruhig und wohlbehütet ist. Dort fühle ich mich sogar um vier Uhr morgens am Samstag auf der leeren Schloßstraße wohl. Tagsüber ist die Straße perfekt für einen entspannten Einkaufsbummel mit etlichen Geschäften.

Mir fehlt die klare und saubere Luft von Steglitz. Der Bezirk, in dem ich insgesamt über anderthalb Jahre gelebt habe, ist mir sehr ans Herz gewachsen. Ich vermisse die Spaziergänge und Joggingrunden am Teltowkanal oder durch den idyllischen Stadtpark Steglitz und die Sonntage, die wir mit Freunden dort verbrachten, während wir die Musik der Straßenmusiker:innen dort genossen. Den Insulaner mit seinem Ausblick auf die Stadt und der Sternwarte auf seiner Spitze, die schöne Wiese am Priesterweg, und das Freibad! Und natürlich die Krumme Lanke – das schöne saubere und klare Wasser dort, do etwas findet man mittlerweile selten in Berlin. Überzeugt euch gern selbst vom unterschätzten Bezirk mit 12 tollen Orten in Steglitz von Gärten über Theater bis Kreisel.

Die berühmt-berüchtigte Shoppingmeile in Berlin-Steglitz – An der Schloßstraße fühlt sich unsere Autorin zu Hause. Foto: Imago/Schöning

Umziehen in Berlin: Chaos programmiert

Im November, kurz vor dem Auszug aus unserer WG, infizierten mein Freund und ich uns erstmal mit Corona. Das machte die Vorbereitungen nicht einfacher. Immerhin: Einen Tag vor unserem Auszug waren unsere Coronaschnelltests endlich negativ und unsere Freunde ließen alles stehen und liegen, um mit anzupacken. Es lief zwar gut, aber dauerte inklusive Packen dann doch auch bis fünf Uhr morgen. Dann waren wir wirklich soweit. Der krönende Abschluss unseres Umzugs um sechs Uhr morgens: Eine holprige Fahrt im E-Mietauto mit defekter Heizung – die gesamte Fahrt über beschlagene Scheiben und Kälte. Der absolute Horror.

Wedding, Bezirk mit Ecken und Kanten und vielen Erinnerungen

Endlich am Nauener Platz im Wedding angekommen – unserer Destination. Mein Freund war erstmal beschäftigt mit einem kurzen Aprés-Umzugsnickerchen im Auto, aus dem er partout nicht wach zu kriegen war. Eben jenes Auto, das zugerümpelt war bis zum Anschlag – die Sitze ließen sich nicht mal mehr einen Zentimeter nach hinten fahren. Endlich oben angekommen, bekamen wir eine leckere Mahlzeit, die unsere Mitbewohnerin und Freundin für uns vorbereitet hatte. Nach einem zwölfstündigen Schlaf hatten wir uns dann doch ausreichend vom Umzug erholt.

Der etwas rauere Wedding: Antikapitalistische Walpurgisnacht-Demonstration. Foto: Imago/Christian Mang

Willkommen im Wedding. Chaotisch. Bunt. Laut. Und lecker! An jeder Ecke ein anderer guter Imbiss, dazu klasse Restaurants. Hier fühlte ich mich wieder zu Hause. Ein Bezirk in dem sich alle gesellschaftlichen Schichten vereinen – ok, eigentlich ist es ja ein Stadtteil von Mitte, aber es hat eben doch seinen ganz eigenen Flair.

Im Herzen Weddings, der Müllerstraße, mit der ich viele Erinnerungen und Erlebnisse verbinde, befindet sich der Falafelladen meines Vertrauens. Ein kleiner, simpel eingerichteter und liebenswürdiger Libanese. Den „Affenkäfig“ am Leopoldplatz, kannte ich auch schon. Der Sprengelkiez – Hach, da werden Erinnerungen wach an schöne Spaziergänge im Frühling durch die süßen kleinen Straßen mit den bunten Hausfassaden und den versteckten Spreekanal am Nordufer im Sommer.

Ich werde nie vergessen, wie wir einmal (ich glaube es war 2016/17) Silvester bei unseren Freunden im Wedding feierten. Es war so nervenaufreibend und aufregend, ich fühlte mich wie ein kleines Kind auf dem Rummel: Überall bunte Lichter, Feuerwerk, Lärm, und dieser Adrelaninkick, den man an der Spitze der Achterbahn spürt, wenn sich die Bremse langsam löst und es gefühlte 90 Grad steil in den Abgrund hineingeht. So fühlte es sich an, als ich alle paar Meter Böllern auswich, die Menschen von ihren Balkonen mitten auf die Straße warfen. Zugegeben, ein bisschen lebensmüde war das schon im Nachhinein und ich bin froh und dankbar, dass mich kein Böller getroffen hat und ich nicht einen Hörsturz erlitten habe. Trotzdem war es eine tolle Nacht.

Unser Zimmerfenster in der neuen Zwischenmiete im Wedding befand sich direkt über einem Spätkauf. Sehr praktisch, da man nachts mal eben schnell runterhuschen konnte und ein Bierchen zu humanem Preis bekam. Die Geräuschkulisse vor unserem Fenster mitten in der Nacht – egal, ob unter der Woche oder nicht – war einzigartig. Von grölenden betrunkenen Frauen, die lautstark schlechte Schlagerhits mitsangen üner Polizei- und Krankenwagensirenen im Stundentakt bis zu intensiven Streitereien mit hohem „Ich-schwör“-Anteil war wirklich alles dabei. Kurzum, es wurde nicht langweilig im Wedding.

Essenstechnisch ist der Wedding sehr gut ausgestattet. Es gibt viele arabische Imbisse und unzählige Dönerbuden, aber auch ein großes Angebot an tollen und bezahlbaren Restaurants. Probiert euch auch gerne mal durch das gute Essen in den Weddinger Restaurants. Aber das Beste am Wedding, mein persönliches Highlight, die Kneipenkultur.

Diese ist in Steglitz so gut wie nicht existent. Zumindest unter den Menschen in meinem Alter. Die verrauchten Kneipen in Steglitz werden großteils von der älteren „Altberliner“-Fraktion besucht, die sich dort ein Bier nach dem anderen hinter die Stirn kippt, während sie Fußball oder einen anderen Sport schaut und lautstark grölt und kommentiert.

Der Magendoktor im Wedding. Billiges Bier, Jukebox und buntdurchmischtes Publikum. Die Lieblingseckkneipe der Autorin im Wedding. Foto: imago/Lem

Aber zurück zum Kneipenleben im Wedding – von uriger Kaschemme bis schicker Cocktailbar findet ihr hier alles. Vom Zum Schinken über die Wilma bis hin zum Magendoktor direkt am Hinterausgang des S-Bahnhofs-Wedding – mein persönlicher Favorit. Günstig und man kann dort auch noch um vier Uhr in der Früh reinschneien und es wird gut gefüllt sein mit den verrücktesten Menschen. Das wahre Leben, Wedding eben. Alles bezahlbar. Das ist super am Wedding, die Preise.

Die Gentrifizierung schleicht sich hier doch etwas langsamerer ran als an anderen Orten. Für Interessierte gibt es unsere Übersicht mit schönen Kiezen und spannenden Ecken im Wedding. Besonders das Afrikanische Viertel im Wedding ist mit gutem Essen und schöner Natur und Kultur ausgestattet.

Ab in den Prenz’lberg: Cool und Hip, aber zu welchem Preis?

Nach einem Monat Wedding und einem einmonatigem Zwischenstopp im heimischen Steglitz ging es dann Anfang Februar 2022 nach Prenzlauer Berg. Genauer gesagt in das Dreieck zwischen Pankow, Prenzlauer Berg und Gesundbrunnen, Bermudadreieck nenne ich es auch gern. Gut gelegen war unsere Zwischenmiete hier durchaus. Direkt an der Bornholmer Straße und die Schönhauser Allee ist in fünf Minuten fußläufig erreichbar.

Die Schönhauser Allee ist schon wirklich ein schönes Fleckchen. Hier gibt es so gut wie alles: Tolle Restaurants, etliche Spätis und eine Vielzahl an Bars und Kneipen, die in einer fünfminütigen Tramfahrt zur Eberswalder Straße erreichbar sind. Hier findet ihr 12 tolle Tipps zum Entdecken Prenzlauer Bergs.

Reges Nachtleben im Prenzlauer Berg – Junge Berliner:innen sitzen an einem Sommerabend auf freigelegten Tramschienen in der Kastanienallee. Foto: Imago/David Heerde

Aber – ein dickes aber – sind die Preise. Insbesondere im Vergleich zum preiswerten Wedding sind hier die Getränke im Späti teurer, aber auch andere Dinge. Selbst im anständigen Steglitz waren unsere Wohn- und Lebenshaltungskosten niedriger. Für unsere Altbauwohnung haben wir kalt um die acht Euro pro Quadratmeter gezahlt. So hip hier auch alles sein mag, so toll die Anbindung auch ist – alles hat seinen Preis. Und das ist spürbar. Insbesondere im Einzelhandel, der ja seine Preise im Vergleich zum Supermarkt noch weitestgehend selbst regulieren kann. Da bin ich nun schon einige Male über Preise gestolpert, die meinen Atem kurz zum Stocken gebracht haben.

Ja, es ist etwas ruhiger hier als im Wedding, die Bornholmer Straße ist dann eben doch nicht der Ort, an dem sich die Szene trifft. Aber Richtung Eberswalder Straße wandelt sich das Bild schnell wieder, dort ist zu jeder Tageszeit etwas los. Insbesondere nachts am Wochenende sehe ich hier sehr sehr viele junge Menschen auf der Straße, was ich aus Steglitz gar nicht mehr gewöhnt bin. Die Straßenbahnen sind auch sehr praktisch. Überirdische U-Bahnen zieren das Bezirksbild hier und wirken irgendwie ästhetisch. Es ist verhältnismäßig sauber und alles ist wirklich gut erreichbar.

Zurück nach Steglitz: Heimat in Berlin

Im Wedding gehörte es zum Standard-Wochenende, irgendwo auf der Straße abends oder auch morgens noch ein Bierchen zu schlürfen und angetrunken mit Fremden ins Gespräch zu kommen. Auch im Prenzlauer Berg war ich in einigen der etlichen Bars und Kneipen, die mehr als nur Hipsterkneipen sind. Aber diesen altberliner, urigen „Vibe“ der verrauchten Steglitzer Kneipen, oder diese bunte Mischung der unterschiedlichsten Menschen im Wedding mag ich eben besonders.

Am Ende zieht es mich wieder zurück nach Steglitz, dort gehöre ich einfach hin. Dort kenne ich alles, bin alles gewöhnt und fühle mich wohl. In Steglitz ist für mich alles überschaubar, und das mag ich. Auch wenn ich dafür dann eben mal etwas länger in die „hippen“ Szene-Bezirke brauche, ist es doch mein Zuhause.

Und ja, Steglitz haben wirklich nicht viele auf dem Schirm. Hoffentlich bleibt noch etwas Zeit, bis auch Steglitz „szenisiert“ wird und es alle in den Südwesten Berlins zieht. Auch wenn das natürlich Vorteile mit sich ziehen würde, wie aus dem Boden schießende Spätis und Bars, bin ich zufrieden mit den mir altbekannten Adressen und Anlaufstellen, die ich in Steglitz habe. Und irgendwann wird es vielleicht auch irgendwo die Wohnung für immer geben. Nicht nur zur Zwischenmiete.


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