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Kommentar

Mid-Century-Wohnung in Kreuzberg: Das kalte Grauen des Makler-Sprech

Der Traum von der Wohnung in Kreuzberg ist ausgeträumt. Ein Immobilienmakler preist mit einem hippen Facebook-Video Eigentumswohnungen in der Falckensteinstraße an. Es ist eine Umdeutung des sozialen Wohnungsbaus und perfide Verkaufsstrategie zugleich, die sich am Mythos des vermeintlichen „anything-goes“-Bezirks nährt. Ein Kommentar von Jacek Slaski.

Wohnung in Kreuzberg gesucht?
Der „anything-goes“-Bezirk Kreuzberg. Foto: Imago Images/STPP

„The Falckenstein“. Really? Die Makler haben einen schick klingenden Namen für das Eckhaus in der Falckensteinstraße kreiert. Vermutlich ist ihnen die Idee bei einem Meeting gekommen, irgendwo in weiträumigen Büros in Mitte, während sie vegane Snacks geknabbert haben. „The Falckenstein“ also. Kalte, kapitalistische Logik, die sich anbiedert und irgendeine Art Authentizität simuliert, die sie naturgemäß nie hatte.

Es ist der Traum von der Wohnung in Kreuzberg, der hier bedient wird. Unweit vom Schlesischen Tor, auf halben Wege nach Friedrichshain. Hier pulsiert das Leben. Kneipen, Clubs, Restaurants, Ladengeschäfte. Das hieß mal Kiez, heute ist es ein von Touristen und Partyhipstern überlaufenes Spektakel. Und mittendrin:“ The Falckenstein“ und wie der Makler weiß: „Mitten im Herzen des anything-goes-Bezirks Kreuzberg“. Wenn Worte wehtun.

Die 1950er-Jahre-Wohnung in Kreuzberg heißt jetzt „Mid-Century“

Früher hätte man den schnöden Kasten bei der Wohnungssuche links liegen gelassen und sich in einem Altbau eingemietet. Der ist in Kreuzberg und auch überall sonst entweder bereits verkauft oder unbezahlbar, also werden die Restbestände sozialen Wohnungsbaus aus den 1950er- und 1960-Jahren marktgerecht angepriesen. Früher ist eben nicht heute. „Mid-Century“ heißt das Zauberwort im Makler-Sprech.

Damit lässt sich einst ungeliebter Beton zu Gold verwandeln. Ab 4.600 Euro pro Quadratmeter. Dafür gibt es eine Wohnung in einem Gebäude, das „ein Statement“ ist. Statement wofür? Die Lyrik der Agentur-Texter überschlägt sich: „In Form- und Farbgebung präsentiert sich das markante Treppenhaus im erfrischenden Stil der 50er und 60er“.

Da wäre jemand gerne Kunstkritiker geworden, aber dafür hat es nicht gereicht. Stattdessen ködert man verstrahlte Hipster mit betuchten Eltern, die sich in „Crazy-Berlin“ eine Bleibe gönnen wollen. Ist auch ein gutes Investment, denkt sich Papa vielleicht, und der Nachwuchs hat es nicht weit ins Berghain. Win-win.

Besonders fies ist die Aushöhlung des sozialen Aspekts: Wurden die Häuser einst für Menschen gebaut, die sich keine hohen Mieten leisten können, werden sie nun von der Oberschicht übernommen. Auch wenn es das einhundertzehnte Klagelied auf die Gentrifizierung der Stadt ist: Sei’s drum, manche Lieder müssen immer wieder gesungen werden.

Wie toll so ein 50er-Jahre-Kasten sein kann! Hat man als Berliner einfach jahrzehntelang übersehen. Blöd. Bis sich der Markt erhitzte, der Wohnraum knapp wurde und plötzlich alles zum Höchstpreis verscherbelt wird. Von Leuten wortgewandt verpackt, die in ihren Meeting-Pausen Tischtennis spielen oder „Pac-Man“ am Vintage-Spielautomaten.

Mit einer Sache haben die Makler recht, Kreuzberg ist ein „anything-goes“-Bezirk. Hier kann man sich dumm und dämlich verdienen, Häuser „The Falckenstein“ nennen und ungestraft den Begriff „Mid-Century“ verwenden. So tickt der Markt. Das ist das neue Kreuzberg.


Noch besser Berlin verstehen:

Suchen ist anstrengend. Zum Berliner Wohn-Irrsinn gehört auch die WG in Mitte, 27 Euro pro Quadratmeter. Diese Orte und Ereignisse kennt ihr, wenn ihr in den 80er Jahren in West-Berlin gelebt habt. Ihr könnt euch immer noch nicht vorstellen, wie es war, in einer geteilten Stadt aufzuwachsen? Hier kriegt ihr einen Eindruck. Dann seid ihr vermutlich auch, wie so viele in der Stadt, zugezogen. Für euch gibt es dann ein paar Dinge, die ihr vielleicht lassen solltet. Dann klappt’s auch mit den Ur-Berlinern. Denn keiner möchte in dieser Liste der nervigsten Gruppen in der Stadt auftauchen. Ihr auch nicht, oder?

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