Der österreichische Komponist Franz Suppè sagte „Du bist verrückt mein Kind, du musst nach Berlin.“ Ob nun aus jenem Grund oder anderen Motiven: Es gibt viele Zugezogene in Berlin. Und die müssen sich an viele Dinge erst einmal gewöhnen. Manchmal ist das ziemlich schwer, das Leben hier hat aber auch viele Vorteile. 12 Dinge, die Zugezogene an Berlin sofort lieben (und die Einheimischen auch).
Die Nachbarn kommentieren nicht, wann man nachts nach Hause kommt
Egal, um welche Uhrzeit man in Berlin zu Hause die Treppen hochstolpert: Solange man dabei nicht ins Treppenhaus kotzt, interessiert es niemanden, ob man gerade zwei Tage in einem Club verbracht oder eine Vorlesung über die Rolle des Poststrukturalismus in den Werken Foucaults gehalten hat. Anonymität bleibt einer der großen Vorteile der Großstadt.
Dabei ist es nicht so, dass man hier immer anonym bleiben muss: Wer Gemeinschaft sucht, kann sich in Nachbarschaftsvereinen engagieren oder im Hinterhof ein Hochbeet anlegen – so ziemlich überall gibt es interessierte Nachbar:innen, die mitmachen wollen. Der Unterschied zum Dorf: Dort hat meistens jeder seinen eigenen Garten. Und wenn der zu wild ist, dann gibt’s Getuschel.
Berlin ist gelebte Geschichte
Berlin atmet Geschichte. Die ist öfter schrecklich als schön, daran erinnern die Stolpersteine für die von den Nazis ermordeten Juden oder die Gedenkstätte Berliner Mauer. Aber wenn man durch die breiten Straßen unserer Stadt geht und in der richtigen Stimmung ist, dann nehmen einen das Kopfsteinpflaster, die Trinkbrunnen und die alten Häuser mit auf eine Zeitreise. Generationen von Mieter:innen haben schon in unseren Wohnungen gewohnt, haben die schweren Eingangstüren geöffnet, um in den Hinterhof zu huschen.
Davon gab es übrigens früher viel mehr. Nach dem ersten Weltkrieg ließen Stadtplaner dritte, vierte und fünfte Hinterhöfe abreißen, um „Licht, Luft und Sonne“ in die Mietskasernen zu lassen. Das „Neue Bauen“ hielt Einzug, die Hufeisensiedlung entstand. Mancherorts aber gibt es sie noch, die dritten und vierten Hinterhöfe, in denen früher manchmal Pferde- und Kuhställe standen. Wenn man durch sie hindurch geht, hört man manchmal noch die Schläge der Schmiede oder das Geschrei, das aus den viel zu vollen Wohnungen dringt.
In Schöneberg könnte man sich vorstellen, wie David Bowie durch die Straßen schlendert. Und dort, wo die Stolpersteine sind, sollte man sich fragen, wer diese Menschen waren, was sie mochten, wie lebten. Denn Berlin bietet die richtigen Denkanstöße. Übrigens: Bei tipBerlin Geschichte findet ihr immer die besten Geschichten von früher (und erfahrt, wie Berlin bis heute von ihnen geprägt ist).
Ein eng getakteter Nahverkehr
Auch wenn wir Zugezogenen fast genau so gut darin sind, uns über volle Ringbahnen und die BVG aufzuregen, wie die Berliner:innen: Insgeheim lieben sie den öffentlichen Nahverkehr in Berlin. Es gibt U-Bahnen, die alle vier Minuten kommen und sogar BVG-Fähren. Das sind die meisten nicht gewöhnt. Denn sie kommen aus Städten wie Köln, wo die U-Bahn diese Bezeichnung eigentlich nicht verdient hat, die Hälfte der Zeit als Straßenbahn durch die Stadt tuckert und auch mal zehn Minuten warten muss, weil Autos die Einfahrt in die Station blockieren.
Oder sie sind in Käffern aufgewachsen, in denen sonntags nicht mal ein Sammeltaxi, geschweige denn ein Bus, fährt. Abends auch nicht – und zwar an jedem Wochentag. Samstagnachmittag kommt dann vielleicht mal einer. Berlin dagegen erscheint uns wie ein Schlaraffenland der Mobilität. Selbst Dienstagnachts um halb vier biegt auch im tiefsten Reinickendorf treu der Nachtbus um die Ecke. Das ist auch in Metropolen keine Selbstverständlichkeit. Wer schon mal versucht hat, nachts in Paris ins Bett zu finden, weiß das. Anfänger:innen-Tipp: Einfach mal in Berlins größtes Karussell setzen – die Ringbahn. Unsere Tipps für jede Station.
Die meisten Menschen verstehen „Links gehen, rechts stehen“
In Städten wie Hannover, Dortmund oder Düsseldorf könnte man manchmal meinen, das Konzept „Links gehen, rechts stehen“ sei ungefähr so schwer zu verstehen wie Quantenmechanik. Auch in Berlin haben das anscheinend nicht alle Nutzer:innen des Nahverkehrs kapiert – aber doch mehr, als in anderen Städten. Zumindest befinden sich in vielen Fällen mehr stehende Menschen auf der linken Seite als umgekehrt.
Und falls nicht, pampt man die Blitzbirnen eben an – das kennen sie ja schon. Ein Hoch auf die Berliner Schnauze! Ebenjene versuchen (!) wir Zugezogenen dann auch zu imitieren, wenn wir uns dann doch mal den Weg freikämpfen müssen. Das hört sich dann ungefähr so an: „Ick glaub es hackt, mach ma Platz hier! Kommste etwa aus Cuxhafen oder was?“ Dabei sind wir froh, dass niemand sehen kann, dass wir selbst aus Cuxhaven, Schmuxhaven kommen und bis vor einem Jahr auch noch links standen.
Es gibt mehr kulinarische Auswahl als „griechisch“
Hier kommt eine These: In fast jedem deutschen Dorf gibt es einen griechischen Imbiss. Der heißt dann Saloniki, Rhodos oder Mykonos und macht okay-es bis super leckeres Gyros mit Pommes. In der nächsten Kleinstadt gibt’s dann meistens noch ein italienisches Restaurant und ein Deutsches Haus mit Kegelbahn. Berlin dagegen bietet ein kulinarisches Angebot, das uns Landpommeranzen staunen lässt. Es kommt uns vor, als gäbe es in Berlin so viele Restaurants wie Sandkörner am Strand, wie deutsche Touristen auf Mallorca, ja, sogar so viele wie es dumme Aussagen von Verkehrsminister Andi Scheuer gibt.
Klar bieten hier überdurchschnittlich viele türkische, arabische und vietnamesische Restaurants ihre Speisen an, aber das lässt sich ganz einfach damit rechtfertigen, dass die nun mal unglaublich gutes Essen machen. Außerdem gibt es die anderen ja auch noch, und das sind echt viele. In Berlin kann man zum Beispiel kreolisch oder uruguayisch, norwegisch oder jemenitisch essen.
Spätis!
Eigentlich bedarf es keiner Erklärung, warum Spätis in dieser Aufzählung vertreten sind. Aber wir wollen euch und den Spätibetreiber*innen unser Lob nicht vorenthalten. Hier kommt eine Liste in der Liste, die zeigt, warum die Berliner Spätis die besten sind:
- Sie haben immer auf (Ja, es gibt dieses Verbot, sonntags zu öffnen. Aber wir sind in Berlin, so who cares? Hatte dieses Verbot nicht eh irgendwas mit Gott zu tun?)
- Es gibt unzählige Biersorten, manche haben sogar Kölsch.
- Spätis sind die Retter in der Not, wenn man sonntags Klopapier, Käse oder Kaffee braucht.
- Wenn man will, kann man eine Unterhaltung mit einem Wort bestreiten: Wenn Verkäufer:innen „Alles?“ fragen, lautet die korrekte Antwort: „Alles!“
Die Magie der Hinterhöfe
Kaum etwas kommt an die Stimmung in Berliner Hinterhöfen an einem Sommerabend gegen 8 Uhr heran. Es verschafft einem irgendwie ein Gefühl von innerer Wärme, wenn man die schweren Türen zum Hinterhof aufdrückt und von einem Gewirr aus Stimmen und Geräuschen begrüßt wird.
Man kommt dann in eine Zone, die privater ist, als das Leben auf der Straße und doch nicht ganz abgeschnitten vom Treiben der anderen. Aus dem Fenster im Seitenflügel, dritter Stock, dringt das Klappern von Tellern, aus dem Fenster darunter strömt der Geruch nach Zwiebeln, die gerade angebraten werden, und im Hinterhaus spielt jemand Klavier. Dazwischen die Geräusche einer Fernsehsendung für Kinder und manchmal ein forderndes „Anneee!“ Am Aufgang zum Hinterhaus stehen ein Aschenbecher und ein Raucher. Und über all dem leuchtet blau ein Rechteck aus Himmel.
Eine fotografische Reise in Berlins Hinterhöfe unternehmen wir hier
All das Wasser
Dafür, dass Berlin nicht am Meer liegt, gibt es hier ganz schön viel Wasser. Und Wasser macht eine Stadt bekanntlich lebenswerter. In Berlin gibt es mehr als 1600 Brücken, das sind mehr, als Venedig zu bieten hat. Manche davon sind so schön, dass man nicht nur drüber gehen, sondern auch darauf verweilen möchte. Deswegen haben wir die 12 schönsten Brücken Berlins zusammengestellt. Aber auch abseits der Brücken prägt das Wasser unsere Stadt: ob in Klein Venedig in Spandau, am Landwehrkanal oder an der Spree. Unsere Heimatdörfer und -städte dagegen bieten meist nur einen Bach – manchmal einen Fluss, wenn es hochkommt. Berlin lässt sich ganz hervorragend im, am und auf dem Wasser erkunden.
Die Clubkultur
Okay, jetzt mal alle Karten auf den Tisch: Wie viele von euch sind auch wegen der Berliner Clubkultur hierher gezogen? Falls die Clubs ein Grund für euren Umzug waren, ist das auf jeden Fall verständlich. Techno hat Berlin geprägt wie Leberkassemmeln München. Kein Wunder: Die Stadt bot nach der Wende unglaublich viele Freiräume, in denen Menschen ihre eigenen Vorstellungen von Club verwirklichen konnten.
Dabei ging es nicht um schickes Interieur oder ausgefallene Getränke, sondern um die Musik und das gemeinsame Feiern, ums Tanzen und darum, gemeinsam die Sonne aufgehen zu sehen. Auch wenn die Freiräume immer weniger werden und Techno schon längst Mainstream geworden ist: In Berlin macht feiern noch immer am meisten Spaß.
Weil es so viele unterschiedliche Clubs gibt, weil einen morgens in der U-Bahn niemand komisch anguckt, wenn man mit verschmierter Schminke aus dem Fester schaut, weil die besten DJs noch immer gern nach Berlin kommen. Und falls mal wieder Lockdown ist, gibt es ein spannendes Buchprojekt mit Fotos der Clubs im Lockdown. Für alle anderen Zeiten verraten wir euch hier, wie ihr ins Berghain kommt.
Jeder Bezirk hat seinen eigenen Charakter
Es gibt wohl kaum eine Stadt, auf die das Sprichwort „Kennste eins, kennste alle“ weniger zutrifft, als Berlin mit seinen verschiedenen Stadtteilen und Bezirken. Nur weil man seit einem Jahr in Neukölln wohnt, heißt das nicht, dass man Berlin kennt. Und das ist gut so. Auch nach mehreren Jahren Leben in Berlin, nein Jahrzehnten, lassen sich hier Ecken entdecken, in denen man vorher noch nie war. Je nachdem, in welchem Bezirk oder Stadtteil man sich befindet, wirken die Straßen manchmal sogar, als sei man gar nicht in Berlin. Wenn man aus einem Ort kommt, in dem es maximal das Ober- und das Unterdorf gibt, dann ist es aufregend mit einer Buslinie von den Villenvierteln Dahlems über Schöneberg bis zum Zoo zu fahren.
Es ist nicht alles sauber
Manche Berliner:innen mögen meckern über ungepflegte Parks, alte Sofas auf den Straßen oder Urin im U-Bahnhof. Okay, letzteres ist wirklich nicht angenehm. Aber wenn man aus einem Dorf kommt, in dem alle penibel samstags die Straße fegt und Jägerzäune das Bild prägen, dann tut ein bisschen Berliner Laissez-faire verdammt gut. Dann macht es Spaß, sich beim Spaziergang durch Kreuzberg die Tags an den Türen und Wänden anzusehen. Oder spontan einen Nachttisch von der Straße mitzunehmen. Den ganzen Schrott an der Straße kann man ja auch mal kunstkritisch betrachtet: Die Ästhetik des Berliner Sperrmülls.
In manchen Kleinstädten ist es verboten, die Rasenflächen zu betreten. Danke Berlin, dass du Pflanzen in Parks wie dem Landschaftspark Schönholz ein bisschen so wachsen lässt, wie sie es wollen. Dass sich in deinen Parks manchmal Nackte sonnen und an anderen Tagen die Bässe durch die Baumwipfel dröhnen.
Die kulturelle Vielfalt
Das Wichtigste zum Schluss: Die meisten Zugezogenen lieben Berlins kulturelle Vielfalt. Damit meinen wir einerseits die Vielfalt an Theatern, Kinos, Lesungen und Konzerten, die die Stadt zu bieten hat. Vor allem aber meinen wir die vielen Menschen unterschiedlichster Kulturen, die sich hier sammeln und nebeneinander leben. Wenn man die Badstraße im Wedding, die Sonnenallee in Neukölln oder die Schlesische Straße in Kreuzberg entlanggeht, dann dringen die unterschiedlichsten Sprachen an unsere Ohren.
Das Gefühl, dass man noch nicht alles kennt, von der Welt, aber auch von den Kulturen, die in Berlin heimisch sind, macht das Leben hier so spannend. Noch viel schöner ist es, wenn man beobachten kann, wie sich die Kulturen mischen und Neues entsteht. Wie Döner im Brot. Wie langweilig wäre ein Leben ohne Döner und ohne Menschen, die ein wenig anders aufgewachsen sind, als man selbst.
Es ist nicht lange her, da haben wir über 12 Dinge, an die sich Zugezogene erstmal gewöhnen müssen, geschrieben. Aber wenn wir ehrlich sind, sind die ungewohnten Aspekte des Lebens in dieser Stadt eigentlich ganz lustig und schlimmstenfalls – ja – gewöhnungsbedürftig. Und es ist ja nicht alles nur Großstadt. Wusstet ihr, dass man auch in Berlin in die Sterne gucken kann? An diesen 12 Orten leuchten sie heller als die Lichter der Stadt. Ihr liebt es, aufs Wasser zu gucken? Das hier sind Berlins 12 schönste Inseln. Mehr Berliner Stadtleben erlebt ihr hier.