Interview

Regisseurin Steffi Niederzoll über ihre drastische Iran-Dokumentation

Regisseurin Steffi Niederzoll hat mit „Sieben Winter in Teheran“ einen eindrücklichen Film über den Fall der Iranerin Reyhaneh Jabbari gemacht, die sich gegen ihren Vergewaltiger wehrte und daraufhin hingerichtet wurde. tipBerlin-Kritikerin Paula Schöber sprach mit Steffi Niederzoll über die Schwierigkeiten, aber auch die Notwendigkeit, so einen Film zu drehen.

Eine Aufnahme der jungen Reyhaneh Jabbari, bevor sie inhaftiert und hingerichtet wurde. Foto: MADE IN GERMANY Filmproduktion

Steffi Niederzoll: „Wie kann ich als Deutsche über diesen Fall einen Film machen?“

tipBerlin Frau Niederzoll, Sie sind mit dem Fall Reyhaneh über Freunde aufmerksam geworden, die wiederum Familienmitglieder von Reyhaneh kannten. Was war der Auslöser für Sie, daraus einen Film zu machen? 

Steffi Niederzoll Das waren, glaube ich, zwei Sachen: Einmal die Begegnung mit Shole (Shole Pakravan ist die Mutter von Reyhaneh Jabbari, Anm. d. Redaktion), das war für mich total wichtig. Irgendwas ist passiert in dem Moment, als wir uns umarmt haben, da ist eine Verbindung entstanden. Ich habe mich davor immer gefragt: Wie kann ich als Deutsche über diesen Fall einen Film machen? Und der zweite Teil ist der sexuelle Übergriff, das ist ja kein iranisches Thema, das ist etwas, was mich in meinem Leben total beschäftigt. Und als ich dann Shole kennengelernt habe, ist dieses Gefühl, ich als Deutsche darf oder kann das nicht machen, aufgelöst worden, weil ich gemerkt habe: Ich bin eine Frau und ein Mensch, und Reyhaneh ist eine Frau und ein Mensch, und das verbindet uns. Ich habe noch hin und her überlegt, ob ich das machen soll oder nicht, für Shole war aber klar, dass ich die Regisseurin bin. Sie hat das gar nicht in Zweifel gezogen, und das hat bei mir natürlich total was gemacht. 

tipBerlin War Ihnen der Fall Reyhaneh schon vorher durch die Presse bekannt? 

Steffi Niederzoll Ja, 2014 war das ja weltweit ziemlich groß, auch in Deutschland. Reyhanehs Onkel lebt hier und hat ziemlich viel mit der Presse gesprochen, da habe ich das gelesen. Aber ich habe das ehrlich gesagt gelesen, wie man wahnsinnig viele dieser schrecklichen Schicksale liest, und betroffen ist, und dann aber sein Leben weiterlebt. Ich habe den Fall verfolgt, aber auch nicht mehr. 

Steffi Niederzoll ließ einige Szenen, wie hier im Gefängnis, mit Miniaturkulissen drehen. Foto: Julia Daschner

tipBerlin Warum haben Sie sich für die Form Dokumentarfilm entschieden, mit den Video- und Tonaufnahmen, aber auch der Stimme Reyhanehs und den Miniaturkulissen?  

Steffi Niederzoll Dass es ein Dokumentarfilm werden soll, war mir von Anfang an klar. Obwohl ich ja eigentlich eher vom Spielfilm komme, hatte ich das Gefühl, das ist die stärkste Form, diese Geschichte zu erzählen. Es wäre mir einfach nie in den Sinn gekommen, daraus einen Spielfilm zu machen. Es gibt vor allem ein paar Video- und Audioaufnahmen, die haben mich so berührt, und ich hatte das Gefühl, das ist so besonders, solche Aufnahmen zu haben. Es war klar, dass ich daraus was machen möchte. Und wahrscheinlich auch diese Frage: Wie kann ich das als Deutsche überhaupt machen? Das war eine Art, von der ich das Gefühl hatte, das so machen zu können. Denn das ist Material, was die Leute vor Ort gedreht haben, und damit kann ich diese Geschichte bauen.  

Und die Miniaturen kamen ein bisschen später, aber es war auch bald klar, weil ich diese unglaublich tollen Texte von Reyhaneh hatte, also Briefe und Tagebuch, die mich sehr fasziniert und berührt und inspiriert haben. Und dann auch noch ihre Stimme zu haben. Da war immer die Frage: was mache ich damit? Ich wollte ihr eine Ebene geben, die nur sie hat, eine visuelle Ebene. Ich hatte das Gefühl, ich kann da nichts animieren oder nachspielen, sondern ich hatte eigentlich ziemlich schnelle die Idee mit den leeren Räumen, und meine Kamerafrau Julia Daschner hat mich dabei total unterstützt. 

„Ich wollte jemanden, der eine politische Agenda hat, und im Iran aufgewachsen ist“

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tipBerlin Wie fiel die Wahl auf Zar Amir Ebrahimi als Stimme von Reyhaneh Jabbari?  

Steffi Niederzoll Ich wollte mich nicht darauf limitieren, nur die Ausschnitte zu nehmen, die Reyhaneh selbst gesprochen hat, und dann war einfach klar, dass das noch jemand einsprechen muss. Ich wollte unbedingt jemanden, der eine politische Agenda hat, und im Iran aufgewachsen ist, also niemanden, der iranische Wurzeln hat, aber im Exil aufgewachsen ist. Ich hatte das Gefühl, ich kann jetzt weltweit eine Schauspielerin suchen, und dann hat mir mein damaliger Partner Zar vorgeschlagen, die beiden sind auch befreundet. Ich dachte sofort, das passt, einfach wegen ihrer Hintergrundgeschichte. Wir haben dann telefoniert, sie hat einen Rohschnitt gesehen, das war für sie auch wichtig. Weil ich glaube, das ist immer komisch, wenn jemand von außen dann einen iranischen Film macht. Sie fand aber den Rohschnitt toll, und als wir gesprochen haben, hat es sofort klick gemacht. Das war aber auch noch bevor sie die Goldene Palme gewonnen hat, also vor ihrem großen Erfolg in Europa.  

Für „Sieben Winter in Teheran“ konnte Steffi Niederzoll die Exil-Iranerin Zar Amir Ebrahimi gewinnen. Foto: MADE IN GERMANY Filmproduktion

Steffi Niederzoll: „ Es gibt Kräfte, die den Film gerne nicht in der Welt hätten“

tipBerlin Gab es für Sie als deutsche Filmemacherin, die in Deutschland einen Regime-anprangernden Film dreht, Probleme vonseiten des Iran? 

Steffi Niederzoll Wir haben, bis er veröffentlicht worden ist, niemandem gesagt, dass wir diesen Film machen. Außer der Förderung und denen, die mit uns gearbeitet haben, natürlich. Ich habe von Anfang an gesagt: keiner, der an diesem Projekt arbeitet, inklusive Shole, darf darüber sprechen, dass dieser Film gemacht wird, einfach um eine Sicherheit zu gewähren für die Leute im Iran. Zu dem Zeitpunkt waren ja Sharare und Fereydoon (Reyhanehs Schwester und Vater, Anm. d. Red.) auch noch im Iran, und aber auch alle Leute im Iran, die mir geholfen haben, diesen Film zu machen. Ich konnte das gar nicht einschätzen, ich bin einfach nicht in diesem Land groß geworden. Ich weiß nicht, wie der Geheimdienst oder das Regime agiert. Ich hatte natürlich Angst um die Leute im Iran, denn für sie bedeute die Beteiligung an dem Film eine reale Gefahr, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass es für mich selbst wirklich eine Gefahr gibt. Und jetzt, nachdem er veröffentlicht wird, merke ich ab und zu schon, dass es Kräfte gibt, die den Film gerne nicht in der Welt hätten, und Fereydoon wurde auch einmal verhört, aber bis jetzt ist ihm noch nichts Schlimmeres passiert, und ich hoffe, dass es dabei bleibt. 

Regisseurin Steffi Niederzoll hofft, mit ihrem Film „Sieben Winter in Teheran“ die Aufmerksamkeit auf die Hinrichtungen im Iran zu lenken. Foto: Julia Daschner

tipBerlin Der Film lief schon auf vielen Festivals, wird vom Publikum immer gut aufgenommen. Haben Sie das Gefühl, dass er etwas verändern kann, dass er die Lage im Iran sichtbarer machen kann? 

Steffi Niederzoll Ich merke, dass er etwas verändert. Es kamen so viele Leute nach jedem Screening zu uns und haben uns ihre Geschichten erzählt. Und zwar solche wie: Wir haben in der Familie nie darüber gesprochen, aber mein Vater wurde hingerichtet. Oder: Ich komme aus Syrien und ich wurde auch gefoltert. Das ist ja auch schon eine Veränderung, dieses „Eigentlich habe ich nie darüber geredet, aber jetzt erzähle ich dir das.“ Also schon allein diese Öffnung. Zum Beispiel hat mir eine Kanadierin gesagt: Ich wurde vergewaltigt, ich habe den Film gesehen, und ich fahre jetzt zurück und zeige diesen Mann an. Und ich würde sagen, auf dieser Ebene hat der Film etwas bewirkt, weil er zu Menschen spricht und eine bestimmte Geschichte erzählt. Da resonieren anscheinend ganz viele Leute, weil sie darüber eben nicht sprechen. Weil sie nicht über sexuelle Übergriffe sprechen, weil sie nicht über Folter sprechen, weil sie nicht über Hinrichtung sprechen.

„Sieben Winter in Teheran-Regisseurin: „Der Westen schaut gerade nicht mehr auf den Iran“

Und es ist ja wahnsinnig wichtig gerade, den Fokus immer wieder auf den Iran und die Hinrichtungen zu setzen, weil so wahnsinnig viele Leute hingerichtet werden. Der Westen schaut gerade nicht mehr auf den Iran, deswegen gibt es ja gerade diese Welle von Hinrichtungen. Wir haben immer wieder mit NGOs wie Amnesty International zusammengearbeitet bei den Vorführungen, da haben richtig viele Leute deren urgent petition unterschrieben. Ich glaube in diesem Radius kann der Film etwas bewirken. Man fragt sich ja immer als Filmemacherin: Was kann das bewirken? Kann ein Film überhaupt irgendwas bewirken? Ich habe den Glauben wieder zurückbekommen. Es ist wichtig, Filme zu machen, es ist eine wichtige Art der Kommunikation, und es kann was ändern. 

Steffi Niederzoll (links) im Münchner Cuvilliés-Theater, wo sie den „Friedenspreis des Deutschen Films – Die Brücke“ erhalten hat. Foto: Imago/Lindenthaler

tipBerlin Die Premiere des Film ist ja auch in die Zeit der von der internationalen Gemeinschaft akut wahrgenommenen Proteste im Iran gefallen. 

Steffi Niederzoll Genau. Es ist ja nicht so, dass es komplett still ist im Iran, aber es ist natürlich sehr unterdrückt, und jetzt muss man auch nochmal auf den September gucken, weil da jährt sich ja der Tod von Jina Mahsa Amini. Und ich kann mir vorstellen, dass da auch wieder Kräfte mobilisiert werden im Iran. 

Die Filmproduktion war für Reyhanehs Mutter ein Trauerprozess

tipBerlin Wie war die Zusammenarbeit, der Umgang mit Reyhanehs Familienmitglieder, vor allem Shole Pakravan? Wie geht man damit um? 

Steffi Niederzoll Shole und Shahrzad (Schwester von Reyhaneh, Anm. d. Red.) haben während der ganzen Zeit Therapie gehabt. Aber ich glaube, dass Shole in der Zeit ein sehr starkes Bedürfnis hatte, darüber zu sprechen. Die Töchter hatten eigentlich erstmal nicht so ein starkes Bedürfnis, und es hat viel länger gedauert, bis sie sich geöffnet haben mir gegenüber. Ich glaube für Shole war das eher auch so ein Trauerprozess und Verarbeitungsprozess. 

„Sieben Winter in Teheran“: Reyhanehs Mutter Shole Pakravan kämpft weiterhin für Frauenrechte. Foto: Julia Daschner

Steffi Niederzoll: „Sexueller Übergriff geschieht auch hier“

tipBerlin: Haben Sie einen Wunsch oder eine Botschaft, die Sie den Leuten mitgeben wollen, die den Film gesehen haben oder auch nicht gesehen haben? 

Steffi Niederzoll: Ich glaube, der Film hat zwei Botschaften; einerseits: Sexueller Übergriff geschieht auch hier, es ist wichtig, darüber zu reden. Und andererseits: Es ist wichtig, in den Iran zu schauen, die Frauen zu unterstützen, und auch die Bewegung hier in Deutschland zu unterstützen. Petitionen zu unterschreiben, sich gegen die Todesstrafe stark machen. Das ist so wenig für uns, wir sitzen hier in unserem sicheren Land, und ich will nicht sagen, dass es hier nicht auch sehr viel gibt, das man schützen oder ändern muss. Ich habe aber durch diesen Film eine Demut bekommen, und eine Dankbarkeit zumindest für die Rechte, die ich als Frau hier habe. Klar gibt es vieles, was noch besser werden muss, aber trotzdem bin ich dankbar dafür, wie ich aufwachsen durfte, was ich habe. Ich finde es aber wichtig, diese Freiheit auch zu nutzen, damit was zu machen. Ich empfinde das als meine Verantwortung. Seitdem ich mich so stark mit dem Thema der Todesstrafe beschäftigt habe, kann ich auch nicht nichts mehr dagegen machen, weil ich merke, wie tief diese Gewalt und dieser Schmerz geht. Reyhaneh ist tot, die hat diesen Schmerz nicht mehr, aber ihre ganze Familie, und ich glaube auch die Familie von Sarbandi. Das ist voller Schmerz, voller Gewalt, und ich finde es vollkommen inadäquat für das 21. Jahrhundert, dass das existent ist. 

  • Sieben Winter in Teheran 97 Min.; R: Steffi Niederzoll; D: Reyhaneh Jabbari, Shole Pakravan, Fereydoon Jabbari; Kinostart: 14.9.

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