Berlinale 2019

Eröffnungsfilm: „The Kindness of Strangers“ von Lone Scherfig (Wettbewerb 1)

Caleb Landry Jones & Andrea Riseborough_The Kindness of Strangers © Per Arnesen

Ein spontaner Urlaub in Manhattan: so verkauft Clara ihren beiden Jungen die Flucht vor dem Ehemann und Vater. Erst allmählich klärt sich, was der Anlass für den überstürzten Aufbruch war. In Manhattan sind Clara (Zoe Kazan) und Anthony und Jude mehr oder weniger obdachlos, denn bald schon ist das Auto abgeschleppt, und irgendwann funktioniert auch Claras Trick nicht mehr, in einem gestohlenen Kleid und mit teurer Handtusche (auch nicht bezahlt) von Festen unbekannter Menschen die Kaviar-Teigtaschen zu entwenden. Die Tage lassen sich in der Public Library gut herumbringen, aber die Nächte werden zunehmend ein Problem. Zum Glück gibt es die „Kindness of Strangers“, von der Lone Scherfig erzählt: das „Entgegenkommen von Fremden“.

Es zählt zu den elementaren Erfahrungen in einer großen Stadt, dass einander unentwegt Menschen begegnen, die nichts miteinander zu tun haben. Das ist das eigentliche Thema der dänischen Regisseurin, die selbst das Drehbuch geschrieben hat: Sie spinnt ein Netz von fragilen Beziehungen zwischen Unbekannten. Da ist die Ärztin Alice (Andrea Riseborough), die eine Gruppe für „Verzeihen“ („Forgiveness“) leitet. Da ist der nerdige Anwalt John Peter (Jay Baruchel), der Marc (Tahar Rahim) betreut, der wiederum vier Jahre unschuldig im Gefängnis war. Da ist der ungeschickte Jeff, der nichts auf die Reihe zu bekommen scheint. Als latent utopischen Gemeinschaftsraum zeichnet Scherfig ein russisches Restaurant, in dem auch die wichtigsten Fäden zusammenlaufen.

„The Kindness of Strangers“ ist eine Geschichte über das Gute im Menschen. Zwar braucht es dafür auch eine Figur, von der Gewalt und Bedrohung ausgehen, mit der Scherfig aber über eine vage Chiffre nicht hinausgeht. Zu übermächtig scheint der Wunsch, Manhattan zu einer Hauptstadt der Menschenfreundlichkeit zu machen. Die triefende Musik tut ein Übriges, um das großartige Ensemble mit Pathos zu überladen. „The Kindness of Strangers“ könnte ein großer Film über New York sein, erweist sich aber vor allem als idealistische Gesellschaftsfantasie vor geläufiger Hochhauskulisse.      BERT REBHANDL

 

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