Konzertkritik

The Roots spielten in der Verti Music Hall

Eine Beschwörung der afroamerikanischen Musikgeschichte verpackt als gutgelaunte Hip-Hop-Sause: Rapper Black Thought und Schlagzeuger Questlove führten die zehnköpfige Band durch das einzige Konzert der Roots in Deutschland

Black Thought und Questlove von The Roots

Ein Wumms ging durch den Saal, das mächtige Sousaphon dröhnte, ein tiefer Bassrhythmus pulsierte, dazwischen schnitten Saxophon und Trompete in den von bunten Scheinwerfern erleuchteten Raum, alles zusammengehalten vom vollendeten Schlagzeugspiel des Gründers und Masterminds der Roots, Questlove. Der Sound trug von Beginn an eine geschichtsträchtige Note, es schien, als wäre James Brown mit seinen J.B.‘s als Rapper herabgestiegen. Bei gut eingespielten Bands spricht man von tightness, dem dichten, fast mühelos anmutenden Zusammenwirken der Instrumente, einem geradezu blinden Vertrauen. Der Perfektionist Brown trieb einst seine Begleiter, die er wie schnöde Angestellte behandelte, zu Höchstleistungen in Sachen tightness an. Die Roots stehen dem 2019 in nichts nach, doch wirken sie organischer, als Kollektiv, das nicht vom cholerischen Chef gegängelt werden muss. Das nahezu tägliche Musizieren erledigen sie ganz pragmatisch und gut bezahlt als Hausband in Jimmy Fallons „The Tonight Show“. So muss man nicht regelmäßig auf Tour gehen, um ein großartiges Konzert abzuliefern, wie das in der glänzend-sterilen und nahezu ausverkauften Verti Music Hall am vergangenen Donnerstagabend.

Der Geist Browns lag über dem Geschehen. Doch war er nicht der einzige afroamerikanische Musikgenius, der an dem Abend beschworen wurde. Dazu später mehr. Überhaupt wirkten die Roots allein durch ihre Bühnenpräsenz wie die hypermoderne Variante einer Second Line, jener feierwütigen Paradebands, die beim Karneval in New Orleans auch in den Seitenstraßen abseits des großen Trubels für Stimmung sorgen.

Die Band steht schließlich seit Mitte der 1990er für die stilistische Verschränkung von Jazz, Funk, Disco, R’n’B und was der Plattenschrank sonst noch hergibt. Dieses Amalgam ordnen sie klug und häufig mit politisch und sozialkritisch aufgeladenen Botschaften dem Hip-Hop zu und bewiesen, dass es auch ohne Bling-Bling, dicker Karren, Machogehabe und knappbekleideter Ladies einen Weg im Hip-Hop geben kann. Einen musikalischen Weg, der relevant sein kann, sich ökonomisch lohnt und zu dem man auch ordentlich mit dem Hintern wackeln kann.

Auch beim einzigen Deutschlandkonzert in Berlin wurde ordentlich mit Hintern gewackelt, mitgeshoutet und mit den Händen in der Luft gewedelt. Während sich die Roots von Stück zu Stück am eigenen Oeuvre der vergangenen 30 Jahre abarbeiteten, ließen sie die Geister ihrer großen Vorgänger erscheinen. Da war der glasklare Funk von Prince, dort der wabbernde Blaxplotation-Sound von Curtis Mayfield, zwischen tiefen Bässen drängten sich Jazzpassagen, die von dem Flötisten Herbie Mann stammen könnten, bei einer längeren Drum-Percussion-Einlange fühlte man sich plötzlich an die Incredible Bongo Band erinnert. Irgendwann streute der DJ eine Passage aus A Tribe Called Quests „I left my wallet in El Segundo” ein, dann erklang auch ein Zitat aus The Pharcydes Hit „Runnin’“.

Über diesen zum universellen Roots-Groove geschmolzenen Referenzen bewies Rapper Black Thought warum er vielleicht so etwas wie der Michelangelo seiner Zunft ist. Ein selbstsicherer, inspirierter, reflektierter Wortreigen sprühte im unnachahmlichen Flow aus ihm heraus, als wäre er Medium, verbunden mit höheren Instanzen, und nicht alleiniger Erzeuger der sprechgesungenen Sätze. Wer es nicht glaubt, soll einfach mal „Black Thought Freestyle“ googeln, was er dort beim Radiosender Hot 97 veranstaltet ist ganz großes Kino.

Und so war es auch kaum verwunderlich, dass der zumindest medial eher im Vordergrund stehende Questlove, der in seiner sympathischen Bärenhaftigkeit als Aushängeschild der Roots gilt, ganz selbstlos die Show dem nicht minder bärtigen doch um einiges athletischeren Kollegen überließ, was dem Auftritt aber in keiner Weise schadete. Als zum Ende hin sich die New Yorker mit ihrem Meilenstein „The Seed“ langsam verabschiedeten, war klar, dass da Künstler auf der Bühne standen, die musikalische Virtuosität mit Partyspaß und historischem Bewusstsein zu vereinen wissen. Das klingt einfacher als es tatsächlich ist.

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