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Gustave Caillebotte: Maler und Mäzen des Impressionismus

Foto: Alicja Khatchikian

Hätte man die Geschichte nicht von ihm selbst gehört, könnte man sie kaum glauben. Ralph Gleis, seit zwei Jahren neuer Leiter der Alten Nationalgalerie Berlin, hatte seinen ersten Arbeitstag, als eine Anfrage des Art Institute of Chicago auf seinen Schreibtisch flatterte: Man wolle sich gerne Edouard Manets „Im Wintergarten“ ausleihen. Ausgerechnet den großformatigen Blickfang der Impressionisten-Sammlung. „Natürlich habe ich nein gesagt“, sagt Ralph Gleis. Die damalige Empörung schwingt noch in seiner Stimme mit. Um es zu verleihen, sei Manets Gemälde viel zu wichtig. Das wäre ja so, dachte er sich, als wenn er in Chicago Caillebottes berühmtes, ebenfalls großformatiges Gemälde „Straße in Paris, Regenwetter“ anfragen würde.

Mit dieser launig vorgetragenen Geschichte begann Ralph Gleis seine Führung durch die Ausstellung „Gustave Caillebotte. Maler und Mäzen des Impressionismus“, die aktuell in der Alten Nationalgalerie zu sehen ist. Denn aus dem Nein wurde ein Ja, und das Unwahrscheinliche wurde Realität. Tatsächlich: Statt Manets Wintergarten hängt jetzt Caillebottes Pariser Straßenszene genau in der Flucht des Impressionisten-Saals. Der Tausch ist zustanden gekommen. Und er ist für beide Seiten ein großer Gewinn.

Caillebottes „Straße in Paris, Regenwetter, 1877“ ist ein hochinteressantes Gemälde. Es zählt zum Impressionismus und hat innerhalb dieser Stilrichtig doch eine Außenseiterstellung. Weil die Straßenszene im Regenwetter spielt. Weil Caillebotte mit vielen Vorzeichnungen gearbeitet hat, also mehr plant als einfach die Impressionen wirken zu lassen. Die Studien werden ebenfalls in der Ausstellung gezeigt. Und weil das Gemälde fast wie eine Fotografie wirkt, die damals – allerdings in schwarzweiß – durchaus auch die Arbeit die Künstler beeinflusste. Ein starker Realismus prägt das Gemälde, so dass es fast „moderner“ wirkt als all die Renoirs und Monets mit ihrem flirrigen Licht und ihrer farbenfrohen Stimmung.

Caillebotte zeigt ein neues Paris, 1877 war ein Umbruchsjahr in der Stadt. Ganze Zeilen der mittelalterlichen Bebauung mussten weichen, der Chef-Stadtplaner Georges-Eugène Haussmann dachte in großen Boulevards und großbürgerlichen Häuserzeilen. Das bildet Caillebotte in einer komplexen Räumlichkeit ab. Die Menschen scheinen geradezu aus dem Bild herauszulaufen, die Betrachter werden in den Bildraum hineingezogen. Was das Gemälde aus heutiger Sicht so modern macht, sind aber die krassen Bildausschnitte. Radikal werden die Menschen bei ihm angeschnitten, wie man es eher aus der Fotografie 100 Jahre später kennt.

Das ist der Maler. Doch es geht in der Ausstellung „Gustave Caillebotte. Maler und Mäzen des Impressionismus“ auch um den wichtigsten ersten Sammler impressionistischer Werke, den Förderer der Künstler und den Begründer des Impressionisten-Kanons. Kein geringerer war der Sohn aus reichem Hause, der früh erbte, sich früh mit Degas, Renoir, Cezanne und weiteren Impressionisten befreundete.

Unter dem Eindruck des Todes seines Bruders verfasste Caillebotte (1848-1894) im Alter von 28 Jahren sein Testament und vermachte seine – damals nicht besonders wertvolle, der Impressionismus hatte sich noch nicht durchgesetzt! – Sammlung dem französischen Staat. Die Maler, deren Werke er damals kaufte, machen heute den Kanon des Impressionismus aus. Caillebottes Sammlung ist der Kern der Impressionistenkollektion im heutigen Musée d’Orsay. Und auch die Nationalgalerie, und so schließt sich der Kreis, hat eine wichtige Impressionismussammlung. Hugo von Tschudi, ab 1896 Direktor der Nationalgalerie Berlin, reiste gemeinsam mit Max Liebermann nach Paris und kaufte Kunstwerke vor allem von Manet, Monet und Degas. Édouard Manets „Im Wintergarten“ war tatsächlich das erste Gemälde dieses Künstlers, das für ein Museum gekauft wurde. Für Berlin. Dass es nun im temporären Tausch einen Caillebotte nach Berlin gebracht hat, ist eine schöne List der Kunstgeschichte. Und von Ralph Gleis.

Text: Stefanie Dörre

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