so war das kreativ-event präsentiert von Mastercard Priceless Berlin

Berlinale Spezial

Und dann schaue ich im Spiegel meinem 70-jährigen Ich ins Gesicht. Tiefe Falten, maßgebliche Augenringe, eisgraue Haare. Aha, ich werde dann also einen Schnauzbart tragen. Kann mich ja schon mal an den Gedanken gewöhnen. Ich habe ja noch ein paar Jahre Zeit bis dahin. Will ich wenigstens hoffen.

Die Maskenbildnerin Dana Schumacher hat mich ganz schön alt aussehen lassen bei der Premiere der Workshop-Reihe Kreativ präsentiert von Mastercard Priceless Berlin. Keine halbe Stunde hat es gedauert am Schminktisch, den sie im Konferenzraum des Hotels 25 Hours Bikini Berlin aufgebaut hat. Nach mir ist die Teilnehmerin Sylvia Pfennig an der Reihe. Nur reist sie erscheinungstechnisch nicht in der Zeit voraus, sondern zurück. Weit zurück. In die Goldenen 1920er-Jahre. Glamour Girl und fideler Greis. Das kann ja heiter werden.

Diese wundersame Verwandlung ist der zweite Teil des „Berlinale Spezials“, die am frühen Abend nebenan, im Saal 4 des Zoopalastes, begonnen hatte. Dort steht kurz nach 19 Uhr der Theaterleiter des Kinos, Sascha Rybnicki und begrüßt uns zur Tour durch das legendäre Berliner Kino. Die gerade zu Ende gegangenen Internationalen Filmfestspiele haben auch bei ihm Spuren hinterlassen. Seine Stimme ist etwas malade.

1956/57 war an der Stelle des 1942 im Zweiten Weltkrieg zerstörten Ufa-Palastes nach Plänen von Paul Schwebes, Hans Schoszberger und Gerhard Fritsche ein neues Kino mit zwei Sälen errichtet worden, wobei der große 1.200-Plätze-Saal seinerzeit vor allem den deutschen Kassenschlagern vorbehalten blieb und im kleineren „Independent“-Saal die amerikanischen Filme liefen. Die Berliner fanden für die über- und ineinander geschobenen Säle übrigens schnell den passenden Namen: „Klappstulle“.

Zur Eröffnung des Zoopalast 1957 kam der deutsche Star Liselotte „Lilo Pulver“ in die City West – und mit der ersten Berlinale 1957, damals noch im Sommer, auch die internationalen Stars, wie ein Film zur Historie des Kinos zeigt, mit dem Rybnicki die Tour durch den Zoopalast beginnt. Jahr für Jahr. Sophia Loren, James Stewart, Tom Hanks.

Und Lilo Pulver kehrte auch noch einmal zurück zum Zoo, 2013, als das Traditionskino nach dreijähriger Sanierung mit Umbau unter Federführung der Berliner Architektin Anna Maske wieder eröffnete. „Sie sprang auf die Bühne wie ein junges Reh“, sagt Sascha Rybnicki, „tatsächlich mit über 80 Jahren.“

Jeder der neuen Säle, erzählt er, sei einem Fritsche-Bau nachempfunden worden, zum Beispiel dem einstigen Haus Vaterland am Potsdamer Platz, „wir haben jeden Saal ein bisschen an die große Zeit des Kinos angelehnt.“ Die 50er-, 60er-Jahre.

Seit 2013 betreibt der Kino-Unternehmer Hans-Joachim Flebbe den Zoopalast. Weil Flebbe ziemlich groß gewachsen ist, sagt Rubnicki, hätte er auch dafür gesorgt, dass die Beinfreiheit in den Sitzreihen beachtliche Streckausmaße einnimmt. Und wer in der ersten Reihe eincheckt, kann in den meisten der sieben Kinosäle und zwei Clubkinos den Sessel sogar zur Liege umfunktionieren. Gut zu wissen, falls der Film mal wieder ein bisschen länger währt. Nach einem Blick in eines der Klubkinos mit 39 Plätzen, Bar hinter dem Saal und mit von Besuchern selbst mitgebrachten Büchern gefüllten Regalen als Wanddeko endet die Führung im prachtvollen, mit viel Liebe zum Detail restaurierten großen Saal. Dort werden die Besucher in den 773 Sesseln mit einer Dolby ATMOS Anlage beschallt: 89 Lautsprecher, 46 Kanäle. Wenn es hier im Film regnet, dann wirklich von oben.

Zwar sei der Saal mittlerweile für die ganz großen Berlinale-Premieren zu klein, sagt Sascha Rubnicki. Die finden drüben am Potsdamer Platz statt. Aber zur Berlinale ist hier trotzdem immer jede Menge los. Und sonst auch. „Die Amerikaner lieben dieses Haus, die kommen hier rein und sagen: Amazing!“, erzählt er zum Abschluss seiner Tour. „Das erinnert sie an ihre eigene Kinokultur.“

Dana Schumacher, seit fast 20 Jahren als Maskenbildnerin für Film und Fernsehen unterwegs, kennt manche Gesichter, die auf dieser und anderen Leinwänden flimmerten, ganz aus der Nähe. Die gebürtige Dresdnerin, die bei Hasso von Hugo – dem ersten deutschen Maskenbildner, der einen Bundesfilmpreis erhielt, 1996 für Jean-Jacques Annauds Umberto-Eco-Verfilmung „Der Name der Rose“ – ausgebildet wurde, sorgte sich zum Beispiel schon bei Florian David Fitz, Elyas M’Barek oder Josefine Preuß ums passende Antlitz. Sie machte aber auch jene Zombies untotsicher schön, die lustig durch das Video „Junge“ von Die Ärzte marodierten.

Es ist ja gemeinhin nicht nur, anders als bei der Kreativ-Workshop-Einheit im Hotel 25 Hours, das Gesicht, das sie umarbeitet. „Du veränderst einen Menschen, machst ihn älter oder jünger, zum Zombie oder zum Gnom, oder es werden Körperteile hergestellt“, sagt sie. „Dazu gehören Kenntnisse in Stilkunde für die einzelnen Epochen. Und, gerade beim Film, ein bisschen Einfühlungsvermögen.“

Jetzt könnte sie erzählen, welche Schauspieler besonders viel Einfühlungsvermögen brauchen. Macht sie natürlich nicht. Berufsgeheimnis. Die Models an diesem Tag sind da eher unkompliziert. Ich zum Beispiel. Als die Falten in meinem Gesicht an nur scheinbarer, aber dennoch visuell bestürzender Tiefe zunehmen, fragt Dana Schumacher in die Runde: „Wie alt soll er denn werden?“

Einer skandiert lachend: „Mach‘ ihn so alt wie möglich!“

Na schönen Dank auch.

Noch etwas graues Trockenshampoo ins Haar, einen buschigen Schnauzer ins Gesicht und einen kecken Hut auf den Grauschopf. Und ich könnte schon mal Passfotos für meinen Führerschein anno 2040 machen lassen.

Als nächstes verwandelt Dana Schumacher dann Workshop-Teilnehmerin Sylvia Pfennig in eine 1920er-Jahre-Schönheit mit blass geschminkten Wangen, distinktiv dunklem Lidschatten und schwarzem Glitzerhaarband. Sensationell. Sie sieht danach aus, als ginge es gleich noch ins Moka Efti, das Tanzlokal aus „Berlin Babylon“.

Das Abschminken geht dann erstaunlich schnell. Bei jeder Gesichtskerbe hoffe ich, dass sie sich noch wegwischen lässt und nicht schon auf Dauer im Antlitz angelegt ist.

Zum Abschluss gibt’s Cocktails. „Night Nurse“, anlassbezogen „Marlene Dietrich“ umgetauft, oder „Ape Cigar“ aka „Clint Eastwood“. Der hat reichlich Whiskey drin, weißen Wermut auch. Man fühlt sich danach ganz schön Clint. Natürlich, Alkohol ist auch keine Lösung.

Aber wenn man gerade wieder jünger geworden ist, darf man das auch mal feiern.

Text: Erik Heier
Fotos: Lena Ganssmann

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