Interview

Das Team hinter Tulus Lotrek über die Krise der Branche – und Mittagsschwips

Für ihre Initiative „Kochen für Helden“ bekommen Ilona Scholl und Max Strohe vom Kreuzberger Restaurant Tulus Lotrek das Bundesverdienstkreuz. Ein Gespräch über den Mittagsschwips, weggesperrte Vakuumbeutel und die Krise ihrer Branche.

Das ist übrigens auch das Cover der neuen tip-Speisekarte: Ilona Scholl und Maximilian Strohe vor dem Tulus Lotrek. Foto: Saskia Uppenkamp

„Tulus-Lotrek“-Team: Bundesverdienstkreuz für Initiative „Kochen für Helden“

tipBerlin Ilona Scholl, Max Strohe, Sie bekommen am  1. Oktober das Bundesverdienstkreuz verliehen für Ihre Initiative Kochen für Helden, an der sich deutschlandweit gut 100 Restaurants beteiligt haben. Während der Lockdowns haben Sie Gulasch und Linsensuppen fürs Klinikpersonal gekocht

Ilona Scholl Was sich noch immer abstrakt anfühlt, nicht Kochen für Helden, sondern das Bundesverdienstkreuz. Wenn man ein Restaurant eröffnet und alles Geld, das man nicht hat, und alle Leidenschaft , die man hat, reinsteckt, denkt man irgendwann, ach so ein Stern, das würde jetzt passen. Hat er dann ja auch. Aber das Bundesverdienstkreuz? Wer sieht sich denn selbst im Schloss Bellevue?
Maximilian Strohe Ich fand es erstaunlich, mit welcher Wucht mich das getroffen und wie sehr es mich nachhaltig gefreut hat. Das war eine Honorierung für diesen schrecklichen ersten Lockdown. Ich bin noch tagelang aufgewacht und habe einfach gegrinst.
Ilona Scholl Mich hat es am meisten gefreut, dass unsere Aktion offensichtlich da draußen wahrgenommen wurde, von der Gesellschaft und auch der Politik.

tipBerlin Haben Sie selbst die Lockdowns schon abgeschüttelt?

Maximilian Strohe Abgeschüttelt nicht, aber verdrängt. Wir hatten jetzt die Anfrage von einem, glaube ich, ziemlich guten Berliner Start-up. Die heißen et voilá und schicken Fine-Dining-Menüs durch Deutschland. Aber in gut und nachhaltig, mit Verpackungen, die man danach in seinem Balkonkasten verbuddeln kann und es wachsen Sonnenblumen und so. Ob wir nicht mitmachen wollten? Nein, wollen wir nicht. Wir können einfach keine Einmachgläser und keine Vakuumbeutel mehr sehen. Mit dem Moment, in dem wir wieder aufmachen durften, haben wir all die Gläser, Dosen und Schachtel in einen Raum gesperrt in den jetzt keiner mehr geht. Das ist wie bei Harry Potter oder so …
Ilona Scholl …oh ja, das ist die Kammer des Schreckens.

Im Tulus Lotrek intensiv über Arbeitsbedingungen gesprochen

tipBerlin Was ist, im Tulus Lotrek und in Ihrer Branche, denn geblieben von der Pandemie?

Ilona Scholl Die Leute hatten in diesen beiden Jahren zum ersten Mal Zeit, sich um ihre Arbeitsbedingungen Gedanken zu machen. Und es gibt viele, die sind jetzt nicht mehr da. Zumal im verwöhnten Berlin, wo man immer noch verhinderte Künstler und Schauspielerinnen und Djs hatte, die eben gekellnert haben.
Maximilian Strohe Auch wir haben im Tulus Lotrek mit unserem Team intensiv darüber geredet, wie man Arbeitsbedingungen langfristig anders gestalten kann.
Ilona Scholl Jetzt tauchen ja auch überall die Artikel und Wortmeldungen über, vor allem männliche, Köche auf, die mit Pfannen werfen oder geworfen haben. Kriegsberichte aus der Küche gewissermaßen. Ich glaube, das ist kein Zufall, dass so etwas nach einer Zeit hochkocht, wo die Leute über Monate einmal nicht in der Mühle waren. Viele fragen sich ehrlich, ob sie eine Zukunft in dieser Branche haben. Wir sind an einem Punkt, an dem sich wirklich etwas ändern muss.

tipBerlin Sie plädieren für eine Art New Deal in der Gastronomie. Müssten wir Gäste als durchaus zentraler Faktor nicht auch mit an den Verhandlungstisch?

Ilona Scholl Ich will da gar nicht die Verantwortung auf die Gäste abwälzen. Aber natürlich müsste der Restaurantbesuch, unabhängig ob nun Fine Dining oder gut bürgerlich, empfindlich teurer werden, um auch nur in die Nähe eines Achtstundentags zu kommen. Sparen kann man eben bei den Grundprodukten und der Arbeitskraft. Und dass wir gute Sachen essen sollten, saisonal, regional, ökologisch, das haben wir ja gerade alle erst gelernt. Und davon sollten wir, nebenbei bemerkt, ja auch nicht mehr abrücken.

tipBerlin Inwieweit war das all die Jahrzehnte auch internalisierte Ethos, Vierzehnstundenschichten zu buckeln, eine falsch verstandene Ritterlichkeit?

Maximilian Strohe Es gibt da alle halbe Jahre den Moment, an dem ich auf die Idee komme, doch einen Mittagsservice anzubieten. Einmal in der Woche und ganz klassisch. Seezunge für zwei, am Tisch bereitetes Tatar, Crêpe Suzette und dann 16 Stunden durcharbeiten. Die, die in ihren Lehr- und Wanderjahren noch klassischen Mittagsservice hatten, schwelgen in diesem Pathos. Unsere jungen Köch:innen zeigen uns zurecht einfach nur den Vogel. Die gehen dann lieber wieder in die neue Berliner Regionalküche und schnibbeln drei Stunden an einem einzelnen Champignon.
Ilona Scholl Dabei finde ich Mittagessen aus der Gastperspektive richtig super, gerne auch ganz große Oper, gesamtes Menü und sich dann schön einen picheln, dann ist der Tag zwar im Eimer, aber der nächste ist es eben nicht. Mittagsschwips fühlt sich ja auch anders an als Abendschwips.

Das Tulus Lotrek soll durchaus noch weiter wachsen

tipBerlin Sie haben gerade den Mietvertrag für das Tulus Lotrek für eine kleine Ewigkeit verlängert. Gab es da ein Hadern oder Zögern angesichts der vergangenen Monate?

Maximilian Strohe Es war ja keineswegs so, dass wir vor dem Lockdown alles schon erzählt, gesagt und gekocht gehabt hätten. Wir sind längst noch nicht fertig mit uns und mit dem Tulus Lotrek. Wir haben diese marode Kreuzberger Altbausubstanz sukzessive auf die Kette gekriegt und sind sukzessive gewachsen. Und das mit dem Wachsen haben wir durchaus noch ein paar Jahre vor. Wir sind ja immer noch in der Entwicklung.
Ilona Scholl Wir haben mit unserem Personal und für unser Personal dieses Schiff doch leidlich tauglich durch die Krise manövriert, ohne allzu große Schäden, so dass auch intuitiv klar ist, wenn wir alle schon so wild strampeln, dann auch aus einem Grund.

  • Tulus Lotrek Fichtestraße 24, Kreuzberg, Do–Mo 18–23 Uhr, Tel. 030/419 56 68 7, www.tuluslotrek.de

Mehr Berliner Genusskultur

Hungrig in Kreuzberg? Hier sind 12 Restaurantempfehlungen in Kreuzberg für jeden Geschmack. Oder doch mal wieder Lust auf Sushi? Hier bekommt ihr mehr als Maki und Nigiri: Sushi in Berlin. Zu leckerem Essen passt immer auch ein guter Wein, den trinkt man am besten in einer von diesen 12 Weinbars in Berlin.

Noch mehr News und Empfehlungen aus der Berliner Gastro-Welt gibt es in der Rubrik Essen & Trinken. Keine Ahung, wie ihr euch bei der riesigen Auswahl entscheiden sollt? Mit der Berlin Food App von tipBerlin findet ihr immer das passende Restaurant.

Folgt unserem Instagramkanal @tipberlin_food!

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad