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Alltagskultur

Die Plastiktüte erobert das Museum. Gespräch mit der Kuratorin der Ausstellung „Tüte? Na, Logo!“

Seit Juni 2017 leitet Dr. Christina Thomson die Sammlung Grafikdesign der Kunstbibliothek. Wir sprachen mit ihr über die kulturelle Bedeutung der Plastiktüte, Nachhaltigkeit, Alltagskultur und den Aldi-Ledertüten-Skandal um Lars Eidinger.

Plastiktüten der 1960er- bis 80er-Jahre, Sammlung Sadecki (Cool Collection Berlin), © Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz

Dr. Christina Thomson ist Leiterin der Sammlung Grafikdesign an der Kunstbibliothek, Staatlichen Museen zu Berlin. Sie hat die Ausstellung „Tüte? Na Logo!“ kuratiert, die vom 13. März bis 28. Juni 2020 kostenlos im Schaufenster der Kunstbibliothek am Kulturforum zu sehen ist. Die Tüten-Schau begleitet die Ausstellung „Marken:Zeichen. Das Grafische Atelier Stankowski + Duschek“, die parallel am selben Ort läuft.

tip Frau Thomson, wie kommt man darauf, der Plastiktüte eine Ausstellung zu widmen?

Christina Thomson Da kamen mehrere Faktoren glücklich zusammen. Als ein Museum für Gestaltung hat die Kunstbibliothek auch eine Sammlung Grafikdesign, für die ich zuständig bin. Vor etwa anderthalb Jahren kontaktierte uns Tobias Sadecki, der sich als ein Sammler von Plastiktüten vorstellte und fragte, ob wir nicht mal was zusammen machen wollten. Da Grafikdesign nicht nur Plakatkunst umfasst, sondern auch gestaltete Werbe- und Kommunikationsmedien des Alltags, gefiel mir die Idee. Zeitgleich war ich die Ausstellung Marken:Zeichen am vorbereiten, die am 12. März eröffnet.

tip Worum geht es in dieser Ausstellung?

Christina Thomson Sie präsentiert das großartige Werk des Grafischen Ateliers Stankowski + Duschek, dessen Nachlass die Kunstbibliothek 2012 erhielt. Als ich beim Stöbern im Nachlass unverhofft eine tolle Plastiktüte mit Logo-Design von Stankowski fand, fiel der Groschen: Das passt ja zusammen! Dass um die gleiche Zeit herum das Bundesumweltministerium die Absicht verlauten ließ, das Verbot der Plastiktüte 2020 in die Tat umzusetzen, war ein schöner Zufall, der dem Vorhaben eine weitere Ebene eröffnete: Denn mit dem Rückblick auf die Designgeschichte eines Wegwerfartikels begibt man sich automatisch in aktuelle Fragestellungen rund um Nachhaltigkeit.

Eine der größten Plastiktüten-Sammlungen Deutschlands

tip Können Sie etwas mehr über die Sammlung und den Sammler Tobias Sadecki sagen?

Christina Thomson Der Berliner Tobias Sadecki hat vor acht Jahren seine Leidenschaft für Plastiktüten entdeckt. Zusätzlich zur Jagd nach einzelnen Tüten übernahm er anfangs einige Konvolute aus aufgelösten Sammlungen in Deutschland, der Schweiz, Dänemark etc., teilweise als Schenkungen. So wurde seine faszinierende Sammlung, die er „Cool Collection“ nennt, zu einer der größten und internationalsten hierzulande – 15.000 Stück sind es inzwischen. Sadecki verfügt auch über ein immenses Spezialwissen zu den Tüten und ihren Geschichten, das er dankenswerter Weise für die Ausstellung mit mir teilt.

tip Was hat die Plastiktüte künstlerisch bzw. gestalterisch ausgemacht?

Christina Thomson Die Geburt der Plastiktüte liegt 60 Jahre zurück. Sie ist also ein Boom Baby des Wirtschaftswunders, Indiz einer großen neuen Lust auf Konsum. In der Welt des Design brachten die Sixties radikal Neues mit sich: neue Materialien, knallige Farben, starke Muster. Kunststoffe waren plötzlich allerorts en vogue, sei es im Panton-Möbel, im Lackstiefel oder eben in der Tragetasche. Glatte Haptik, glänzende Oberfläche, bunte Motive – alles an der Plastiktüte ist Verführung. Billige Herstellung und schnelle Austauschbarkeit machten sie zum perfekten Werbeträger. Ihre Gestaltung ist demnach meist kurzlebig angelegt. Sie fängt Mode und Zeitgeist ein, ist eine Art Destillator massentauglicher grafischer Trends, beispielsweise das Braun-Orange der 1970er, oder die pastellfarbenen Graffitis der 80er. Aber mit der Plastiktüte ist es letztlich wie mit jedem anderen gestalteten Objekt – es gibt gutes Design ebenso wie liebloses und ungekonntes.

Stankowski + Partner, Plastiktüte REWE, um 1970, Cool Collection, Berlin © Stankowski-Stiftung, © Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Dietmar Katz

tip Welche Rolle spielen Sammler und Museen?

Christina Thomson Sammler und Kuratoren sind da erste Selektionsinstanzen. Für die Ausstellung „Tüte? Na, Logo!“ haben Tobias Sadecki und ich etwa 40 frühe Beispiele aus Westdeutschland ausgewählt, wo die Grafik mit dem Firmenlogo spielt. Plastiktüten werden hier zum Teil eines allumfassenden Corporate Image, eine Idee, die in den Siebzigern und Achtzigern erstmals weitläufig um sich griff. Mit dabei ist die blaue Horten-Tüte, die 1961 als erste deutsche Plastiktüte rauskam und die Eiermannschen Fassadenmuster aufnimmt, oder der unschlagbare Klassiker ALDI, 1970 von dem Künstler Günter Fruhtrunk entworfen.

Die Beuys-Tüte für die documenta von 1972 kostet heute bis zu 1000 Euro

tip Werden die Tüten heute als Kunstwerke betrachtet und teuer gehandelt?

Christina Thomson Von Herrn Sadecki, der sich da bestens auskennt, habe ich gelernt: Es gibt vereinzelt limitierte Editionen, von Künstlern, Designern oder Firmen produzierte Sonderauflagen von Plastiktüten, die derzeit dreistellige Summen wert sind. Die Beuys-Tüte für die documenta von 1972 ist ein Beispiel dafür, die ist inzwischen rar und kostet bis zu 1000 Euro. Standardtüten sind aber generell unter 10 Euro zu haben, nur bei einzelnen Raritäten klettern die Preise bis zu 100 Euro.

tip Verlieren wir nach dem Verbot der Plastiktüte ein Stück Alltagskultur?

Christina Thomson Alltagskultur ist stets im Wandel, das macht sie ja aus. Für mich fühlt es sich ganz folgerichtig an, dass in einer Ära, in der Umweltthemen und Konsumkritik eine wichtige Rolle spielen, die Plastiktüte abgelöst wird. Es ist kein Zufall, dass es heutzutage in vielen Märkten bedruckte Baumwolltaschen zur Mehrfachverwendung an der Kasse gibt und Jutebeutel nicht nur in Berliner Hipster-Kreisen zum identitätsstiftenden Designobjekt aufgestiegen sind. Und als Werbeträger hat die Tüte in der Fülle der medialen Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich gebracht hat, ohnehin lange ihre Wichtigkeit verloren. Für Museumsleute und Sammler übrigens ein Grund mehr, diesen spannenden Aspekt der Kultur des 20. Jahrhunderts für die Nachwelt zu würdigen.

tip Glauben Sie, dass die Plastiktüte irgendwann eine Renaissance erleben wird, so wie die Vinylplatte?

Christina Thomson Bestimmt. Denn tatsächlich sind Kunststoffe ja ungemein ansprechende und vielseitige Werkstoffe. Die Plastiktüte der Zukunft wird aber sicher nicht mehr aus Polyethylen sein, dessen Herstellung Unmengen an Erdöl verschluckt, sondern aus neuen Materialien auf der Basis recycelter oder erneuerbarer Rohstoffe.

Der Berliner Schauspieler Lars Eidinger sorgte mit den Fotos zu der Leder-Alditüte des Taschenlabels PB0110 für einen Shitstorm. Foto: Benjakon

tip Zuletzt sorgte die Leder-Alditüte von Lars Eidinger für eine heftige Debatte. Hat Ihnen das Projekt gefallen?

Christina Thomson Es war ja nicht die Tasche an sich, die den Shitstorm auslöste, sondern die Tatsache, dass Eidinger damit vor einem Berliner Obdachlosenlager posierte – eine Insta-Inszenierung der perfideren Art, mit der er viele gesellschaftliche Nerven auf einmal trifft. Provokation als Vermarktungsprogramm ist nicht neu, aber immer noch effektiv. Das Statement ist klar: political correctness ist 2020 nicht mehr hip sondern old school. Lässt man die strittigen Fotos außen vor, bleibt aus meiner Sicht aber ein cleveres und ästhetisch überzeugendes Design-Projekt übrig. Eidinger hat die Tasche zusammen mit dem Lederspezialisten Philipp Bree entworfen und als Edition aufgelegt, Fruhtrunk lieferte das Motiv auf Tantiemenbasis. Für ein künstlerisches Designobjekt aus einer 250er-Auflage ist 550 Euro ein akzeptabler Preis. Dass die Tasche an die Aldi-Plastetüte erinnert, die für ein paar Cent verkauft wurde, hebt ein billiges Alltagsding ähnlich effektiv in Kunstsphären, wie es Warhol mit seinen Heinz-Dosen gelang. Das ist moderne Pop Art mit bissigem Twist. Würde mir jemand die Bree-Tasche schenken wollen… gerne!


Tüte? Na, Logo! Plastiktragetaschen der 1960er- bis 1980er-Jahre
13.03. bis 28.06.2020 in der Kunstbibliothek, Schaufenster im Erdgeschoss, Kulturforum. Eine Ausstellung der Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin mit Objekten aus der Sammlung Tobias Sadecki (Cool Collection Berlin). Eintritt frei.

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