• Kultur
  • Theater
  • „Was die Welt im Innersten zusammenhält, sind Konflikte“

Bühne Interview

„Was die Welt im Innersten zusammenhält, sind Konflikte“

Gemeinsam mit der Autorin Regine Dura untersucht der Regisseur Hans-Werner Kroesinger in Schwarze Ernte die Ökonomie des Erdöls 

Wie bewegt sich zähes Öl? Und was verdeckt es?
Foto: David Baltzer / Bildbuehne.de

„Blut ist ein ganz besonderer Saft“, heißt es bei Goethe. Weshalb ist Erdöl ein ganz besonderer und auch nicht ganz unblutiger Saft? 

Öl – das sind Kohlenwasserstoffe, fossile Brennstoffe, unter hohem Druck gepresste Überbleibsel von Leichen und Pflanzen. Öl und Blut teilen sich eine chemische Komponente, Porphyrin, und oft genug ist der Zugang zu Öl in zahlreichen Kriegen mit Blut bezahlt worden – „blood for oil“. Öl ist Macht in den Ländern, die es fördern, exportieren und das dafür erhaltene Geld investieren, zum Beispiel für in Deutschland hergestellte Kriegswaffen. Wie wir ohne Blut nicht leben können, ist das Öl für die Weltwirtschaft das notwendige Schmiermittel. Öl ist die Voraussetzung unseres Wohlstands, seine Verbrennung beschleunigt die Erderwärmung, zu Plastik verarbeitet vermüllt es die Meere. 

Andere Performer machen am liebsten Stücke über das eigene Mittelschicht-Leben, über ihre Kinder, Partner, Eltern und Erbschaften. Weshalb interessieren Sie sich für so trockenen Stoff wie Geostrategie und die Erdölabhängigkeit der Weltwirtschaft? Haben Sie keine Angst, mit Ihrem Stück „Schwarze Ernte“ im HAU das Publikum zu überfordern, so ganz ohne Einfühlungs- und Identifikationsangebote?

Jeder macht das, was ihn interessiert. Mich treibt halt immer noch ein Satz aus Heiner Müllers „Hamletmaschine“ um: „Irgendwo werden Leiber zerbrochen, damit ich wohnen kann in meiner Scheiße.“ Um noch einmal Goethe zu zitieren: „Was die Welt im Innersten zusammenhält“ – das sind Konflikte, sie sind der Treibstoff der Geschichte, und wir sind Teil davon. Es kann schon sein, dass wir das Publikum überfordern, aber zunächst einmal überfordern wir uns selbst. Wenn die Autorin Regine Dura und ich mit der Recherche zu einem neuen Stück anfangen, haben wir erst mal nur unser Interesse an einem Gegenstand. Damit fängt es an, und dann ist es sehr viel Arbeit, den Stoff so genau wie möglich zu durchdringen und dafür eine Form zu finden. Wir versuchen, etwas zu verstehen und die Erfahrungen, die wir dabei machen mit den Schauspielern und Zuschauern zu teilen. Wie findet man eine adäquate Form für die Verbindung von Rohstoffen, Religion, Terror, Kapital? Das ist doch eine spannende Aufgabe.

 Und wie wollen Sie einen so komplexen Stoff auf die Bühne bringen?

Mit Freude. Wir sind noch mitten in der Arbeit, zwei Performerinnen, zwei Performer, ein Musiker in einem weißen Raum im Kampf mit einer schwer zu kontrollierenden Flüssigkeit. Das Öl wird nicht transparent werden, aber der Grad der Trübung wird sich hoffentlich im Lauf der Vorstellung ändern. Man wird eine Ahnung davon bekommen, wie sich das zähe Öl bewegt, was es verdeckt und wo sich Schwarz in Rot wandelt.

Hans-Werner Kroesinger nd die Autorin Regine Dura gehören zu den wichtigsten deutschen Dokumenatartheater-Machern. Mit ihrer Arbeit „Stolpersteine“ (Staatsheater Karlsruhe) waren sie 2016 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. In Berlin arbeiten sie am HAU, am Maxim Gorki Theater und in der kommenden Spielzeit an der Voksbühne.
Foto: David Baltzer / Bildbuehne.de

Regine Dura und Sie und haben Ihr Stück über die Ökonomie des Erdöls, den Terrorismus und das saudische Herrscherhaus schon länger vorbereitet, als die Ermordung des saudischen Systemkritikers Jamal Khashoggi heftige internationale Kritik an der saudischen Regierung auslöste. Können Sie diese Kritik an einem der engsten Verbündeten der USA ernst nehmen?

Das Massakrieren eines kritischen Journalisten in der eigenen Botschaft auf dem Territorium eines  anderen Staates, begleitet von klassischer Musik, das passt nicht zu dem strahlenden Bild von MBS, dem Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud, der sich als Erneuerer Saudi Arabiens inszeniert. Der saudische Staat hat sich die entsprechenden PR-Kampagnen viel kosten lassen, um ein anderes Bild von Saudi-Arabien zu propagieren. Frauen dürfen jetzt Auto fahren, Konzerthäuser und Kinos sollen gebaut werden, es gibt gewaltige Infrastrukturprojekte wie die Megastadt Neom, das verspricht ein Riesengeschäft und enorme Aufträge für westliche Konzerne. Nach der kurzen Aufregung über die Ermordung Khashoggis laufen die Geschäfte wieder. Der deutsche Außenminister hat sich kürzlich für die temporären Verstimmungen entschuldigt, und der saudische Botschafter amtiert auch wieder in Berlin.

„Der saudische Staat hat sich die entsprechenden PR-Kampagnen viel kosten lassen, um ein anderes Bild von Saudi Arabien zu propagieren“

David Baltzer / Bildbuehne.de

HAU 3 Tempelhofer Ufer 10, Kreuzberg, 4.+5.5., 9.–12.5., 19 Uhr, ab 17 €

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin