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Wie sehr war die Berlinale von Corona bedroht? Die Festival-Chefin Mariette Rissenbeek blickt zurück

Vor etwas mehr als einem Monat ging die Berlinale zu Ende. Sie fand zu einem Zeitpunkt statt, als sich in Deutschland die ersten Corona-Cluster bildeten. Wie groß war eigentlich im Rückblick die Gefahr? Ein Gespräch mit Mariette Rissenbeek, Geschäftsführerin des Festivals

Berlinale Chefin Mariette Rissenbeek spricht über das Festival und Corona, Foto: Imago / Reiner Zensen
Berlinale Chefin Mariette Rissenbeek spricht über das Festival und Corona, Foto: Imago / Reiner Zensen

Ich denke, dass wir Riesenglück hatten“

tip Frau Rissenbeek, am 1. März ging die Berlinale zu Ende, die erste, die unter Ihrer und der Leitung von Carlo Chatrian stattfand. Wie sehr dachten Sie an diesem Sonntag an das Corona-Virus?

Mariette Rissenbeek Gegen Ende des Festivals wurde der Gedanke stärker. Wir waren ständig mit dem Robert Koch Institut im Austausch um entsprechend deren Empfehlungen zu handeln. Zunehmend wurde deutlich, dass Corona eine stärkere Dimension hat, als wir das ursprünglich annehmen konnten. An dem Sonntag selber war in Berlin allerdings wenig zu verspüren, ich hatte da weniger Aufgaben und war in der Stadt unterwegs, und habe noch keine besondere Vorsicht wahrgenommen.

tip Wurde die Berlinale hinterher noch epidemiologisch evaluiert?

Mariette Rissenbeek Nein, das haben wir dann rückblickend nicht gemacht, weil das Robert Koch Institut jetzt auch natürlich sehr durch die aktuelle Situation beansprucht ist. Man müsste das aber sicher noch tun.

tip Die Eröffnung fand einen Tag nach dem Anschlag von Hanau statt. Das hat zu diesem Zeitpunkt alles überschattet.

Mariette Rissenbeek Es hat uns sehr gefordert, auf Hanau zu reagieren, und uns in den Tagen danach damit zu befassen. Während des Festivals haben wir jedoch wegen der anwachsenden Nachrichtenlage zu Corona bereits mögliche andere Szenarien überlegt. Wir haben uns dabei auch mit dem BKM und den Gesundheitsbehörden abgestimmt, aber es gab keine Empfehlungen, anders zu verfahren, als wir es ohnehin schon gemacht hatten.

tip Wieviele Akkreditierte kamen dieses Jahr aus aller Welt zur Berlinale?

Mariette Rissenbeek 22.000. In der Größenordnung.

Einige chinesische Gäste durften nicht reisen, weil sie aus Risikogebieten kamen

tip Wie stark standen die Besuche aus China schon im Zeichen von Corona?

Mariette Rissenbeek Einige chinesische Gäste durften nicht reisen, weil sie aus dortigen Risikogebieten kamen. Man kann aber auch nicht gleich ein ganzes Land Geisel nehmen, weil man weiß, dass es eine betroffene Region gibt. Wir hatten den Eindruck, dass die chinesischen Behörden von Fall zu Fall entschieden haben, unabhängig von politischen Aspekten. Wir haben das auch mit dem Auswärtigen Amt besprochen, dass die Reisebedingungen, die geboten werden auch konform sind mit den Einreisebedingungen. Das kann ich jetzt nicht anders sagen.

tip Carlo Chatrian, der künstlerische Direktor der Berlinale, ist Norditaliener. In seiner Heimat begann zu Beginn des Festivals gerade das Drama. War er persönlich da schon stark betroffen?

Mariette Rissenbeek Das war nicht mein Eindruck. Wir waren beide sehr auf das Festival fokussiert. Zwei Mitglieder des Auswahlkomitees sind auch Italiener, Lorenzo Esposito und Sergio Fant. Auch von ihnen beiden kamen zu diesem Zeitpunkt keine besonderen Hinweise, keine erkennbaren Sensibilitäten für das Thema.

tip Tatsächlich hatte die Krise ja auch in der öffentlichen Aufmerksamkeit eine Inkubationszeit. Heute geht man zum Beispiel davon, dass ein Fußballspiel in Mailand am 19. Februar stark zur Verbreitung des Virus beigetragen hat.

Mariette Rissenbeek Das habe ich auch gelesen. Das ist eben ziemlich genau die Zeit, die es auch in Italien brauchte, um die Bedrohlichkeit zu begreifen. Das wurde erst im März in vollem Ausmaß klar.

Über das Virus wurde zuerst nicht gesprochen

tip Mohammad Rasoulof, dessen Film „Es gibt kein Böses“ mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, durfte den Iran nicht verlassen. Das Land war zu diesem Zeitpunkt schon als einer der ersten Schwerpunkte der Verbreitung des Virus außerhalb von China erkennbar. Inwiefern war die iranische Delegation schon von diesem Thema betroffen?

Mariette Rissenbeek Im Umfeld von Mohammad Rasoulof, der bei der Preisverleihung unter anderem von seiner Tochter vertreten wurde, war vor allem Thema, dass Rasoulof im Iran ein Haftantritt bevorstand. Das hat deren Kommunikation dominiert. Über das Virus wurde zuerst nicht gesprochen. Gegen Ende des Festivals tauchte dann aber die Information auf, dass viele Inhaftierte aus den Gefängnissen entlassen wurden, weil man dort eine starke Verbreitung des Virus befürchtete. Das minderte die Befürchtungen einer bevorstehenden Inhaftierung von Mohammad Rasoulof.

tip Auch hier also war es gerade noch so, dass Corona im Hintergrund bleiben konnte.

Mariette Rissenbeek Das sind alles Dinge, die dann erst retrospektiv zusammenkommen. In dem Moment, wo es passiert, verbindet man noch nicht alles miteinander. Carlo Chatrian ist am Donnerstag in der ersten Märzwoche nach Italien zu seiner Familie geflogen, da war es schon nicht mehr ganz leicht, eine passende Route zu finden. Drei Tage später war Italien zu, da war an einen Rückflug nicht mehr zu denken. Das ging dann sehr schnell.

tip Ist Ihnen seither etwas bekannt geworden über einen Fall von Covid-19 auf der Berlinale? Eine einzige infizierte, vielleicht sogar symptomfreie Person hätte ja bei so einer Veranstaltung enorme Auswirkungen haben können.

Mariette Rissenbeek Wir waren sehr besorgt, aber bis heute wissen wir von niemand, der im Berlinale-Rahmen infiziert wurde. Vom Publikum weiß man das natürlich nicht bis ins letzte Detail, aber es ist nichts durchgedrungen.

tip Obwohl damals also die Gefahr bereits viel größer war, als man vermuten konnte, sieht es womöglich so aus, dass das Virus nicht auf der Berlinale war.

Mariette Rissenbeek Ich denke jedenfalls, dass wir ein Riesenglück hatten.

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