filmbiografie

Zwischen Genialität und Kontrollverlust

In dem sehr ehrlichen Biopic Judy singt Renée Zellweger selbst
Foto: Entertainment One

Auch wenn man Judy Garland als einen der ganz großen Stars der goldenen Hollywood-Ära erinnert: Trotz – oder wegen – ihrer erfolgreichen Karriere war ihr Leben ein mehr als turbulentes Durcheinander. Von einer überehrgeizigen Mutter schon als Kleinkind auf die Bühne gestellt, besaß Garland bereits im Alter von zwölf Jahren einen Vertrag mit MGM und geriet in die Mühlen des Studiosystems: Appetitzügler, weil man sie zu dick fand. Aufputschmittel, damit sie bei Dreharbeiten länger durchhielt. Schlaftabletten, damit sie überhaupt etwas Ruhe fand. Mit Ende 20 war Garland ein Wrack. Bei MGM ließ man ihren Kontrakt 1950 auslaufen, aus „gesundheitlichen Gründen“. Der Zynismus fiel keinem auf. In ihren letzten beiden Lebensjahrzehnten drehte sie nur noch vier Filme, sie war zu einem unwägbaren Risiko geworden.

„Unzuverlässig und nicht zu versichern“, wie Garland (Renée Zellweger) über sich selbst in dem Biopic „Judy“ von Rupert Goold sagt. Und wenn MGM-Boss Louis B. Mayer ihr tatsächlich versprochen haben soll, sie werde mit 20 ihre erste Million verdient haben, dann ist Ende der 1960er-Jahre davon nichts geblieben. Die Sängerin tingelt für klägliche Gagen, Hotelrechnungen bleiben unbezahlt, im Grunde sind Garland und ihre Kinder Lorna und Joey obdachlos. Weil ihr Ex-Mann Sid Luft das Sorgerecht für den Nachwuchs beantragt, nimmt Garland im Winter 1968 das Angebot für ein mehrwöchiges Konzertengagement in London an.

Die Konzerte werden zum Spiegelbild ihrer Karriere: Ist sie in Form, bezaubert die Sängerin das Publikum mit ihrem Talent, ihrer Energie und Natürlichkeit. Andere Auftritte verlaufen schrecklich: Emotional instabil und vollgepumpt mit Tabletten und Alkohol verliert sie zusehends die Kontrolle über ihr Leben – und ihre Kunst. Eines von Garlands bekanntesten Liedern, den „Trolley Song“ aus dem Musical „Meet Me in St. Louis“, präsentiert der Film als eine Montage aus Bühnennummer, Rückblenden in die Zeit bei MGM und schlaglichtartigen Szenen aktueller Schlaflosigkeit.

Hollywoodstars in Großbritannien: Mit diesem Topos (und guten Filmen wie „Stan & Ollie“) haben die Briten sich mittlerweile ein eigenes Biopic-Subgenre geschaffen, für das auch „Judy“ ein gelungenes Beispiel ist. Vor allem Renée Zellweger in der Titelrolle macht aus der traurigen Geschichte ein durchaus beeindruckendes Drama, zudem singt sie die Songs in den Shownummern überzeugend selbst und lässt das Melodram auch in den sentimentalen Momenten nicht in den Kitsch abgleiten. Lars Penning

Judy, GB 2019, 118 Min., R: Rupert Goold, D: Renée Zellweger, Jessie Buckley, Rufus Seiwell, Finn Wittrock, Start: 2.1.3325

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